Ärzte in der Covid-Krise - Sprechstunde in einem anderen Land

Die Coronakrise hat Hausärzte in die Rolle der Erfüllungsgehilfen von Politik und Gesellschaft gedrängt. Wie aber fühlt es sich an, wenn man als Arzt nicht mehr nur dem Patienten, sondern mehr und mehr dem politischen Willen verpflichtet wird? Ein Berliner Hausarzt berichtet von der ethischen Not der Mediziner und Ärzte.

Das vertraute Arztbild hat sich in der Krise verändert / dpa
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Autoreninfo

Dr. med. Erich Freisleben studierte Medizin in Berlin und Kiel und absolvierte seine Facharztausbildung zum Internisten. Seit 35 Jahren praktiziert er als Hausarzt. Er promovierte in der Geschichtsmedizin zum Thema Rassenhygiene und Rassenideologie, war als Delegierter in der kassenärztlichen Vereinigung tätig und publiziert Artikel zu gesundheitspolitischen Themen.

 

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Frau Albers kenne ich seit dreißig Jahren. Die damals 22-Jährige hatte wegen Ängsten, Selbstzweifeln und depressiv-resignativen Zuständen ihre Physiotherapieausbildung unterbrechen müssen. In einem der langen Gespräche, für die ich mir als ihr Hausarzt damals noch am Ende der Sprechstunde Zeit nehmen konnte, brach es aus ihr hervor. Täglich würden ihre Gedanken vom Gefühl der Hilflosigkeit beherrscht. Es werde immer wieder lebendig, wie ihr Onkel sich ihr während der Abwesenheit der Eltern näherte. Niemand wollte ihre Andeutungen über den „lieben“ Bruder der Mutter verstehen. Sie habe zu viel Phantasie und bilde sich Dinge ein, hieß es. Aus dem schüchternen Mädchen von damals war nach mehreren Therapien und einigen Umwegen im Leben eine Physiotherapeutin und Osteopathin und eine umsichtige Praxisinhaberin mit sechs Angestellten geworden, die sich vor Patienten kaum retten kann. Viele suchen ihre Fachkompetenz und Einfühlsamkeit. 

Die gestandene Frau sitzt heute zitternd und mit aufgerissenen Augen vor mir. Sie kann und will nach alldem, was ihre Informationen und ihr Bauchgefühl ihr sagen, sich nicht gegen Corona impfen lassen. Mit dem kommenden Impfzwang lebt ihre frühere Ohnmacht wieder in ihr auf. Ihre Aufrichtigkeit verbietet ihr, sich auf krummen Wegen aus der Affäre zu ziehen. Sie wird eher ihr Lebenswerk aufgeben als noch einmal das Trauma zuzulassen, etwas gegen ihren tiefsten Willen geschehen zu lassen.

Das Thema Zwang ist allgegenwärtig geworden

Viele alte Wunden reißen auf in diesen Tagen. In Ratlosigkeit und Verzweiflung sprudeln die tiefsten Geheimnisse hervor. Das Thema Zwang ist allgegenwärtig geworden. Bei einer Patientin werden die Erzählungen der Großmutter wach, die ihre Eltern in Bergen-Belsen verloren hatte. Eine Krankenschwester, die in ihrem Beruf an vielen Brennpunkten der Krankenhausversorgung „ihre Frau gestanden“ hatte, nimmt lieber die Abzüge des vorzeitigen Renteneintritts in Kauf, als sich gegen ihren Willen zwingen zu lassen. Andere überlegen, auszuwandern. 

Viele wissen einfach nicht weiter, weil ihre Existenz und die ihrer jungen Familie gefährdet sind. Die rechtfertigenden Einlassungen mir gegenüber, man sei nicht gegen Impfungen, sei kein „Querdenker“ und kein Rechter, breche ich sehr schnell ab. Das alles weiß ich, beruhige ich sie. Meine Praxis ist ohnehin viel zu offen und multikulturell, als dass sich Fremdenfeindliche und Geschichtsverleugnende hier wohlfühlen würden. 

