Identitätspolitik in Fußballstadien - Niederknien? Nur vor Orban

In Ungarn wurde die irische Nationalmannschaft ausgebuht, weil ihre Fußballer auf die Knie gingen, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Die UEFA lässt das zu. Dabei ist kaum ein Ort ungeeigneter als ein Stadion, um identitätspolitische Grundsatzdiskussionen anzuzetteln.

Niederknien: Der American Footballer Collin Kaepernick (Mitte) hat sich dieses Zeichen von Protest gegen Rassismus ausgedacht / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Man hätte gern das Gesicht von Viktor Orban gesehen, als vor dem EM-Testspiel Ungarn gegen Irland die irischen Fußballer auf die Knie gingen. Es ist eine Geste, die aus den USA kommt und die nach dem Mord an George Floyd auch in Europa immer mehr Nachahmer findet. Sportler wollen damit ein Zeichen gegen Rassismus setzen.

Nun ist Ungarns Regierungschef über den Verdacht erhaben, er sympathisiere mit People of Colour. Schon mehrfach hat ihn der Europarat aufgefordert, mit aller Deutlichkeit gegen rassistische Hetze in seinem Land vorzugehen. Und so wunderte sich eigentlich auch kaum niemand, als ungarische Fußballfans die irischen Nationalspieler ausbuhten und auspfiffen – und Orban diese unflätigen Reaktionen auf einer Pressekonferenz verteidigte. „Wenn Du zu Gast bist in einem Land, dann provoziere nicht die Ortsansässigen“, sagte er. Der Ungar knie höchstens vor dem lieben Gott nieder oder wenn er um die Hand seiner Liebsten anhalte. Wer wollte, konnte das als Kampfansage an die linke Identitätspolitik verstehen. Niederknien? Ja, bitte. Aber wenn schon, dann doch bitte vor ihm.

Sport ist Sport, Politik ist Politik

Die Kritik an dem Kniefall hat die Frage nach dem Verhältnis von Sport und Politik aufgeworfen. Oft hört man ja, politische Botschaften hätten per se nichts auf dem Fußballfeld verloren. Wer ins Stadion komme, wolle seine Lieblingsmannschaft anfeuern. Er wolle  Tore sehen. Er wolle den Alltag hinter sich lassen. Sport ist Sport, und Politik ist Politik. Aber ist das wirklich so? Nicht ganz. Denn der Eskapismus im Stadion kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Fußball auch eine politische Dimension hat.

Das fängt schon bei der Wahl der Austragungsorte von Weltmeisterschaften an. Wenn heute noch Menschen mit glänzenden Augen von der WM 2006 in Deutschland als „Sommermärchen“ schwärmen, dann schwingt ein Staunen darüber mit, dass es die lange als „Krauts“ geschmähten Deutschen geschafft haben, sich als weltoffene Gastgeber zu präsentieren. Und wenn mit Katar ein arabisches Emirat die WM 2022 austrägt, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, dann bringt das jeden Fußballer aus der westlichen Welt in ein  moralisches Dilemma. Möchte man noch Werbung für einen Staat machen, der es in Kauf genommen hat, dass auf Stadion-Baustellen tausende Gastarbeiter gestorben sind? 

Das Vaterunser der Fußballer

Dass die Grenze zwischen Fußball und Politik fließend geworden ist, hat 2018 auch der Fall Özil gezeigt. Wie groß war die Empörung, als der Profi nicht mit einstimmte, als seine Mannschaftskollegen die Nationalhymne sangen. Dass er hinterher sagte, er hätte stattdessen gebetet, diese Entschuldigung ließen viele nicht gelten. Die deutsche Nationalhymne, sie ist das Vaterunser der Fußballer. Wer sie boykottierte, konnte kein Deutscher sein – oder wenn doch, nur einer auf Bewährung.

Dass Mesut Özil wenig später mit seinem Kollegen Ilkay Gündogan für ein Selfie mit dem türkischen Präsident Erdogan posierte, schien diesen Verdacht zu bestätigen. DFB-Sponsoren ließen ihn fallen. Özil galt fortan als persona non grata. Sein Kollege Jérome Boateng hatte also doch Recht, als er sagte: „Wenn wir gut spielen, sind wir Deutsche. Wenn wir schlecht spielen, sind wir Ausländer.“

50.000 Euro Strafe für einen Militärgruß

2019 dann der nächste Eklat. Nach dem EM-Fußballspiel gegen Frankreich stellten sich türkische Fußballer vor den Fanblock und zeigten demonstrativ den militärischen Gruß – er galt Erdogans Armee, die gerade in Syrien einmarschiert war, um die Kurdenmiliz zu bekämpfen. Erdogans Vasallen kamen glimpflich davon. Die UEFA verhängte ein Bußgeld von 50.000 Euro.

