Gedenkstätte „Haus der Wannseekonferenz" - Die Ruhe nach dem Sturm

Im Dezember wurde bekannt, dass der langjährige Direktor Hans-Christian Jasch die Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz verlässt, im Januar löste das neue Ausstellungskonzept Entrüstung aus. Kehrt unter der Leitung von Deborah Hartmann nun endlich Ruhe ein?

Das Haus der Wannseekonferenz ist heute eine Gedenkstätte / dpa
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Autoreninfo

Julien Reitzenstein befasst sich als Historiker in Forschung und Lehre mit NS-Verbrechen und Ideologiegeschichte. Als Autor betrachtet er aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen.

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Täterforschung ohne Tatorte ist problematisch. Doch Reichskanzlei und „Führerbunker“ wichen schon in den 1980er Jahren Plattenbauten. Hitlers Berghof ist seit dem Krieg zerstört. Die Ruinen der SS-Zentrale an der Prinz-Albrecht-Straße wurden planiert. Die Orte der Täter, die fühlbar machen, in welcher Atmosphäre aus dem Hass auf Minderheiten Massenmord werden kann, sind fast alle verschwunden. Eine der Ausnahmen ist das sogenannte „Haus der Wannseekonferenz“.

Der Ort, an dem der Holocaust geplant wurde 

Am 20. Januar 1942 trafen sich in der Villa am Wannsee fünfzehn Vertreter des nationalsozialistischen Regimes, um den beschlossenen Mord an 11 Millionen Menschen zu koordinieren. Nichts weniger als die Ausrottung aller Juden in Europa war das Ziel des Regimes. Die anwesenden Männer sollten sicherstellen, dass es mit der Gründlichkeit deutscher Ministerialbürokratie umgesetzt wird. Sie saßen an einem Konferenztisch in der prächtigen Villa, die der rechtsnationale Unternehmer Friedrich Minoux 1940 an die SS verkauft hatte. Große Fenster geben den Räumen viel Licht und einen Blick auf den Garten, dessen Ende das Ufer des Wannsees bildet.

Das wertige Parkett, die hohen Decken und der nachgebildete Tisch schufen in der 2006 eröffneten ersten Ausstellung eine einzigartige Atmosphäre. Der Besucher konnte sich in die damalige Situation versetzen. Er sah, was die Teilnehmer sahen, wenn sie auf den Wannsee blickten. Er sah deren Gesichter und ihre Funktionen museal aufbereitet. Und er sah im Zentrum der Villa auf dem Tisch die 15 Seiten des Protokolls einer nur eineinhalb Stunden dauernden Konferenz, das in nüchternem Beamtendeutsch die Organisation des Mordes an Millionen regelte. An diesem Ort, an diesem Tisch im Zentrum der Villa, in diesen eineinhalb Stunden verdichtete sich der Hass des über Jahrhunderte immer weiter geschürten Antisemitismus in rund 100 Gramm Papier. 

Einer, der die Dinge anders machte

Hans-Christian Jasch war seit 2014 der Direktor der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz, die dem Besucher diesen einzigartigen Tatort nahebringt, aber auch die Vorgeschichte und die Folgen der Konferenz. Während viele Historiker keine Neigung spüren, die Welt jenseits ihrer Zunft zu erkunden, ging Jasch einen anderen Weg. Nach dem Jurastudium arbeitete er bei der Europäischen Kommission im Bereich Terrorismusbekämpfung, bevor er auf diesem Feld ins Bundesinnenministerium wechselte.

Doch parallel befasste er sich stets mit der Geschichte des Nationalsozialismus, insbesondere der Frage, weshalb in einer klaren Rechtsordnung sozialisierte Juristen ab 1933 unzählige und oft mörderische Rechtsbrüche ermöglichten. Neben anderen Publikationen ist seine Monographie über NS-Innenstaatssekretär Wilhelm Stuckart - einem der Teilnehmer der Wannseekonferenz - ein Standardwerk.

Als der promovierte Rechtshistoriker Hans-Christian Jasch im Jahre 2014 die Leitung der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz übernahm, war er ein erfreulich untypischer Gedenkstättenleiter. Nun musste er zeigen, dass er eine gute Besetzung war. Das tat er dann verlässlich – von der Erweiterung des Bildungsangebotes bis zur Steigerung der Besucherzahlen. Es gibt wenig an der Amtsführung von Jasch zu kritisieren, entsprechend groß war das allseitige Bedauern, als im vergangenen Dezember bekannt wurde, dass er zurückwechselt ins Bundesinnenministerium und ein Nachfolger gesucht würde. Ein Nachfolger, der sich an Jasch messen müsste.

