Ins Abseits geplappert - Fünf schlechte Schweiger

Wenn Sie nur geschwiegen hätten: Fünf Fallbeispiele aus der deutschen Politik, die zeigen, wie man sich ins Verderben stürzt – und wie viel Macht in der Dosierung der eigenen Worte liegt

(picture alliance, Kollage: Cicero Online) Schweigen ist Gold – dieses Sprichwort hätten auch diese fünf deutschen Politiker beherzigen sollen
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Der Spruch geht auf den spätrömischen Gelehrten Boëthius zurück: „Si tacuisses, philosophus mansisses.“ – „Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben.“ In Boëthius’ im 6. Jahrhundert verfassten Werk „Trost der Philosophie“ fragt ein Aufschneider sein Gegenüber: „Intellegis me esse philosophum?“ – „Siehst du ein, dass ich ein Philosoph bin?“ Die Antwort: „Intellexeram, si tacuisses.“ – „Ich hätte es erkannt, wenn du geschwiegen hättest.“ Daran werden in der heutigen Politik immer wieder Mächtige erinnert, die sich ins Abseits oder sogar um ihr Amt reden. Fünf Fälle aus den vergangenen Jahren haben wir uns genauer angesehen. Zudem haben wir – ziemlich erfolglos – die fünf Betreffenden um Stellungnahme gebeten. Von Boëthius’ Sinnspruch existiert im Übrigen auch eine zeitgenössische Version des österreichischen Kabarettisten Josef Hader, die lautet: „Hätts’t die Pappn g’holtn, hätt kaner g’merkt, dass’d deppat bist.“

„Spätrömische Dekadenz“
Guido Westerwelles Artikel war kurz, aber heftig. Welt vom 11. Februar 2010, Seite 6, sechs Absätze, Titel: „Vergesst die Mitte nicht“, Hinweis: „Der Autor ist Vizekanzler und FDP-Vorsitzender.“ Der Gastkommentar erschien nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Hartz‑IV‑Sätze für Kinder gekippt hatte. Schnell kam Westerwelle auf den Punkt, auf seine ewige Mehr-Netto-vom-Brutto-Botschaft. „Wie in einem pawlowschen Reflex wird gerufen, jetzt könne es erst recht keine Entlastung der Bürger mehr geben, das Geld brauche man für höhere Hartz‑IV‑Sätze.“ Er kommentierte sich zum Anwalt der fleißigen Mitte und präsentierte dann den Hauptschlag: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“

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Der Satz trägt eine seltsame Denkrichtung in sich, es geht von oben nach unten, vom Vorzeigen einer humanistischen Bildung direkt runter zu den Hartzern. Die Opposition hat das erkannt und sich den Satz gleich zur Empörung vorgenommen, die CSU hat ihn genutzt, um Westerwelle taktische Fehler vorzuwerfen, und Ursula von der Leyen hat sich auch noch ein bisschen profiliert. Die FDP tuschelte, was dieses Erdbeben bloß wieder bedeute.

Zu besichtigen war hier ein Grundfehler, man kann sagen der Westerwelle‑Defekt. Eigentlich geht der Mechanismus so: Ein Oppositionsmann redet sich hoch. Oben angekommen, schaltet er um. Die Kraft liegt dann im Handeln, und ein guter Regierungspolitiker spart mit seinen Worten so, dass sogar Äußerungen wie Taten daherkommen.

Westerwelle konnte nicht raus aus dem Oppositionsmodus, in dem er sich über ein Jahrzehnt befand, als er die Talkshows und Regionalzeitungen abgeklappert hat. Der Vizekanzler regierte nicht, er redete. Statt zu schweigen, hat er noch einmal das zelebriert, was er kannte und konnte. Und so bot er der Welt den Dekadenz- Kommentar an.

Es war nicht eine unmittelbare Folge, dass er die Ämter als Vizekanzler und FDP-Vorsitzender verlor, aber der Satz mit der spätrömischen Dekadenz ist der Moment, von dem sich eine Linie ziehen lässt, bis seine Parteifreunde ihn dann 2011 vom Vorsitz verdrängt haben. Jetzt, am Ende seiner Amtszeit als Außenminister, bekommt er immer mal wieder gute Kritiken. Nicht, weil er viel tut. Weil er schweigt.

Unsere Bitte um Stellungnahme beantwortet Westerwelles Ministerium so: „Vielen Dank für Ihre Anfrage, die wir leider absagen müssen. Mit freundlichen Grüßen Pressereferat“.