Dagegen müssen Fußballer bei der EM nicht mit Strafen rechnen, wenn sie sie jetzt reihenweise vor Spielbeginn auf die Knie gehen. Die UEFA hat sich zwar gegen die Politisierung von Sport ausgesprochen. Aber über den Kniefall sieht sie großzügig hinweg. Mit ihrem Einverständnis dürfen Mitglieder der ukrainischen Nationalmannschaft bei der EM auch knallgelbe Trikots mit den Umrissen der Ukraine vor der russischen Annektion der Krim tragen. Dabei hatten die Funktionäre schon damit gerechnet, dass Russland dagegen protestieren würde. Damit sich Besatzer und Besetzte nicht auf dem Fußballfeld bekriegen, wurden beide Teams prophylaktisch in verschiedene Gruppen eingeteilt. Weil Russland mit seiner Kritik an den Trikots nicht nachgab, wurden die Ukrainer aufgefordert, wenigstens den Slogan „Ruhm für unsere Helden" zu entfernen

Dürfen Verbände die Augen vor Rassimus verschließen?

Es ist unmöglich, die Politik bei solchen Events außen vor zu lassen. Die UEFA ist deshalb gut beraten, alles zu tun, um zu verhindern, dass die Spieler auf dem Rasen aus der Rolle fallen. Aber kann sie es sich auch leisten, den Rassismus auf dem Spielfeld  und in den Fankurven zu ignorieren? Darf sie zusehen, wenn schwarze Profifußballer mit Affengeschrei verhöhnt werden? Oder wenn Spiele unterbrochen werden müssen, weil Spieler von Zuschauern rassistisch beleidigt werden? 

Nein, fand die UEFA. Schon 2016 hatte sie die Kampagne „Say no to racism“ gestartet. Fußballer aller Hautfarben durften mit feierliche Miene verkünden, dass sie gegen Rassismus seien. Fragt man den ehemaligen Fußball-Nationalspieler Gerald Asamoah, was solche Lippenbekenntnisse bringen, redet er nicht lange um den heißen Brei herum. Solche Kampagnen hätten nur Erfolg, wenn sie mit den Betroffenen zusammen konzipiert würden. Aber genau das sei das Problem der Fußballverbände. „Man redet nicht mit uns, sondern über uns.“

Armbinden als Zeichen der Solidarität mit George Floyd   

Asamoah  ist der erste gebürtige Afrikaner, der es in die deutsche Nationalmannschaft geschafft hat. Der Schalker weiß, wie es sich anfühlt, auf dem Spielfeld diskriminiert zu werden. Er hat selbst Beschimpfungen und tätliche Übergriffe erlebt. In den neunziger Jahren, hat er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk gesagt, hätte er seine Wut noch hinunterschlucken mussten, weil ihm kein Mitspieler zur Seite sprang. Heute sei das anders. Zumindest die farbigen Fußballer hielten zusammen.

Nach dem Mord an George Floyd haben sich zwanzig von ihnen Armbinden auf dem Spielfeld umgelegt, auf denen „Justice for George Floyd“ stand. Einer hatte sein Trikot gegen ein T-Shirt mit demselben Aufdruck übergezogen. Er bekam keine gelbe Karte, wie es normalerweise in solchen Fällen üblich ist. Ein Glück, sagt Asamoah, er hätte sonst den Glauben an den DFB verloren. Aber woher nimmt er das Recht, anderen seine Meinung aufzudrängen? Kaum ein Ort ist weniger geeignet als eine Fankurve, um identitätspolitische Grundsatzdiskussionen anzuzetteln. Auch Hooligans gehören da zum Inventar. Der Eklat ist programmiert. 

Zivilcourage kann man lernen   

Man muss nicht Viktor Orban heißen, um das Niederknien vor Spielbeginn zu kritisieren, ein Trend der mit der Bewegung Black Lives Matter aus den USA nach Europa geschwappt ist. Aber es hilft. Der Kniefall symbolisiert Demut. In den Augen alter weißer Männer ist das ein No-Go. Wie sagte schon der ehemalige US-Präsident Donald Trump: „Ihr Hurensöhne. Könnt Ihr nicht wenigstens zur Nationalhymne aufrecht stehen?“

Ob auch der DFB das Niederknien in Stadien erlaubt, dazu hat er sich noch nicht geäußert. Er wäre gut beraten, sich diesem Trend zu widersetzen und stattdessen auf Asamoah zu hören. Der Vater dreier Kinder geht schon seit Jahren in Schulen ein und aus, um Kinder davon zu überzeugen, dass die Hautfarbe für die Beurteilung eines Menschen keine Rolle spielen sollte. Vielleicht sollte ihn der DFB mit einer Kampagne beauftragen, die darauf setzt, Fußballfans in die Prävention einzubeziehen, statt sie zu belehren.

Im Idealfall passiert dann etwas, von dem Asamoah sagt, er würde sich das häufiger wünschen. Bei einem Fußballspiel schlugen aufmerksame Fans Alarm, als ein schwarzer Spieler vom Rand aus beschimpft wurde. Der Rassist flog aus dem Stadion. Zivilcourage kann man also lernen. Nicht zu pfeifen oder zu buhen, weil man sich darüber ärgert, dass Fußballspieler auf die Knie gehen, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen, muss hingegen nicht Gegenstand von Workshops  sein.

Das gebietet eigentlich schon die Höflichkeit.

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