Mit der Authentizität schwindet auch die Eindrücklichkeit

Doch dann begann das Chaos in der ehrwürdigen Gedenkstätte. Im Januar diesen Jahres wurde die neue Ausstellungskonzeption für die Öffentlichkeit geöffnet. Daraufhin brach ein selten dagewesener Kritiksturm über die Gedenkstätte herein. Im Zentrum der Kritik stand der nachgebildete Konferenztisch, der das Zentrum der vorherigen Ausstellung war. 

Heute ist der Tisch fort. Die Räume sind nun vollgestellt mit hochmoderner Museumstechnik, die viel Fensterfläche verdeckt. Der Besucher wird eher am Rande darauf hingewiesen, dass es sich um den Ort handelt, in dem der Gastgeber und SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich den Anwesenden eröffnete, er sei von Reichsmarschall Herrmann Göring zum „Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage“ bestellt worden.

Dies war nicht nur der Auftakt der Konferenz. Es war der letzte Akt, um aus dem Gefühl des eliminatorischen Antisemitismus eine verzahnte Zuständigkeit verschiedener staatlicher Organe zu begründen. Umso wichtiger ist es gerade heute, die Authentizität des Ortes als sicht- und fühlbaren Beweis zu präsentieren, was geschehen kann, wenn gebildete Antidemokraten gewillt sind, im Interesse ihres Volkes zu handeln. 

Jüdinnen, Juden und Kinder – Design für alle

Doch der authentische Ort der Mordmaschinerie ist nicht mehr das Zentrum der im Januar eröffneten neuen Ausstellung der Gedenkstätte. Das über Gedenken an NS-Unrecht gestülpte Ausstellungsdesign versteht sich ausdrücklich als „Design für alle“ – es scheint, als sei akribisch alles vermieden worden, was als Geschlechterungerechtigkeit interpretiert werden könnte. Diese Ungerechtigkeit ist ein wichtiges Thema unserer Tage. Die in der Ausstellung dokumentierte Ungerechtigkeit millionenfachen Mordes drückt dieses allzu sichtbar gemachte Thema jedoch an die Wand dieses Tatortes. 

Vor allem aber erstaunen zwei Elemente der neuen Ausstellung. Deren Großteil schildert die Geschichte des NS-Regimes einerseits und dessen Judenverfolgung andererseits. Damit wird all das vorgestellt, was viele andere Gedenkstätten auch präsentieren – aber ohne hinreichenden Connex zwischen beiden Strängen. Zudem hat beides keinen Bezug zum Tatort Wannseevilla. Gleiches gilt für die Schilderungen der ermordeten „Jüdinnen, Juden und Kinder“.

Im englischsprachigen Ausstellungskatalog wird von „Jews“ gesprochen, ein Wort, von dem alle nur möglichen Geschlechter- und Altersgruppen umfasst sind. Übersetzen könnte man das geschlechtsneutral mit „Juden“ oder – noch besser und dudenkonform – mit „jüdische Menschen“. Wie mag die Ausstellungssprache auf Überlebende aus ganz Europa wirken? „Erst bemühen sich die Deutschen um die Ermordung von 11 Millionen Juden, dann bemühen sie sich um geschlechtergerechte Sprache bei der Aufarbeitung“, könnte man vermuten.

Sprache wichtiger als Ausstellungstechnik

Die Ausstellung zeigt, auf welcher Route Juden in entwürdigender Weise durch Baden-Baden getrieben wurden. Dies wird mit „Spießroutenlauf“ bezeichnet. Es ist zu hoffen, dass es sich nicht um ein gleich auf mehreren Ebenen makabres Wortspiel handelt, sondern um einen übersehenen Fehler, der berichtigt wird.

Denn die Objektifizierung der Juden durch die NS-Täter begann mit Sprache. Mit Sprache, die sie bezeichnete und mit der über sie gesprochen wurde. Gerade in einer so wichtigen Gedenkstätte wie dem Haus der Wannseekonferenz ist Sprache wichtiger als Museumstechnik. Denn durch die Konferenz an diesem Ort wurden Millionen Menschen aus ihrem normalen Leben gerissen – durch Sprache: Kultivierte Diskussionen unter Kameraden am Tisch, kalte, sachliche Sprache im Protokoll.

