Geschreddertes Banksy-Bild - Keine Aura ist doch auch ein hübsches Geschäft

Ästhetischer Populismus: Das von Banksy geschredderte Banksy-Bild zeigt die Scheinheiligkeit des Kunstmarkts

Erschienen in Ausgabe
„Banksy ist kein Rebell gegen den Kunstmarkt, sondern ein genialer Zocker“ / picture alliance
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Autoreninfo

Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Eine Kolumne über Banksy zu schreiben, war nicht meine Idee. Ästhetischer Populismus solle nicht über Gebühr belohnt werden. Jenes Bild vom Ballonmädchen, Spray auf Pappe, das am 5. Oktober exakt auf den Hammerzuschlag bei knapp 1,2 Millionen Euro durch den Goldrahmen geschreddert kam, war von den Medien doch bis zum Überdruss durchgenudelt worden! Die Redaktion ließ nicht locker, also leistet jetzt auch Cicero seinen ehrenamtlichen Beitrag zur Wertsteigerung von Spektakelkunst durch öffentliche Aufmerksamkeit.

Nachdem sich der Schock über die angebliche Selbstzerstörung des Werkes beim naiv kunstgläubigen Publikum gelegt hatte, kursierte schon bald in den einschlägigen Onlinemedien das Gerücht, Banksy selbst sei nicht nur Einlieferer, sondern auch der zuschlagende Bieter dieser Auktion gewesen. Abwegig wäre das nicht. Sein Freund, Damian Hirst, hat es ihm vorgemacht, damals, 2007, als der legendäre Diamantschädel zur Versteigerung kam. Bei hochpreisiger Kunst ist Insiderhandel nicht unüblich, denn der hilft, Wertansprüche hochzuschrauben und Preise zu halten.

Abgebrühter Rebell in den sozialen Medien

Mir ist unbekannt, ob die beiden Londoner Künstler, die ihre Werke als Risikokapital einsetzen und wie Hedgefondsmanager verwalten, in ihrem Tun historische Vorbilder sehen: Auf keinen Geringeren als Rembrandt van Rijn könnten die beiden sich berufen. Während jedoch der Amsterdamer Maler und Pionier des modernen Kunstmarkts als Einzelkämpfer 1656 in Konkurs ging, haben im Fall Banksy & Hirst zu viele schwerreiche Sammler ein Interesse daran, ihre spektakulären Publikumslieblinge am Markt nicht abstürzen zu lassen.

Von Englands bekanntestem Street Artist wurde 2007 ein Spraybild für 150 000 Euro versteigert, in elf Jahren ein Wertzuwachs um das Zehnfache. Banksy, abgebrühter Rebell in den sozialen Medien, ist weder bei Facebook noch Twitter. Auf Instagram folgen ihm viereinhalb Millionen Abonnenten. Robin oder Robert Banks, 1974 in Bristol geboren, soll schon als 14-Jähriger in der Sprayerszene gewirkt haben, eine Metzgerlehre schmiss er, wurde Straßenkünstler.

Banksy ist ein Wertpapierdrucker

Das Gefühl für Reproduktion muss er vom Vater geerbt haben, der einen Fotokopierladen betrieb. Die Inkunabel unseres Motivs sprayte Banksy erstmals 2002 in der Londoner South Bank auf die Betonplatten am östlichen Treppenhaus hoch zur Waterloo Bridge. Das Mädchen mit umwölkter Stirn erinnert an die altkluge Alice im Wunderland, sie überlässt mit bös entschlossenem Lächeln ihren herzförmigen Ballon den Winden.

Verfahrenstechnisch ist Banksy ein Wertpapierdrucker. Der Bluff der Schredderaktion besteht darin, glauben zu machen, es sei ein Original vernichtet worden. Doch das materielle Substrat des Mädchens mit dem Ballon ist nicht der Farbträger, sondern die Blechschablone, mittels derer das Motiv unendlich reproduziert werden kann. Es war die antiquierte Vorstellung vom Kunstwerk als auratischem Fetisch aus höheren Sphären, der im Schauprozess bei Sotheby’s von den Akteuren geschreddert wurde, darauf vertrauend, dass diese antiquierte Vorstellung sich unentwegt in den Herzen des Publikums erneuere. Das Schöne und Gute in der Kunst ist mentale Erbschaft über Jahrhunderte, verbrieft von der historischen Tatsache, dass bildende Kunst eine entlaufene Magd der Religion ist.

Banksy verkitscht die Marktkritik

Banksy ist kein Rebell gegen den Kunstmarkt, sondern ein genialer Zocker. Auch das ist eine Kunst, sich in der Maske von Robin Hood in die Happy Few zu katapultieren. Scheinheilig bleibt’s: der alte Selbstbetrug einer Boheme, sobald sie sich im Markt, durchgesetzt, wiederfindet. Banksy verkitscht die Marktkritik und tappt moralisch in die Falle wie schon Marcel Duchamp, der Altmeister von Dada und Surrealismus, der seine Readymades, jene Nichtkunst, bestehend aus industriellem Trödel, als überteuerte Nippsache an die amerikanische Haute volée verhökerte.

Das Geheimnis des Kunstwerts am Markt liegt in einer starken Behauptung. Wäre Banksy ein Robin Hood, er würde, Milton Friedmans Gedankenspiel folgend, mit seiner Schablone 1000 Ballonmädchen auf Papier versprühen und die Blätter als Helikopterware über London abwerfen. So wäre ästhetische Aufklärung angekurbelt: Einen Banksy für alle! Sotheby’s stünde da in nackter Schönheit und des Kaisers neuen Kleidern.

Dies ist ein Text aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.














 

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