Frank-Walter Steinmeier - Standpauke mit Nasenstüber

Der Bundespräsident verbittet sich Kritik. Wer die Meinungsfreiheit für eingeschränkt hält, darf auf Frank-Walter Steinmeiers Verständnis nicht hoffen. So unterläuft er sein Amt und reißt neue Gräben auf

Immun gegen jede Irritation des eigenen Weltbildes: Frank-Walter Steinmeier/ picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Der Bundespräsident ist ein Spezialist für gesellschaftlichen Zusammenhalt. So sieht er sich, so steht es in der Stellenbeschreibung. Frank-Walter Steinmeier rechnet sich zu denen, die „genauer hinschauen“. So formulierte er es in einer Rede am vergangenen Montag. Und als er wieder einmal genauer hinsah, entdeckte er, dass Deutschland „viel von Afrika lernen“ kann. Zum Beispiel das strikte Verbot von Plastiktüten „in einigen Ländern“. Am selben Tag, in einer anderen Rede, schaute Steinmeier genauer auf Deutschland und sah dort viel Schlimmes, namentlich „Scharfmacher“ und „verantwortungslose Kräfte“, die die Meinungsfreiheit fälschlicherweise für eingeschränkt halten. Der Bundespräsident, ließe sich im Licht jüngster Umfragen sagen, sieht sein Volk im Bann gewiefter Demagogen. Die Deutschen sind laut Steinmeier ein Volk, das mehrheitlich irrt. Sie verdrießen ihn, seine gutgläubigen, desorientierten Deutschen.

Die Standpauke aus präsidialem Mund ist eine Erscheinung jüngsten Datums. Scharf hebt sie sich ab von der konventionellen Aufgabe des Staatsoberhaupts, unentwegt zu loben, zu ermuntern, Zuspruch zu spenden. Neuerdings hat das Prinzip „Klare Kante“ den Imperativ von der Allumarmung ersetzt. Steinmeier wagt zu schelten. Er schafft, was man zuvor bezweifelte, „seine Botschaften zuzuspitzen“.

So nicht, Freundchen!  

Das klang dann am Montag in Hamburg vor der Hochschulrektorenkonferenz so: „Wer versucht, Verständnis aufzubringen für die angeblich gefühlte Freiheitsbeschränkung, die doch in Wahrheit nur eine massiv eingeredete ist, besorgt schon das Geschäft der Scharfmacher!“ Die präsidiale Rede erhielt in der offiziellen Abschrift acht Ausrufezeichen. Das Bundespräsidialamt veröffentlichte dazu ein Foto Steinmeiers mit erhobenem Zeigefinger. Das gab den Tonfall der Hamburger Rede akkurat wieder: Ein argumentatives Pardon wurde nicht gegeben. Wer dem Bundespräsidenten widerspräche und behauptete, die Meinungsfreiheit sei in Deutschland bedroht, der bekäme vom Bundespräsidenten einen Nasenstüber: So nicht, Freundchen! Der Kasernenton ist zurück.

Seltsam nur, dass derselbe Bundespräsident wenige Minuten zuvor das Loblied auf die „unvoreingenommene Wahrnehmung der Wirklichkeit“ gesungen hatte. Um dann jene Wirklichkeit zu negieren, die sich in Umfragen manifestiert, wonach rund 60 Prozent der Deutschen einen eingeschränkten öffentlichen „Meinungskorridor“ beklagen. Es werde „einem immer mehr vorgeschrieben, was man sagen darf und wie man sich zu verhalten hat“: Diese Einschätzung ist im Gegensatz zu Steinmeiers Standpauke derzeit mehrheitsfähig.

Chimäre namens Sprachpolizei 

Seltsam auch, dass der Bundespräsident seine brüske Zurückweisung dieser Wirklichkeit mit dem Plädoyer einleitete, „strittige Themen mit offenem Visier zu diskutieren – und Unterschiede auszuhalten“. Ein performativer Selbstwiderspruch ersten Ranges. Natürlich ist die Meinungsfreiheit des Bundespräsidenten nicht gefährdet. Natürlich gibt es nicht jenen Pappkameraden, den der Bundespräsident als billigen Gegner aufbaute, die Chimäre namens „staatliche Sprachpolizei“.