Seite 2: Herta Däubler- Gmelin und ihr Bush-Hitler-Vergleich 

„Der Bush macht das Gleiche, was der Adolf gemacht hat“
Es kann schon sein, dass sie nicht nur dieses Zitat das Amt gekostet hat, sondern vor allem die furchtbare Rechthaberei danach. Am Ende hat es mindestens drei Grundversionen davon gegeben, was die damalige Bundesjustizministerin Herta Däubler- Gmelin über Hitler und Bush so geäußert hat an jenem 18. September, vier Tage vor der Bundestagswahl 2002, als sich Schröder und Stoiber ein knappes Rennen lieferten. Aber zunächst der Rahmen. Personen: die SPD-Politikerin Däubler-Gmelin; Michael Hahn, Wirtschaftsredakteur des Schwäbischen Tagblatts in Tübingen; Christoph Müller, Chefredakteur des Tagblatts. In Nebenrollen Gewerkschafter, Tagblatt-Redakteure, Berliner Journalisten. Szene eins: Mittagessen in der Sportgaststätte des TSV Derendingen, am Tisch Däubler- Gmelin, ihr gegenüber Hahn, dazu etwa 30 Gewerkschafter. Diskussion über den deutschen Wahlkampf, die bösen USA, den Irakkonflikt, die sehr bösen USA, George W. Bush, die superbösen USA. Szene zwei: Hahn kommt in die Redaktion: Heilandsack, was er da im Block hat! Später telefoniert er mit einer aufgeregten Däubler-Gmelin. Noch später kommt Däubler-Gmelin in die Redaktion (noch aufgeregter). Szene drei: Däubler-Gmelin in der Bundespressekonferenz, Freitag vor der Wahl, Hitze des Gefechts.

Nun die drei Versionen des Zitats.

1. „Der Bush macht das Gleiche, was der Adolf auch gemacht hat. Er geht nach außen.“ So hat es der Redakteur Hahn nach eigenen Angaben in sein Notizbuch geschrieben.

2. „Bush will von seinen innenpolitischen Problemen ablenken. Das ist eine beliebte Methode. Das hat auch Hitler schon gemacht.“ So hat es die Politikerin nach Darstellung des Redakteurs und seines Chefredakteurs während ihres aufgeregten Anrufs gesagt.

3. Nachdem ein Teilnehmer darauf hingewiesen habe, dass Bush mit der Irakpolitik von innenpolitischen Problemen ablenken wolle, sagte sie: „Das kennen wir aus unserer Geschichte seit Adolf Nazi.“ So hat sie es am übernächsten Tag vor der Bundespressekonferenz erklärt.

Im Laufe der Affäre hat Däubler- Gmelin noch viel mehr gesagt, grundsätzlich, aber auch zu den Details von den Details. Dass der Bericht Verleumdung sei. Dass sie nichts autorisiert habe. Dass sie gesagt habe, sie habe nicht Hitler mit Bush vergleichen wollen (was so auch im Tagblatt stand). Dass es ein internes Mittagessen war. Dass es sich um ein Wahlkampfmanöver handle. Dass der Fehler darin bestehe, dass hier nur Lokalreporter am Werk waren (wobei Pech war, dass Hahn Politologie in Washington studiert hat). Dass sie nicht zurücktreten werde.

Däubler-Gmelin trägt einen Spitznamen. Schwäbische Schwertgosch. Das Bild führt in die Irre, wenn man sich darunter eine Kämpferin vorstellt, die das Schwert elegant führt, bevor sie zustößt. Däubler-Gmelin fuchtelte und stocherte herum. Sie hat sich nicht lösen können von ihrer Rechthaberei und nicht erkannt, dass es in der Politik darauf ankommt, wie etwas ankommt. Auch wenn es im Detail nicht so gemeint war. So verpasste sie die Chance zu einer schnellen, klaren Entschuldigung.

Wir haben im Übrigen noch einen Akteur vergessen. Gerhard Schröder. Als die Affäre aufkommt, sagt er, dass er einerseits seiner Ministerin glaube, nicht Bush mit Hitler verglichen zu haben. Und zweitens, dass jemand, der so einen Vergleich anstelle, nicht in seiner Regierung sitzen könne. Er schreibt noch einen Brief an Bush. Dann wartet er bis zur Schließung der Wahllokale. Däubler- Gmelin hat viel später einmal erzählt, sie habe erwartet, dass der Kanzler noch eine Ehrenerklärung für sie abgibt. Hat er nicht. Erst als Däubler-Gmelin am Montag nach der Wahl erklärt, sie wolle nicht mehr Ministerin sein, äußert sich der Kanzler. „Menschlich hochanständig“ sei der Schritt. „Und politisch unglaublich konsequent.“

Die Cicero-Anfrage an Herta Däubler- Gmelin blieb unbeantwortet.

