Frankfurter Buchmesse 2020 - Buchmesse, und nichts passiert ...

Die diesjährige Frankfurter Buchmesse ist eröffnet. Aufgrund steigender Corona-Zahlen wird sie in diesem Jahr nahezu ausschließlich im Netz stattfinden. Ein Zwischenruf zum Ende der Gutenberg-Galaxis.

Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Haben Sie auch manchmal das Gefühl, dass dieser Tage nichts mehr passiert? Wohin man auch schaut, herrscht Langeweile. Früher, da war noch Bewegung – und sei es nur, weil man sich in einer Fußgängerzone von einem Schaufenster zum nächsten forttreiben ließ. Die Intellektuelleren unter uns passierten damals sogar ganze Bücherregale, Meter für Meter fundiertes Wissen. In ihrem Hunger nach Bildung gingen diese Menschen in riesige Bibliotheken hinein und hangelten sich dort an den einzelnen Buchbeständen entlang, schritten von einem Wissensgebiet zum nächsten, von einer Publikation zu einer jenen. 

Dazwischen aber geschah etwas, denn dazwischen passierten sie weitere Bücher, eine komplexe literarische Ordnung, eine gewaltige Architektur des Wissens – wie einst in Borges „Bibliothek von Babel“ oder in Umberto Ecos „Name der Rose“; nur eben alles noch ein bisschen größer und auf moderner getrimmt.

Die Bibliothek von Babel

Oft hatten diese Menschen die Bücher, die da am Wegesrand lagen, gar nicht einmal im Visier – wenn sie sich etwa von Kafka nach Kierkegaard fortbewegten, passierten sie vielleicht kleine Gedichtbändchen von Paul Klee, blieben unter Umständen sogar hier und da stehen, lasen im Idealfall gar zwei, drei Zeilen: „Diesseitig bin ich gar nicht faßbar“, hieß es da etwa bei Klee, „Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich. / Und noch lange nicht nahe genug."

Und so ging es weiter: Von Klee zu Kluge, von Kluge zu Konfuzius. Atlanten von Giovanni De Agostini folgen auf Bildbände von Hieronymus Bosch. Es war eine unendliche Reise durch die Weiten der alten Gutenberg-Galaxis. Und der Weg war ihr Ziel, egal ob in Buchhandlungen, Bücherhallen oder auf Buchmessen. Es ging nicht so sehr ums Finden einer angepeilten Literatur, es ging eigentlich nur ums Passieren, Meter für Meter, Buchdeckel für Buchdeckel.

Wenn nichts mehr passiert

Jetzt passiert nichts mehr. Jedenfalls nicht mehr wie früher. „Das Lesepublikum holt sich die Stars einfach zu sich nach Hause“ steht da auf der Internetseite der heute eröffneten Frankfurter Buchmesse. Ein Klick, und man ist in einer anderen Welt. Home Office meets Buchmesse. Räume verschränken sich in der virtuellen Realität ineinander. Diese Buchmesse 2020 ist eine „Special Edition“, wie es die Macher um Buchmessen-Direktor Juergen Boos nicht müde werden zu betonen. Zunächst mit nur wenigen Ausstellern und Teilnehmern angedacht, liegt sie mittlerweile nahezu menschenleer im Schatten des Frankfurter Messeturms. Ein „Signal of Hope“, so zumindest der weit sichtbare Claim bei der Pressekonferenz am Dienstagmorgen in der Frankfurter Festhalle.

Es ist eine weit ausladende Kulisse. Verloren sitzt Buchmessen-Direktor Boos zusammen mit Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und Karin Schmidt-Friedrichs, Vorsitzende des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, auf einer riesigen Bühne und kann es offensichtlich noch immer nicht fassen. Am Montag hatte er bekannt geben müssen, dass die Messe aufgrund „steigender Infektionszahlen in Frankfurt am Main und bundesweit“ endgültig und ausschließlich digital stattfinden werde.

Das neue Normal

All die Regalmeter Literatur, die feinsäuberlich bedruckten Seiten, die ganze Haptik unserer Kultur – all das wird in Frankfurt ungesehen bleiben. Die Messehallen jedenfalls stehen leer. Niemand der schreitet, blättert, liest, passiert. „Es wird einen Mix aus realen und digitalen Elementen geben“, spricht Juergen Boos in die Leere des Festsaals sowie in die Mikrofone einiger herumstehender Fernsehkameras hinein. Elemente, die das „neue Normal“ ausmachten – jenen Zustand also, in der die vormals dreidimensionale Welt in einem Kosmos aus Bildern und Daten entweicht. Frankfurt, die Verlagsstadt, in der seit den Tagen Gutenbergs Messen für bedruckte Bücher stattfinden, erlebt dieser Tage das Verschwinden des Außen.

Doch bei der digitalisierten Alternative hat man sich durchaus Mühe gegeben. Wer sich auf der Internetseite der Buchmesse registriert hat, der kann bald an einem vielfältigen Programm aus Lesungen, Diskussionen, digitalen Konferenzen und interaktiven Angeboten teilnehmen. Da gibt es etwa Panels zur „Zukunft von Buchmessen“, sogenannte „Matchmarking-Tools“, mit denen man „passgenaue Business-Partner“ finden kann und „Interaktive Networking-Events für Begegnungen wie vor Ort“. 

After-Work-Party im Netz

Sogar den legendären Frankfurter Hof, seit Jahrzehnten der eigentliche Hot-Spot der Messe, an dem nach Feierabend Kontakte, Deals und kleinere Tête-à-Têtes angebahnt werden, gibt es in diesem Jahr als digitale Simulation. Eine Mischung aus Tinder, Facebook und Second Life.  Bilder von der Autorenbar und passende Wallpapers zum „eingrooven“ stehen bereits jetzt zum kostenlosen Download bereit. 

„Ich hoffe, dass unsere digitale Messe Kontakte bringt, gerade dann, wenn wir sie so nötig brauchen“, sagt Boos und blickt in die Tiefe des leeren Raumes hinein. Es sei jetzt eine Chance, um zu lernen. Die digitale Transformation nämlich schreite voran. Vermutlich ist diese in den letzten Monaten so oft beschworene digitale Transformation aber auch schon das einzige, was weiterhin schreitet an diesem traurigen und Corona-geplagten Morgen in Frankfurt am Main. 

Keine Bewegung

Eine Messe jedenfalls, soviel steht fest, ist das nicht, was da heute in Frankfurt eröffnet – schon gar nicht eine Buchmesse. Messe nämlich kommt von „missa“, dem lateinischen Wort für Aussendung. Doch wen und wohin soll man senden, wenn man nichts hat als einen merkwürdig raumlosen Ort im Internet? Früher, im Mittelalter, da war eine Messe immer auch eine Kirchmesse, und die äußere schritt da der inneren Wandlung stets voran. Jetzt schreitet niemand. Nichts passiert. Wer die vielen Zoom-Konferenzen und Videovorträge zu sich auf den heimischen Monitor geholt hat, der versackt am Ende müde und einsam vor seinem Rechner. Vielleicht ist es da doch besser, wenn mal endlich wieder etwas losgeht.

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