Schauspieler statt Stimmen Überlebender 

Der Ausstellungseindruck, dass die Shoa praktisch zwangsläufige Folge des Antisemitismus war, dass man sich eine Zwangsläufigkeit nicht wehren kann oder muss, mag subjektiv sein. Ebenso, dass nicht allen Besuchern klar werden dürfte, aus welchen Quellen sich Antisemitismus speist – nicht erst jener, den sich die Ideologien zu eigen machten, aus denen der Nationalsozialismus entstand.

Allerdings erstaunt, wie begrenzt die Ausstellung die jüdische Perspektive vermittelt. Wie sehen diese Konferenz und ihre Folgen aus der Sicht der Opfer und deren überlebender Angehöriger aus? Zu oft ersetzt die Ausstellung das Gesamtbild durch Einzelstimmen. Es ist zweifelsfrei wichtig, die Erlebnisse einzelner Betroffener hörbar zu machen. Aber müssen Schauspieler in Tonaufzeichnungen die möglichen Gedanken der jüdischen Opfer vorlesen? Kann sich ein Schauspieler besser mit einem Individualgefühl identifizieren, als einer der zehntausenden Überlebenden? Möglicherweise hätten diese gern zu dieser Ausstellung beigetragen. Wenn sich dafür tatsächlich niemand gefunden hätte, wäre es ein Leichtes gewesen, auf die unzähligen Tonaufnahmen von Überlebenden in zahlreichen Einrichtungen zurückzugreifen. 

Zentrale Fragen bleiben unbeantwortet

Es ist unklar, was zu größerer Fassungslosigkeit beim Betrachten der Tafel „Wer ist eigentlich Jude?“ führt: Das Bemühen um einfache Sprache oder die Objektifizierung der Opfer? Derartige Installationen können nicht die Erklärung großer Zusammenhänge ersetzen. Denn vor allem aus diesen erschließt sich dem Ausstellungsbesucher die Beurteilung des mörderischen Handelns damals und politischer Entwicklungen heute. Stattdessen wird in ebenso einfacher wie distanzierter Sprache dem Besucher moralisierend erklärt, welche Lehren man heute ziehen muss.

All das ersetzt nicht die Klärung zentraler Fragen: Wie gestalteten sich die Zusammenhänge zwischen Antisemitismus – in Deutschland, der westlichen und der arabischen Welt – und der Shoa? Die andere Frage scheint noch elementarer: Die Teilnehmer der Konferenz waren keine tumben, gescheiterten Existenzen, die auf Aufmärschen rassistische Parolen grölten. Nur wenige Teilnehmer wurden erst vom NS-Regime in hohe Positionen gespült. Die meisten waren hingegen promoviert, viele schon vor 1933 in wichtigen Positionen des Staatsapparates.

Das Verstörende ist, dass die 15 Männer, die am 20. Januar 1942 am Tisch in der Wannseevilla den größten Massenmord der Menschheitsgeschichte organisierten, eben keine mordlüsternen Schergen waren, sondern aus der Mitte der Gesellschaft kamen. Sie waren beinahe alle in Milieus zuhause, in denen in der dienstfreien Zeit im Tweedsakko, mit Hundemotiven auf der Krawatte und einem guten Rotwein in der Hand über kluge Gedanken elegant parliert wurde. Der Massenmord kam aus der kultivierten Mitte der Gesellschaft, nicht von deren Rändern: Wie? Konnte? Das? Geschehen?

Der rote Faden bleibt aus

Zu noch mehr Fassungslosigkeit führt die Frage, weshalb eine juristische Aufarbeitung und eine Bestrafung der überlebenden Täter ausblieben. Wo, wenn nicht am Tatort müssten Erklärungsansätze präsentiert werden? Lag es an anhaltendem Antisemitismus? War es Politik und Gesellschaft schlicht gleichgültig, wer den größten Massenmord der Geschichte organisierte? Weshalb gelang es nicht, diese Ansätze erfolgreich im gesellschaftlichen Bewusstsein zu verankern?

Wo ist der rote Faden zwischen dem eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten und dem muslimischen, rechtsradikalen, linksradikalen und bürgerlich-israelkritischen Antisemitismus? Mit diesen Fragen lässt die Ausstellung den Besucher zu oft allein. 

Verschenktes Aufklärungspotential der Wannseevilla 

Vor allem aber muss aber die Frage gestellt werden: Weshalb diese neue Ausstellung in dieser Villa? Sie könnte auch überall sonst stehen. Im Jüdischen Museum Berlin, an der Holocaust-Gedenkstätte am Brandenburger Tor, in der Topographie des Terrors auf dem vormaligen Areal der SS-Zentrale, im Verwaltungsbau der NSDAP am Königplatz in München und soviel mehr Plätzen in Deutschland.

