Gentests bei Schwangeren - „Kinder mit solchen Behinderungen soll es nicht geben“

Ein Bluttest, der erkennt, ob Ungeborene das Down-Syndrom haben, könnte Kassenleistung werden. Die Frauenärztin Silke Koppermann über Schwangerschaftsabbrüche und Selektion

Bluttests können Teil der regulären Schwangerenversorgung werden / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Constantin Magnis war bis 2017 Chefreporter bei Cicero.

So erreichen Sie Constantin Magnis:

Anzeige

Es gibt Tests, die das Blut von schwangeren Frauen gezielt nach Hinweisen durchsuchen, ob das Ungeborene bestimmte Behinderungen hat, zum Beispiel das Down-Syndrom. Diese Tests werden bisher nur nach ausdrücklichem Wunsch der Eltern auf eigene Kosten durchgeführt. Nun hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das höchste Gremium des deutschen Gesundheitswesens, überraschend darüber beraten, nach welchen Kriterien diese Gentests in die reguläre Schwangerenversorgung aufgenommen werden sollen. Behindertenrechtler, viele Hebammen und auch Frauenärzte sind darüber entsetzt. Sie auch?
Dass darüber beraten wird, ist im Prinzip gut, weil es für diese Art von Bluttests bisher nur einen grauen, völlig ungesteuerten Markt gibt. Vom G-BA hieß es allerdings ursprünglich, man wolle diese Tests nur sehr begrenzt machen, bei bestimmten Risiken und in einer bestimmten Region, um das Verfahren vorsichtig zu überprüfen. Nun sieht es stattdessen danach aus, dass der Bluttest Teil der regulären Schwangerenversorgung werden soll. Das ist sehr problematisch.

Silke Koppermann

Bevor wir über die Problematik selbst sprechen: Bluttests gibt es bei uns seit 2012 auf dem Markt. Wie wurde denn bisher damit verfahren?  
Bisher gab es das sogenannte Ersttrimesterscreening als Leistung für Selbstzahler. Das sucht nach Hinweisen für genetische Besonderheiten. Erst wenn dort Auffälligkeiten aufgetreten sind, wurde in manchen Fällen zur Abklärung und wieder auf eigene Kosten, dieser Bluttest auf chromosomale Besonderheiten gemacht. Diese Schwelle soll nun entscheidend abgebaut werden.

Was genau würde eine Einführung in die Regelversorgung bedeuten? Dass solche Checks Pflicht sind? Dass Frauenärzte sie anbieten müssen? Und die Kasse sie grundsätzlich zahlt?
Das wird sich noch herausstellen. Die Hürden waren bisher auch deshalb so hoch, weil es vom G-BA immer hieß, ein Screening auf Down-Syndrom sei nicht Bestandteil der Schwangerenvorsorge. Die Fruchtwasserpunktion wurde anfangs auch nur bei besonderen Risikosituationen angewendet. Inzwischen ist dieses Verfahren in der Schwangerenvorsorge längst üblich. Wenn solche Bluttests also Kassenleistung werden, wird man sie keiner Frau verwehren können, die wissen will, ob ihr Kind ein Chromosom zu viel hat oder nicht.

Ihre Sorge und die vieler anderer ist nun, dass alles auf eine von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierte Routineuntersuchung hinausläuft, die gezielt nach Föten mit Behinderung sucht.
Ja, wenn es das als Kassenleistung gibt, vermittelt das die Information: Von einer Schwangeren wird erwartet, dass sie nach möglichen Behinderungen gucken lässt, und letztlich auch die Konsequenzen zieht.

Damit meinen Sie: sich für oder gegen eine Abtreibung zu entscheiden.
Ja.