Seite 3: Kurt Beck, „der LKW aus Mainz“ 

„Dann machen wir’s halt so“
Im Hamburger Ratskeller hat Kurt Beck gespeist und mit den Journalisten geredet. Montagabend, Michael Naumann war anwesend, der gerade als Bürgermeister kandidierte, und Günter Grass, der damals schweigsamer war als heute. Eine Runde Journalisten saß dabei, das Gespräch kam auf Hessen. Die SPD hatte eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen, die dortige Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti hatte ihr Wort gegeben. Die FDP wollte nicht in eine Ampelkoalition einsteigen, und jetzt war die Frage, ob Ypsilanti einfach ohne Koalition kandidiert im Landtag von Wiesbaden und sich zur Ministerpräsidentin wählen lässt – egal, ob die Stimmen von der Linkspartei kommen. Die Stimmung war aufgeladen wie nur was. Rechte SPD gegen linke SPD. Koch gegen Ypsilanti. Ächtung der Linken gegen Annäherung an die Linke. Würde er so ein Wahlszenario gutheißen?, wurde Beck gefragt. Völlig überraschend sagte er Ja.

Der Termin im Ratskeller war zwar ein Hintergrundgespräch, aus dem Journalisten nicht gleich zitieren dürfen, aber im Prinzip kapiert jeder kleine Abgeordnete recht schnell, dass trotzdem Informationen aus so einem Gespräch herausquellen, schließlich treffen sich Journalisten und Politiker ja abends nicht aus reiner Eitelkeit, sondern auch, weil die eine Seite Informationen loswerden will. Bei den Hintergrundgesprächen läuft es dann manchmal so, dass die anwesenden Journalisten Vertraulichkeit geloben, und kaum, dass sie die Veranstaltung verlassen haben, tratschen sie die Chose abwesenden Kollegen weiter, die ja rein gar nichts versprochen haben. Die berichten dann und revanchieren sich beim nächsten Mal.

Vielleicht gehört das zu den Sitten, die Kurt Beck an Berlin so aufgeregt haben. Vielleicht hat er aber einfach die Kunst nicht beherrscht, Nähe herzustellen und trotzdem seine Worte zu dosieren: ein schlechter Schweiger.

Am übernächsten Tag liefen Ticker- Meldungen der Neuen Presse aus Hannover und des Wiesbadener Kuriers. Der Kölner Stadtanzeiger zitierte Beck im Originalton. Ypsilanti mit Stimmen der Linken? „Dann machen wir’s halt so.“

Die CDU jubelte: Die linksfixierte Wortbruch-SPD, was für ein Wahlkampfhit für Hamburg! Der SPD-Kandidat Michael Naumann war wütend über – so wurde er hinterher zitiert – den LKW aus Mainz, der seinen Wahlkampf platt walzte. In Teilen der SPD-Führung setzte sich in diesen Tagen die Überzeugung fest, dass Beck dem Job nicht gewachsen ist. Nicht unbedingt, weil er die Linken zu tolerieren bereit war. Sondern vor allem, weil er das Berliner Spiel nicht kapierte.

Wie Kurt Beck die Sache heute sieht? Er schwieg.

Seite 4: Rudolf Scharpings Angriff auf den Kanzler

Wein, Grappa, Grippe
Was kann man Rudolf Scharping zugutehalten? Dass er erkältet war? Dass er Wein getrunken hatte? Und Grappa? Dass ihm beim Dementi noch das schöne Worte „Schafscheiße“ eingefallen ist?

1999 ging es Rot‑Grün schlecht. Nichts klappte, die Hessenwahl war verloren, von der Troika Lafontaine, Scharping und Schröder waren im Herbst nur noch die letzten beiden übrig. Scharping, Bundesverteidigungsminister, reiste nach Sardinien zu einer Sicherheitstagung. Im Casino eines Nato-Stützpunkts namens Decimomannu speiste er mit seinem Tross, der aus Offizieren und Journalisten bestand. Nach dem Essen fing er an: Schröder, seine Eignung als Kanzler, sein distanziertes Verhältnis zur SPD. Die Journalisten versammelten sich um ihn. Ein Verteidigungsminister, der seinen Kanzler angreift? Toll.

