„Hart aber fair“ - Pandemiebekämpfung über alles

„Nur ja keinen Zwang: Ist unsere Politik beim Impfen zu feige?“, fragt Frank Plasberg bei „Hart aber fair“ am Montagabend. Zu Gast sind SPD-Ministerpräsident Stephan Weil, der Journalist Georg Mascolo, die Ärztin Lisa Federle, die Philosophin Svenja Flaßpöhler und der Immunologe Carsten Watzl. Deutlich wird wieder einmal: Freiheit ist ein fragiles Gut.

Ein Schild „Impfung 2“ ist an der Tür in einem Impfzelt zu sehen / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Am Abend jenes Tages, an dem Österreich ein Viertel seiner Bevölkerung in den Lockdown zwingt und Ungeimpfte in Teilen Deutschlands ab sofort nicht mal mehr mit PCR-Test ins Restaurant dürfen, geht es bei „Hart aber fair“ um Mut. Genauer, um das Gegenteil von Mut, die Feigheit. „Nur ja keinen Zwang: Ist unsere Politik beim Impfen zu feige?“, so der Sendungstitel. Dabei wäre nichts daran mutig, Menschen in den Impfschutz zu zwingen. Also kann auch nichts feige daran sein, es nicht zu tun.

Doch besondere Zeiten erfordern eben besondere Maßnahmen – und offenbar auch eine besondere Wortwahl, die fleißig das Narrativ bedient, wonach die Impfung der einzige Ausweg sei aus dieser Pandemie, die längst zu einer politischen Tragödie von Gut und Böse, Moral und Moralismus, Plan- und Ziellosigkeit mutiert ist. Feigheit und Mut: Begriffe sind eben auch nur Wörter, nicht mehr als Buchstabenfolgen, so scheint es. Das kennt man schon, von „Haltung“ oder „Solidarität“, die längst verbrannt sind oder ins Gegenteil verkehrt. Eine Solidarität, die erzwungen wird. Eine Haltung, die Nachplappern meint. Wenn der Zeitgeist spricht, hat der Geist zu schweigen. 

Doch sei’s drum. Der Sendungstitel war halt gesetzt. Zu Gast sind SPD-Politiker Stephan Weil (Ministerpräsident des Landes Niedersachsen), der Journalist Georg Mascolo (Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung), Notärztin Dr. Lisa Federle (Pandemiebeauftragte des Kreises Tübingen), die Philosophin und Journalistin Svenja Flaßpöhler (Chefredakteurin Philosophie Magazin) und der Immunologe Prof. Dr. Carsten Watzl, der den Forschungsbereich Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund leitet.

Sonderpädagogischer Impetus

„Ist dieses Land nicht längst zerrissen in Ungeimpfte und Geimpfte?“, will Plasberg von SPD-Ministerpräsident Weil wissen. Und der redet, wie derzeit viele reden, nämlich so, wie man zu kleinen Kindern spricht. „Die einen haben wirklich sich sehr vernünftig verhalten, die müssen sich keine Vorwürfe machen“, sagt Weil und nickt anerkennend, als würde er gleich ein Fleißbildchen aus der Tasche ziehen. Dann holt er den Zeigestock heraus und klopft den Ungeimpften auf die Finger: „Und die anderen tun so, als ob eine Pandemie mit ihnen nichts zu tun hätte.“

Die Formulierung ist vielsagend, weil sie mit dem üblich gewordenen sonderpädagogischen Impetus daherkommt. Sie ist es auch deshalb, weil freilich kein Ungeimpfter da draußen so tut – oder sagen wir: die allerwenigsten –, als ob diese Pandemie nichts mit ihm zu tun hätte. Das kann er gar nicht. Denn wie soll er auch, der Corona-Delinquent, wenn er nicht mal mehr in den Hofbräukeller am Wiener Platz in München darf? Oder zum Italiener um die Ecke? Oder ins Fitnessstudio, weil sein Wegbleiben angeblich die Intensivstationen entlasten soll, obwohl er nicht mal zur Risikogruppe gehört?

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Oder wenn er, hier eine kleine Anekdote aus dem Umfeld des Autors dieser Zeilen, im Hörsaal einer bayerischen Universität geoutet und anschließend über sein Bleiberecht abgestimmt wird, weil sich manch Mitstudent von seiner Anwesenheit bedroht fühlen könnte. Immerhin das scheint sich nun erledigt zu haben. In Bayern jedenfalls, wo 2G in Hochschulen das nächste Ass im Ärmel einer pandemiegetriebenen Politik zu sein scheint, die Kindern auch Masken überstülpt, damit sie Oma und Opa nicht töten.

