Frauenrechtlerin gründet Moschee - „Den Islam nicht den Radikalen überlassen“

Die Frauenrechtlerin Seyran Ates hat eine liberale Moschee in Berlin gegründet. Die Eröffnung fällt mitten hinein in die Debatte über den Umgang der Muslime mit dem islamistischem Terror. Ates will, dass die friedliebenden Muslime endlich Gesicht zeigen

Seyran Ates bei der Eröffnung der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin / picture alliance
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Seyran Ates hat in diesen Tagen eigentlich keine Zeit für ein Gespräch. Die Berliner Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin hat am Freitag die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee im Stadtteil Moabit eröffnet. Ein Projekt, an dessen Planung Ates acht Jahre gearbeitet hat. Dass die Moschee gerade jetzt ihre Türen öffnet, ist Zufall. Aber es fällt mitten hinein in die Debatte über den Umgang der Muslime mit dem islamistischen Terror. Nach den Anschlägen in London und Manchester hat die wieder an Fahrt aufgenommen, auch in Deutschland.

Am heutigen Samstag haben andere Muslime einen Friedensmarsch in Köln organisiert. Doch einer der wichtigsten Verbände, die Ditib, will nicht daran teilnehmen. Ates Beitrag zu der Debatte ist Offenheit, die sie mit ihrer Moschee demonstrieren will. Frauen und Männer sollen dort gemeinsam beten können. Frauen dürfen auch predigen, und zwar auf Deutsch. Homosexuelle sind willkommen. Und vor allem: Der Koran wird modern und liberal ausgelegt. Alle Strömungen des Islam sollen Platz finden: Sunniten, Schiiten, Aleviten, Sufis. In einer kurzen Pause der Eröffnungsfeierlichkeiten haben wir Ates ein paar Fragen stellen können. 

Frau Ates, ein Berliner Stadtmagazin hat Sie als „mutigste Frau Berlins“ bezeichnet. Muss man Mut haben, um eine liberale Moschee zu eröffnen?
Leider ja. Ich würde mir auch wünschen, dass das nicht so wäre. Aber viele haben mir gesagt, dass sie sich nicht trauen, in die Moschee zu kommen. Und manche sind während der Vorbereitung abgesprungen, weil sie Angst hatten. 

Sind sie auch selbst bedroht worden?
Bisher noch nicht. Aber ich habe viele heftige, beleidigende Nachrichten erhalten. Vor allem aber gab es Glückwünsche.

Was wollen Sie denn mit der Moschee erreichen?
Wir wollen vor allem, dass die Leute bei uns als Menschen vor Gott treten. Dass niemand sich diskriminiert fühlt und sich auch nicht rechtfertigen muss, ob er seine Religion streng genug auslebt oder nicht. Wir fragen niemanden, wie oft er heute schon gebetet hat und wie oft er das noch tun wird. 

Wie wollen Sie es schaffen, dass auch eher konservative Gläubige den Weg zu Ihnen finden?
Wir schlagen auch vor denen die Tür nicht zu. Auch sie finden hier einen Raum, in dem man Fragen stellen kann. Heute zur Eröffnung kamen viele Frauen in traditionellen Gewändern und die haben neben Frauen ohne Kopftuch gebetet. Für mich ist das ein positives Signal.

Sie haben im Vorfeld gesagt, dass hinter der Moscheegründung auch die Frage steht, wo denn all die friedliebenden Muslime sind. Wo sind die denn?
Ich hoffe natürlich, dass die jetzt zu uns kommen. Und ich hoffe, dass die am heutigen Samstag in Köln beim Friedensmarsch der Muslime gegen Gewalt und Terror auf die Straße gehen. Die sollen sich jetzt endlich zeigen. Wir Aktivisten können der Mehrheit der Muslime, die gegen Gewalt ist, nur Angebote machen. Wir wollen denen, die einen modernen, friedlichen, liberalen und toleranten Glauben leben wollen, einen Ort geben. Aber sie müssen dann auch hingehen.

Nun hat man aber den Eindruck, dass in Deutschland vor allem die konservativen Islamverbände den Dialog prägen. Stimmt das?
Die haben die Deutungshoheit über den Islam, ganz klar. Sie sitzen als einzige Ansprechpartner für die Politik zurzeit in der Islamkonferenz und werden deshalb als Partner in der Zusammenarbeit gewählt. Das möchte ich denen gar nicht zum Vorwurf machen, dass sie aktiv sind. Ich kann nur den anderen zum Vorwurf machen, dass sie nicht aktiv sind. 

Jetzt hat zum Beispiel der Verband Ditib gesagt, dass sie am Friedensmarsch nicht teilnehmen wollen, unter anderem mit dem Argument, dass man sich ja schon oft genug von islamistischer Gewalt distanziert habe. Was sagen Sie dazu?
Das ist traurig. Die Ditib macht das gleiche Spiel wie immer, indem sie sagen, dass sie sich nicht distanzieren müssen, weil die Deutschen sich ja auch nicht von der NSU distanzieren müssen. Eigentlich kann man das gar nicht mehr kommentieren, die vom Ditib sind da einfach unbelehrbar. Dieser Vorwurf der Verbände hat schon einen so langen Bart. Wir Muslime tragen eine Mitverantwortung für die Radikalisierung Jugendlicher, wenn wir ihnen keine Alternativen zu Hasspredigern bieten. Und die Verbände tragen eine Mitverantwortung dafür, wenn in ihren Moscheegemeinden Radikalisierungen stattfinden und junge Menschen in den Dschihad ziehen.

Die Gewalt hat also mit dem Islam zu tun?
Natürlich. Wenn die Terroristen sich bei ihren Anschlägen auf den Islam berufen, wenn sie „Allahu Akbar“ rufen, wenn sie in die Moschee gehen, um zu beten, dann hat es etwas mit dem Islam zu tun. Auch diese Diskussion hat einen langen Bart. Wir Muslime müssen raus aus diesem Hamsterrad, dass wir das verleugnen. Die Attentäter begreifen sich doch nun einmal als Muslime. Ob sie den Islam richtig auslegen, das ist eine andere Sache. Da ist es unsere Verpflichtung als Muslime einzugreifen, etwas zu verändern. Und das möchten wir mit der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee tun. 

Sie selbst haben sich täglich mit dem Bau der Moschee beschäftigt und dabei auch mit dem Islam. Wie hat das Ihren Zugang zur Religion verändert?
Ich bin nicht gläubiger geworden, dass war ich eh. Je mehr ich mich aber mit dem Islam beschäftige, umso mehr wird mir bewusst, wie wenig ich weiß, aber auch, dass ich das Richtige tue. 

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