Greta Thunberg - Winterliche Überhitzung

Der Klimawandel wird immer verrückter. Jetzt gibt es selbst im vorweihnachtlichen Winter schon ein Sommerloch. Oder wie soll man es sonst interpretieren, was da am Wochenende in einem ICE von Basel nach Hamburg mit Greta Thunberg und den Medien geschah?

Sitzstreik in der Bahn: Greta Thunberg / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Auf Twitter, dem Kurznachrichtendienst für Menschen mit einer kurzen Empörungsspanne, tauchte ein Foto auf. Es war ein Bild, das Kunden der Deutschen Bahn nur zu gut kennen. Ein Mädchen, das keinen Platz mehr bekommen hat, sitzt auf dem Gang, neben Koffern und Reisetaschen. Das ist business as usual bei der Bahn, ausgefallene oder verspätete Züge, auf den letzten Drücker gebucht, allein unter angetrunkenen Kegelvereinen. Alles schon erlebt.
 
Dieses Mädchen war aber nicht irgendein Mädchen. Es war Greta Thunberg, die Mutter der Klimaschutzbewegung, eine 16-Jährige, die um die Welt reist, um die Welt vor dem Weltuntergang zu retten. Sie war auf dem Nachhauseweg von der UN-Klimakonferenz in Madrid – mit dem Zug, 1. Klasse, soviel Luxus muss dann doch sein. Doch ach, ihr ICE  fiel aus – und damit fiel auch die Sitzplatzreservierung weg. Thunberg sah nicht gerade begeistert aus, aber sie nahm es sportlich. Auf Twitter schrieb sie:  „Traveling on overcrowded trains through Germany. And I’m finally on my way home.“

Der Tweet war kaum gesendet, da passierte etwas, was eigentlich immer passiert, wenn in China ein Reissack umkippt oder Journalisten viele Likes und Klicks wittern, weil ein von den Medien gehätschelter Liebling einen, Pardon, Pups lässt. Also alle auf die Bahn mit Gebrüll. Dann: Helle Aufregung bei der Deutschen Bahn.

Dass ihre Gäste in der 2. Klasse regelmäßig auf dem Boden sitzen, während in der 1. Klasse oft mehr als zwei Drittel der Plätze leer bleiben, darüber hatte sie bislang großzügig hinweggesehen. Aber musste ihr das ausgerechnet mit Greta Thunberg passieren? Was folgte, war eine beinahe untertänige Entschuldigung der Pressestelle auf Twitter. In Zeiten wie diesen reicht das für eine Story. Greta. Die Bahn. Die Suche nach dem Sitzplatz. Läuft.  
 
Dass Thunberg später richtigstellte, sie hätte die Reise ab Frankfurt in der 1. Klasse fortgesetzt, sie begrüße es im übrigen, dass so viele Leute mit dem Zug fahren, interessierte da schon keinen mehr. Es hätte nicht zu der Geschichte von der wütenden Greta gepasst. How dare you? Man kann eine Geschichte auch tot recherchieren.
 
Nur die Deutsche Bahn war jetzt um eine Richtigstellung bemüht. Sie hatte erfahren, dass ihr prominenter Fahrgast gar nicht die ganze Zeit auf dem Gang sitzen musste, sondern nur ein paar Stationen. Um ihren eigenen Hintern zu retten, rüffelte sie Thunberg  – nicht persönlich, aber wieder vor einem Millionen-Publikum, auf Twitter:

So etwas empört Bahn-Kunden natürlich, die sich kein Ticket für die 1. Klasse leisten können. Das weckt Schadenfreude bei Menschen, die immer noch davon überzeugt sind, dass es keinen von Menschen gemachten Klimawandel gibt und Greta Thunberg eine versnobte Göre und eine Vorbotin der Öko-Diktatur sei – oder beides.

Und dazwischen sitzt man als Journalist und schämt sich für seine eigene Branche. Und man fragt sich, wohin die Gier nach Skandalen und schnellen Klicks noch führen soll. Im Fall Thunberg fehlte jetzt eigentlich nur noch ein ARD-Brennpunkt: Ein Sommerloch in der Vorweihnachtszeit, wann hat es das schon mal gegeben?

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