Aus Ihrer Praxiserfahrung: Sind junge Eltern, Frauen in der Schwangerschaft, überhaupt selbstbewusst und informiert genug, um sich gegenüber einem straff organisierten Gesundheitssystem eigenständig für oder gegen solche Maßnahmen entscheiden zu können? Und welche Rolle spielen dabei die Ärzte?
Natürlich hängt viel von den behandelnden Ärzten ab. Ich erlebe immer wieder, dass Frauen in der zweiten Schwangerschaft zu mir kommen und sagen: „Beim letzten Mal wurden diese Tests einfach so mitgemacht, der Arzt hat gesagt: Das machen wir so, sie wollen doch sicherlich kein Kind mit Trisomie.“ Durch die breite öffentliche Diskussion beraten inzwischen allerdings die meisten Ärzte differenzierter. Aber natürlich vermittelt ein Arzt sehr stark eine Botschaft darüber, was er findet, was getan werden müsste. Und viele Frauen berichten, dass sie sich zu bestimmten Untersuchungen gedrängt fühlen. Nicht nur, weil Ärzte mit solchen Untersuchungen viel Geld verdienen, sondern auch, weil viele Ärzte Angst haben, dass ein Kind geboren wird, von dem es später heißt: Hat der Arzt nicht richtig geguckt? Hat er nicht richtig aufgeklärt?

Im Deutschen Ärzteblatt stand einmal: „Pränatalmediziner sind die einzigen Vertreter unter Ärzten, die mit juristischen Folgen rechnen müssen, wenn der ihnen anvertraute Patient nicht im gegebenen Zeitraum getötet wird.“
Das ist sehr hart formuliert, aber man kann es wohl so sagen. Über eines wird bei diesen Tests erst einmal gar nicht geredet: was die Konsequenzen sind. Und auch nicht darüber, warum eigentlich schon so früh untersucht werden muss. Man könnte ja sagen: Eine Untersuchung in der 25ten oder 30ten Woche reicht, dann kann man sich die Klinik aussuchen, falls das Kind einen Herzfehler hat. Aber diese frühen Untersuchungen sind erfunden worden, damit die Frau möglichst früh die Chance hat, einen Schwangerschaftsabbruch zu machen.

Weil es bei diesen Tests nicht um therapeutische Maßnahmen geht, sondern tatsächlich in erster Linie um die präventive Selektion kranker Kinder?
Ich würde nicht jedem Arzt und jeder Frau unterstellen, dass sie bewusst Selektion betreiben wollen. Aber im Ergebnis wüsste ich nicht, wie man das anders nennen soll.

Was ist Ihre Erfahrung: Wie viel Prozent der Frauen lassen das Kind nach einer Abweichung oder Unregelmäßigkeit abtreiben?
Es wird immer berichtet, dass Frauen bei 95 Prozent aller Kinder mit der Diagnose Down-Syndrom einen Abbruch machen. Allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass nur Frauen, die sich einen Abbruch vorstellen können, überhaupt diese Tests machen. Wenn man die abzieht, die bewusst auf eine Diagnostik verzichten, kommt man eher auf 80 Prozent. Aber solche hohen Zahlen haben natürlich auch einen Effekt auf die Frauen: Wenn 95 Prozent der Frauen die Schwangerschaft abbrechen, warum behalte ich dann das Kind?

Wie viel Information darf man, soll man, Eltern überhaupt zumuten?
Natürlich ist es ein Fluch, solche Dinge während einer Schwangerschaft entscheiden zu müssen. Die Frau ist müde, ihr ist übel, sie setzt sich mit gigantischen Fragen auseinander, und ich muss sie fragen: „Sollen wir gucken, ob wir sonst noch ein Problem finden?“

Wie präzise sind solche Tests eigentlich?
Gute Frage. Tatsächlich steigt nämlich die Zuverlässigkeit der Aussage mit der Höhe des zugrunde liegenden Risikos. Und diese Tests sind bisher an einem so genannten Risikokollektiv vorgenommen worden, also an Gruppen, in denen die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass er positiv ausfiel. Weil sich aber gezeigt hat, dass die Genauigkeit solcher Tests nachlässt, je breiter man sie anwendet, stellt sich sehr wohl die Frage, wie genau solche Tests sind, wenn man sie bei allen anwenden würde.