Nein, man muss Corona nicht leugnen, um dem ganzen repressiven Apparat, der wieder zunehmend so ohrenbetäubend kreischt und knarzt wie letzten Winter, skeptisch gegenüber zu stehen. Man kann, wie der Autor dieser Zeilen, gar geimpft sein und es trotzdem falsch finden, wenn Menschen von anderen Menschen separiert und halb in den Untergrund gezwungen werden, solange ihr Weg sie nicht zum Edeka führt oder zum Arzt. Oder in die soziale Isolation, weil sie im Krieg der Guten gegen das Virus als Kollaborateure gelten. Aber genug abgeschweift.

Wohlwissend, dass Repressalien drohen

„Damit wir die Gesundheit der einen schützen können, werden wir die Möglichkeiten der anderen deutlich einschränken müssen. Eine andere Möglichkeit sehe ich gar nicht“, sagt Weil. Eine allgemeine Impflicht wäre verfassungsrechtlich eine „anspruchsvolle Aufgabe“, räumt er dann ein, und „zweitens muss man sich auch klar machen: Wie geht das eigentlich, dass man 15 Millionen Menschen zwangsweise impft?“ Ein guter Punkt, den viele, die derzeit lautstark nach einer gesetzlichen Impfpflicht rufen, tatsächlich kaum bedenken. Kleintransporter vor, Ungeimpfter rein und ab zum Arzt? Und wer sich dann wehrt, wird fixiert?

Weil hat ohnehin eine bessere Idee: „Was aber de facto in weitem Maße auf dasselbe Ergebnis hinauslaufen dürfte, wäre, wenn wir in eine Situationen kommen, wo ungeimpfte Menschen wirklich in sehr vielen praktischen, alltäglichen Situationen feststellen müssen: Ich habe jetzt einen Aufwand, den ich gar nicht auf Dauer haben möchte.“ Was er dabei nicht bedenkt, ist, dass sich 90 Prozent der Ungeimpften partout nicht impfen lassen wollen, wohlwissend, dass ihnen weitere Repressalien drohen. Gut findet Weil gleichwohl, dass jetzt 3G am Arbeitsplatz kommt: „Denn das wird viele Menschen zum Nachdenken bringen, davon bin ich überzeugt.“ Da ist sie wieder, die Sache mit der Wortwahl, wenn Weil „nachdenken“ sagt, aber „spuren“ meint.

Grober politischer Fehler

Auftritt Georg Mascolo, der erstmal eine Brücke schlägt von „den Debatten im deutschen Reichstag 1874 über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen die Pocken“ zur Frage von Plasberg, der gerne gewusst hätte, was dran ist am Vorwurf, wir erlebten eine „Tyrannei der Ungeimpften“, wie es Weltärztebund-Chef Frank Montgomery jüngst an anderer Stelle formulierte. Eine Antwort bekommt der Zuschauer nicht, denn Mascolo ist schon drei Gedanken weiter.

Mascolo nennt eine Impflicht eine „schreckliche Idee“, dann sagt er: „Wenn es eine schreckliche Idee ist, eine Impfpflicht zu verhängen, dann kann man auf die Idee kommen, dass die schrecklichste Idee in Pandemiezeiten allerdings ist, eine solche Pflicht von vornherein auszuschließen.“ Das sei, so Mascolo, ein „grober politischer Fehler“ gewesen. Und kurz darauf sagt er: „Man muss in der Pandemie am Anfang das Ende bedenken.“

Da hat er recht, lässt sich konstatieren. Deshalb wäre es ja auch sinnvoll gewesen, die diversen Maßnahmen nicht nur auf ihre Tauglichkeit zur Pandemiebekämpfung abzuklopfen, sondern auch darauf, was sie mit den Menschen anrichten, mit der Gesellschaft, mit dem Diskurs. Gemeint hat Mascolo freilich etwas anderes: Nichts zusagen, nichts versprechen. Lange Leine, wenn es geht, ganz kurze Leine, wenn es sein muss. Bloß nicht zu sehr auf die Bevölkerung zugehen. Eine seltsame Vorstellung von moderner Politik. Aber sei's drum.

Ein Recht, sich nicht impfen zu lassen

Pandemiebekämpfung über alles, war bis hierhin also das Motto der Diskutanten. Über alles auf der Welt. Ein Glück, dass es Svenja Flaßpöhler gibt, die minutenlang geduldig schwieg, um dann im ersten Satz auf den Punkt zu bringen, was da längst überfällig war: „Ich halte es wirklich für fatal und für falsch, Menschen zu kriminalisieren, die von ihrem Recht Gebrauch machen, Eingriffe in ihren Körper abzulehnen“, sagt Flaßpöhler, die übrigens selbst geimpft ist. Aber das nur am Rande.