Die Sache ist berichtet worden, zuerst natürlich von Journalisten, die nicht mit dabei und deshalb nicht an die Kautelen eines Hintergrundgesprächs gebunden waren. Schröder hat ein paar Tage später darauf reagiert.

„In dem Moment, wo wir beginnen, Erfolg zu haben, in einem solchen Moment darf auf gar keinen Fall eine kontroverse Personaldebatte geführt werden.“ Leise, aber scharf, klang diese Warnung.

Vielleicht war der Vorfall der Anfang von Scharpings Abstieg als Minister, obwohl er noch bis 2002 im Kabinett geblieben ist. Er prägte jedenfalls das Bild von einem Politiker, der sich selber nicht kennt. Denn man muss wissen, was man sich leisten kann, was zur eigenen Rolle passt und zur Stärke der eigenen Position. Zum guten Schweigen gehört die gute Selbstbeobachtung.

„Meine Antwort ist, dass aus meiner Sicht kein Grund besteht, eine Verfälschung meiner damaligen Äußerungen (zudem unter Bruch journalistischer Regeln über ein Hintergrundgespräch) noch einmal zu kommentieren. Mit der Bitte um Verständnis und mit besten Grüßen. Rudolf Scharping“.

Seite 5: Horst Köhler: „Militärischer Einsatz für freie Handelswege“

„Militärischer Einsatz für freie Handelswege“
Horst Köhler hatte in einem Ledersessel des Präsidentenflugzeugs gesessen, als er sich aus dem Amt redete. In einem fliegenden Besprechungsraum der „Theodor Heuss“ fand das Interview mit einem Redakteur des Deutschlandradios statt – Thema abgesprochen, Pressesprecher dabei, alles hochoffiziell. Auf dem Band von damals hört man die Düsen der Maschine summen. Als der Redakteur fragt, ob ein neuer Diskurs über den Afghanistaneinsatz nötig sei, holt Köhler aus. Die Antwort dauert schon über eine Minute, als er diesen verschachtelten Satz sagt: „Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“

Deutschlandradio Kultur sendet das Interview am nächsten Morgen, es ist der 22. Mai, ein Samstag. Im Berliner Betrieb wird das Zitat zunächst praktisch ignoriert. Eine einzige Nachrichtenagentur bringt den Satz im letzten Absatz einer müden Meldung. Und der Politbetrieb, auf dessen Kosten sich Köhler ganz gern profiliert hat, verschläft die Gelegenheit, es mal andersherum zu machen. Im Grunde bringen den selbst inszenierten Bürgerpräsidenten die Bürger zu Fall. Sie schicken jede Menge Mails ans Deutschlandradio. „Ist ja wirklich harter Tobak, was der Köhler da loslässt“, schimpft ein Hörer: „Wir bomben uns zum Exportweltmeister.“ Es wird Sonntag, es wird Montag, keine Medienlawine. Nur Blogger greifen das Zitat auf, sozusagen die Netzbürger. Dienstag, Mittwoch. Am Donnerstagmorgen schließlich reagiert der Deutschlandfunk, der Kölner Bruder des Deutschlandradios, auf die ganze Hörerpost und befragt den CDU-Politiker Ruprecht Polenz. Der Präsident habe sich missverständlich ausgedrückt, sagt der. Und unglücklich.

Erst dann ist die Hölle über Köhler hereingebrochen. SPD, Linke, Grüne spucken Feuer. Unkenntnis, Ungeschicklichkeit, Wirtschaftskriege, Kanonenbootpolitik, lose rhetorische Deckskanone. Parteichefs, Fraktionsgeschäftsführer und Fachpolitiker melden sich. Und das ist neu, denn bis zu diesem Zeitpunkt ist auch die Berliner Republik sanft mit ihren Bundespräsidenten umgegangen. Nun aber wollen alle mal, und vielleicht hat das ja daran gelegen, dass Köhler sich so gern auf Kosten der Berliner Politik profiliert hat. Nur die Bundeskanzlerin hat in diesen Tagen nichts gesagt, was Köhler auch nicht so besonders motiviert haben wird. Er selbst hat sich dann am Montagmorgen, zehn Tage nach dem Flugzeuginterview, noch mal zu Wort gemeldet. Er sprach in kurzen Hauptsätzen – von denen der wichtigste dieser war: „Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten.“

Köhlers Sicht? Das Büro des Altbundespräsidenten teilte Cicero mit: „Haben Sie herzlichen Dank für die Anfrage an Herrn Bundespräsidenten a. D. Köhler. Leider kann er zur nächsten Ausgabe des Cicero keinen Beitrag beisteuern.“
 

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