Wohl aber setzt der Staat in seinem Binnenbereich Sprachregelungen durch, etwa bei der „geschlechtergerechten Sprache“, und sehr wohl können die sozialen und ökonomischen Folgekosten hoch sein, sofern in der Öffentlichkeit gewisse heikle Themen angesprochen werden. Außer dem Bundespräsidenten bestreitet kaum jemand diesen Zusammenhang.Warum dann ließ sich Steinmeier in Hamburg zu einem weiteren Loblied hinreißen, diesmal auf die politische Korrektheit, die er reichlich ahistorisch auf die „einfachen Gesetze von Höflichkeit und zivilem Umgang“ und den „ganz normalen menschlichen Anstand“ verkürzte?

Immun gegen jede Irritation des eigenen Weltbildes

Politische Korrektheit ist im Kern ein Instrument der Identitätspolitik und also ein weltanschauliches, kein rhetorisches Unterfangen. Es geht nicht um Höflichkeit, sondern um Macht. Auch das bestreiten wenige. Der Germanist Jochen Hörisch benennt den Fluchtpunkt solcher Ambition: „Politisch korrekte Sprechweisen vorzugeben – das war und ist (…) ein untrügliches Zeichen totalitärer Regimes.“ An mehreren Stellen widersprach der Bundespräsident Behauptungen, die niemand aufgestellt hat, rettete er eine Moral, die niemand bezweifelt, postulierte er Prinzipien, die längst gelten.

Sind beispielsweise die jüngsten Limitationen der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit, die Bernd Lucke (just an der Universität Hamburg), Thomas de Maizière und Christian Lindner erfuhren, dem Umstand geschuldet, dass auch diese drei Herren „das Recht auf Meinungsfreiheit mit dem Anspruch darauf verwechseln, dass auch alle anderen ihre Meinung teilen“? Gewiss nicht. Ein weiterer argumentativer Pappkamerad verließ da das präsidiale Rednerpult. Und möchte, wer sich bei bestimmten Themen in der Öffentlichkeit lieber auf die Zunge beißt, am liebsten „in rücksichtsloser Aggressivität nur die eigene Meinung gelten lassen“? Wohl kaum. Falsche Alternativen aber führen zu falschen Diagnosen. Steinmeiner bekräftigte eingangs, es sei inakzeptabel, „andere zum Schweigen bringen zu wollen, weil sie das eigene Weltbild irritieren (…), inakzeptabel!“ In der Tat. Leider, ach leider immunisierte sich der Bundespräsident im Rest der Ausführungen dann selbst gegen jede Form der Irritation des eigenen Weltbildes.

Ein Verstehensverbot 

Bleiben wird vermutlich dieser abgründige Satz: „Wer versucht, Verständnis aufzubringen für die angeblich gefühlte Freiheitsbeschränkung, die doch in Wahrheit nur eine massiv eingeredete ist, besorgt schon das Geschäft der Scharfmacher!“ Der Bundespräsident will kein Verständnis mehr aufbringen für jene rund 60 Prozent der Deutschen, die mit dem Stand der Meinungsfreiheit hadern. Steinmeiers Verständnisverbot ist ein Verstehensverbot, ist der Bannfluch wider die aller Verständigung zugrundeliegende Bereitschaft, die Steinmeier selbst aussprach und gleich wieder einkassierte, die Bereitschaft, „anderen zunächst lautere Absichten“ zuzubilligen. Bemerkenswertes tat sich am Montag in Hamburg. Ein Bundespräsident fuhr aus der Haut und teilte sein Volk und wandte sich ab.

Postscriptum: Die Hamburger Rede des Bundespräsidenten hat vermutlich nicht der Bundespräsident geschrieben. Dafür gibt es Redenschreiber. Ob es das besser macht?

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