Dann atmet sie kurz tief ein und aus und fügt an: „Zweitens finde ich es hochproblematisch, dass man politisches Versagen, das darin besteht, dass man Impfzentren geschlossen hat, dass man Tests kostenpflichtig gemacht hat, dass man es nicht geschafft hat, den Pflegesektor so umzubauen, dass nicht reihenweise Leute kündigen – was dazu geführt hat, dass wir 4000 Intensivbetten weniger haben – jetzt in einem Akt grandioser Komplexitätsreduktion und Projektion übertragen hat auf die Menschen, die von ihrem Recht Gebrauch machen, sich nicht impfen zu lassen.“

Sie wehre sich, sagt Flaßpöhler, auch dagegen, dass man „die Ungeimpften hinstellt als so ein unterschiedsloses dummes Kollektiv, die Ungeimpften, denn es gibt doch sehr unterschiedliche Motive, warum sich Menschen nicht impfen lassen wollen“. Das Recht auf Selbstbestimmung müsse man akzeptieren, findet Flaßpöhler, und mündige Bürger „nicht wegsperren wie kleine Kinder in einen Stubenarrest“.

Das Virus wird immer da sein

Eigentlich hätte man die Sendung an diesem Punkt auch abbrechen können. Denn damit war alles gesagt, was gesagt werden musste. Aber lauschen wir noch einen Moment dem Immunologen Carsten Watzl. „Dieses Virus wird immer da sein“, sagt Watzl. Und damit hat er Recht. Weiter sagt er: „In einer ganz nüchternen persönlichen Risikoabschätzung ist es für alle Altersgruppen sicherer, sich impfen zu lassen, als sich dem Risiko der Impfung auszusetzen.“ Auch damit hat er Recht. Aber Zahlen und Fakten sind eben auch nur Zahlen und Fakten, so scheint es. So wie Worte eben auch nur Worte sind in diesen Zeiten. Und ein jeder macht daraus, was er machen will.

Apropos Zahlen. „89 Prozent der Ungeimpften finden, dass die Medien einseitig über Corona berichten“, heißt es kurz darauf in einem Einspieler. „79 Prozent der Ungeimpften finden, dass die Grundrechtseingriffe durch die Corona-Beschränkungen schwerwiegender sind als die Gefahr durch das Virus.“ Und „68 Prozent der Ungeimpften glauben, dass Corona ein Vorwand ist, um mehr staatliche Kontrolle zu erhalten“.

Plasberg nennt so etwas Fake News. Weshalb auch immer, schließlich war es eine Umfrage. Flaßpöhler kontert folgerichtig, was daran Fake News sei? Schließlich sei doch bereits nachgewiesen, dass die Medien besonders am Anfang der Pandemie zu einseitig berichtet hätten, so Flaßpöhler. Dann redet sich Weil kurz in Rage und verteidigt den Journalismus, wohlwissend, dass Flaßpöhler selbst Journalistin ist, was ihn nicht weiter stört. Mascolo will Flaßpöhler dann auch einen mitgeben und fragt, „wohin führt ihre Argumentation?“, nur um die Antwort gar nicht erst abzuwarten.

Von Unausgewogenheit in der Berichterstattung will man jetzt nichts mehr hören in dieser Diskussion. Weil nicht, Mascolo nicht und Plasberg auch nicht. Der Einspieler von eben wird fortan ignoriert, als hätte es ihn nie gegeben. Die Notärztin schweigt, der Immunologe auch. Denn die Fronten sind jetzt geklärt und werden für den Rest der Sendung weitgehend geklärt bleiben: Alle für das Impfen, alle gegen Flaßpöhler. Dabei ist die gar nicht gegen die Immunisierung via Nadelstich, sondern nur gegen einen Impfzwang und für die Freiheitsrechte des Einzelnen. Spätestens hier wird einmal mehr deutlich, welch fragiles Gut die Freiheit doch ist.

Ein Recht auf Dummheit

Der Rest der Sendung plätschert vor sich hin. „Gibt es ein Recht auf Dummheit?“, fragt Plasberg irgendwann. Weil lobt 2G. Mascolo zitiert Gerichtsentscheidungen. Watzl findet, dass Arbeitgeber wissen sollten, ob ihre Mitarbeiter geimpft sind. Immerhin Notärztin Federle kritisiert irgendwann noch den „Zick-Zack-Kurs“ der Politik bei der Corona-Bekämpfung. Dass auch dieser dazu beigetragen haben könnte, dass ein nennenswerter Teil der Bevölkerung sich der Impfung verweigert, hätte noch ausführlicher diskutiert werden können. Doch die Platte hängt jetzt, wie sie schon seit Monaten hängt.

Irgendwann, nachdem nochmal alle Zahlen genannt und alle Risiken nochmal besprochen wurden, ist die Sendung dann vorüber. Zeit abzuschalten. Und vielleicht auch Zeit für einen kleinen Nachtspaziergang an der frischen Luft. Müdigkeit hin oder her. Schließlich kann in Zeiten wie diesen niemand mit absoluter Sicherheit sagen, ob das morgen noch erlaubt sein wird. Carpe diem.

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