Die Gedenkstätte informiert auf ihrer Website: „Nach einem Beschluss des Abgeordnetenhauses von Berlin (Drucksache 12/236 vom 22.04.1991) wurde die Gedenk- und Bildungsstätte ‚Haus der Wannsee-Konferenz‘ errichtet, da es in Deutschland noch keine zentrale Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust gab.“ Zwischenzeitlich gibt es allerdings bereits erfreulich viele Gedenkstätten, sogar eine Zentrale in der Mitte der Hauptstadt.

Insofern wäre die neue Ausstellung eine Chance gewesen, sich weiter auf den Kern der 2006 eröffneten Ausstellung zu konzentrieren: Den Konferenzort und die Konferenzteilnehmer, die jenes Grauen organisierten, woran die zentrale Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust am Brandenburger Tor erinnert. Denn der authentische Ort macht das Grauen spürbar. Das macht überflüssig den Besucher mit allem, was moderne Museumstechnik zu bieten hat, auf dem neuestem Stand der Geisteswissenschaften in geschlechtergerechter Sprache betreutes Fühlen aufzudrängen. 

Ausstellung muss Historie des Hauses gerecht werden

Mit Spannung wurde daher erwartet, wer als Nachfolger von Hans-Christian Jasch neuer Direktor werden würde. Idealerweise würde es sich um jemanden handeln, der an dessen jahrelange erfolgreiche Arbeit anknüpft und dazu die guten Impulse in der verunglückten Ausstellung mit den bewährten Elementen der vorherigen verknüpft.

Eine abgewogene Synthese aus beidem würde die Empörung über die aktuelle Ausstellung gewiss bald beruhigen, so dass die Gedenkstätte sich wieder in bewährter Weise ihrer Hauptaufgabe widmen kann. Einer Ausstellung, die das hält, was der Name der Einrichtung verspricht: Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz. Denn die eineinhalb Stunden Konferenz von 15 Männern in diesem Haus machen jenes Böse fühlbar, von dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Yad Vashem sprach. Dieses Böse spürt man auch ganz ohne betreutes Fühlen und Inklusion. 

Eine geeignete Kandidatin 

Es scheint kaum nachvollziehbar, weshalb die Entscheider in Zeiten von Internet und Videokonferenzen erst ein Dreivierteljahr nach der Stellenausschreibung eine neue Direktorin präsentierten. Sind die anstehenden Aufgaben noch größer als gedacht? Gibt es Gründe, weshalb das vor langer Zeit geplante Seminarzentrum bis heute nicht fertiggestellt ist? 

Doch die Wahl der Entscheider scheint nachvollziehbar: Deborah Hartmann wird neue Direktorin. Die österreichisch-israelische Politologin arbeitete seit 2007 in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, zuletzt als Leiterin der deutschsprachigen Bildungsprogramme. Unter Fachleuten genießt sie einen guten Ruf, nicht zuletzt weil sie über fachliche Qualität hinaus einen regen Austausch mit Politik, Justiz, Wissenschaft und vielen weiteren Multiplikatoren pflegt. Zudem war sie für auch für viele wichtige Einrichtungen tätig, wie dem American Jewish Committee oder das Projekt „Zeugen der Shoa“. 

Dieses breite Netzwerk wird nicht nutzlos sein bei den nun anstehenden Herausforderungen: Nach dem Sturm der Entrüstung über die neue Ausstellung müssen die Wogen geglättet werden. Gleichzeitig bedarf es einer Einbeziehung der zahlreichen Mitarbeiter und Partner in eine neue Ausrichtung des Hauses. Zudem dürfte es nicht schaden, über eine Überarbeitung der Ausstellung nachzudenken. Schließlich sollte auch das lang erwartete Seminarzentrum in absehbarer Zeit Realität werden – und mit ihm die dringend benötigten Erweiterungsflächen für Bibliothek und Archiv. 

Was lange währt 

Nun ist es aber wichtig, zunächst ihr und dann auch den Mitarbeitern der Gedenkstätte genug Zeit zu geben, den Neustart auf verschiedenen Ebenen zu konzipieren und umzusetzen.

Kurzfristige Ergebnisse zu fordern wäre weder den Herausforderungen, noch der Gedenkstätte gegenüber angemessen. Bei aller Kritik am betreuten Fühlen in der gegenwärtigen Ausstellung muss auch für Deborah Hartmann gelten: Am Ende zählen konkrete Ergebnisse und das bekannte Wort „gut Ding will Weile haben“.

 

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