Ich erlebe etwas, was ich kaum kannte: Ich kann nicht helfen. Mir waren fast immer Angebote oder Lösungen zu einem Schritt heraus aus dem Leid eingefallen. Aber wie kann ich einen Weg weisen, wenn nicht der Mensch krank ist, sondern die Politik?  Atteste stelle ich extrem selten aus. Aber ich spüre, dass der Raum zwischen ärztlicher Fürsorge und staatlichem Erwartungsdruck zur Gratwanderung geworden ist.

Es mögen drei Prozent sein, welche die Impfung nicht vertragen

Neben einigen „normalen“ Patienten, die fast wie Ruhepole im Grundrauschen der Verzweiflung wirken, dominiert eine andere Patientengruppe die Praxis. Nachdem ich in einem Videointerview zu einigen von mir beobachteten Nebenwirkungen der Covid-Impfungen und deren Behandlungsoptionen Stellung genommen hatte, suchen täglich neue Patienten nicht nur aus meiner Stadt Berlin, sondern aus allen Regionen meine Hilfe. Sie waren dem öffentlichen Druck zum Impfen gefolgt. Für das, was sich danach zeigte, hatten sie keinen Ansprechpartner mehr gefunden. 

Es mögen drei Prozent sein, welche die Impfung nicht vertragen, und meist sind sie noch jung. Wochen und oft Monate nach der zweiten Spritze quält sie in unterschiedlicher Kombination ein bunter Symptomstrauß aus Kopfschmerzen, Schwindel, Zittern, Kräfteverlust, Nervenstörungen und anderen Merkwürdigkeiten. Viele sind arbeitsunfähig. Die Laborwerte blieben stumm, die fachärztlichen Untersuchungen waren meist ergebnislos verlaufen. Aus Ratlosigkeit wurden allerlei Verlegenheitsdiagnosen gestellt. Meist sollte es sich um Psychosomatisches handeln. Der Zusammenhang mit Impfungen galt geradezu regelmäßig als ausgeschlossen. „Impfnebenwirkungen gibt es nicht, bilden Sie sich nichts ein“, lautete nicht selten das ärztliche Statement. 

Keine wissenschaftliche Ratio in der Pandemiebewältigung

Unter der von mir verordneten zweiwöchigen Kortisontherapie löst sich die „Psychosomatik“ oft auf. Manchmal lerne ich auch von Patienten dazu, die Erhellendes über ihr Syndrom im Internet zusammengetragen hatten. Das neue Krankheitsbild bekommt durch meine verstärkten Recherchen und durch einige sehr spezielle Antikörperuntersuchungen und durch den Blick auf den ausführlichen Immunstatus Konturen. 

Auch wenn er inzwischen mehrfach am Tag vor mir steht, so ist der Symptomkomplex noch lange nicht verstanden. In der üblichen medizinischen Fachliteratur scheinen diese merkwürdigen post-vakzinen, offensichtlich autoimmunen Reaktionen trotz der Nebenwirkungsmeldungen noch nicht angekommen zu sein. Hat der Erfolgsdruck der Impfkampagnen das Thema zum Tabu werden lassen? Hier rächt sich das fahrlässige Versäumnis einer systematischen Studienbegleitung bei der Einführung der neuen Impfstoffe. 

Nach vierzig Jahren ärztlicher Tätigkeit erlebe ich meinen Beruf neu. Die Politik hat mir die Ausrichtung an meiner Berufsethik aus der Hand genommen. In der Pandemiebewältigung kann ich keine wissenschaftliche Ratio mehr erkennen. Wo früher Sicherheit im Vordergrund stand, ist heute Leichtfertigkeit eingezogen. Wohin soll der Zug gehen? Hätte ich meinen Sohn besser nicht zum Arztberuf motivieren sollen? Auch ich bin ratlos.

Erich Freisleben ist Autor der Bücher Medizin ohne Moral. Diagnose und Therapie einer Krise. Freya-Verlag. 432 S., 19,90 Euro, und: Ansichten eines Hausarztes. Wege aus dem Corona-Dilemma. Freya-Verlag. 232 S., 14,90 Euro.

 

 

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