Wie geht man als Ärztin mit Schwangeren um, die nach einem solchen Check ein Kind mit einer Behinderung erwarten?
Ich versuche, mit den Frauen und ihren Familien herauszufinden, was für sie der richtige Weg ist. Meine persönliche Meinung zählt da nicht. Mein Ansatz ist es auch nicht, Frauen moralisch für die Entscheidung abzutreiben zu verurteilen. Aber man kann den schwangeren Frauen schon klar machen, dass es keinesfalls einen Automatismus gibt, nach dem eine Schwangerschaft bei einer Trisomie abgebrochen werden muss.

Wie erleben Eltern von Kindern mit Behinderung solche Tests?
Es mag welche geben, die sagen: „Hätte ich mal vorher gewusst, dass es solche Tests gibt.“ Aber ich kenne vor allem solche, die das als Angriff auf ihre Existenz empfinden. Dass systematisch danach gesucht wird, bedeutet für sie: Kinder mit solchen Behinderungen soll es nicht geben. Für die ist kein Raum. Das ist die Botschaft: Wer ein behindertes Kind hat, ist selber schuld.

Müsste eine Gesellschaft, die sich angeblich für Inklusion stark macht, nicht alles dafür tun, dass Menschen mit Behinderung nicht in eine solche Situation kommen?
Natürlich. Das ist ein seltsamer Widerspruch, dass eine Gesellschaft, die für sich in Anspruch nimmt, immer inklusiver und toleranter zu werden, gleichzeitig Mechanismen fördert, die darauf abzielen, dass es diese zu inkludierenden Menschen gar nicht mehr gibt. Dabei ist der Eindruck, den die Pränataldiagnostik vermittelt, man könne alles voraussehen und verhindern, so dass am Ende nur gesunde Kinder dabei herauskommen, sowieso ganz falsch. Die meisten Behinderungen kann man eben nicht voraussehen, und die Schwangerschaft ist von Natur her einfach ein Zustand, der nur begrenzt beeinflussbar ist.

Seit der Reform des Paragraphen 218 darf die Behinderung eines Kindes gar kein Grund zum Abbruch mehr sein, sondern nur noch eine Gefahr für Leben und Gesundheit der Frau. Allerdings wird inzwischen bereits die Trisomie 21 zur unzumutbaren Beeinträchtigung für das Leben der Frau erklärt.
Auf eine gewisse Art ist das natürlich verlogen. Es ist ein großer Fortschritt, dass es in der Bundesrepublik keine eugenische Indikation mehr gibt, die ist 1992 abgeschafft worden. Das ist ein Ergebnis sowohl der Diskussion um die deutsche Geschichte und Euthanasie als auch des Engagements der Behindertenverbände. Trotzdem ändert es an der Realität gar nichts, weil es genauso gehandhabt wird wie früher. Man könnte sagen: Jetzt wird die Verantwortung auch noch den Frauen in die Schuhe geschoben, weil die sich auf die Unzumutbarkeit berufen müssen. Vorher konnten sie es wenigstens noch auf den Rat des Arztes schieben.

Was für Erfahrungen haben Sie mit Müttern von Kindern mit Down-Syndrom gemacht?
Natürlich gibt es beim Down-Syndrom die falsche Vorstellung von einem unerträglich schweren Leben, das nicht lebenswert sei. Viele dieser Kinder sind gesund und können mehr als gemeinhin angenommen wird. Andererseits ist „Dinge zu können“ auch nicht das einzige Kriterium auf dieser Welt, warum Menschen glücklich sind. Es gibt übrigens auch viele positive Vorurteile zum Beispiel, dass Menschen mit Down-Syndrom alle freundliche, musische Sonnenscheine seien. Es gab vor vielen Jahren mal ein Kampagne, da sagt ein Junge auf einem Poster über seinen Bruder mit Down-Syndrom: „Mein kleiner Bruder ist genauso schrecklich wie alle anderen kleinen Brüder auch.“ Das fand ich sehr passend.

Frau Koppermann, vielen Dank für das Gespräch!

Silke Koppermann ist Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Hamburg und Sprecherin des Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik.

Anzeige