Flugscham - Die verbliebenen Freuden des Fliegens

In Zeiten von „Fridays for Future“ wird das Fliegen verteufelt. Flugscham ist angesagt. Und doch gibt es sie noch, die Vielflieger, den Homo mobilis, der keiner Nation mehr angehört, der Reisende ohne Eigenschaften

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Kann man in Zeiten des Klimawandels noch guten Gewissens fliegen? / picture alliance
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Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

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Sitzen in der Flughafen-Lounge. Hier ist die Welt des Reisens noch in Ordnung, der Passagier darf sich als ein Bevorrechtigter fühlen, den schönen Ausnahmezustand genießen, den Hauch des Festlichen, der früher jeder Flugreise anhaftete. Außerhalb der Lounge herrscht Massenverkehr, das Fliegen hat sich in eine Variante des Straßenbahnfahrens verwandelt; hier drinnen gibt es ein Buffet mit allem Möglichen, unglaubwürdig bequeme Sessel, Nischen, in die man sich zum Ruhen zurückziehen kann, diskret tätige Kellner. Ein Restzauber wirkt fort, das Kind im Reisenden kommt auf seine Kosten.

Alle Lounges sehen gleich aus. In der Lufthansa-Lounge in Heathrow deutet nichts darauf hin, dass Lufthansa etwas mit Deutschland zu tun hat: Angeboten wird die gleiche Einheitskost wie in Tokio oder New York; selbst das Bier ist international, also nicht nach Reinheitsgebot gebraut; die Einrichtung ist globalisiert und verwaschen, über Lautsprecher erklingt, so dezent, dass sie die Arbeit am Laptop nicht stören kann, uniforme Dudelmusik.

Gewöhnlich macht die kulturelle Selbstaufgabe mich rebellisch, doch hier empfinde ich sie als naheliegend, stimmig, fast erlösend. Die Lounge ist ortlos, extraterritorial, ein Durchgangspunkt im Irgendwo. Man betritt sie für kurze Zeit, passiert sie wie ein Zwischenreich, ein gespenstisches „Limbo“ des Komforts. Dazu passt, dass alle Gäste gleich aussehen, gleich angezogen sind, den gleichen Blick haben – der Homo mobilis, der keiner Nation mehr angehört, der Reisende ohne Eigenschaften. Vielflieger sind die Schrittmacher der globalen Gesichtslosigkeit und ihr treuester Ausdruck. Auch in den schlechten Gewohnheiten haben sie sich globalisiert: Bier am Vormittag, das Bein über der Sessellehne, auf dem I-Pad läuft ein Billigfilmchen. Mobilität hebt nicht das Niveau. Wenn die Lounge-Gäste auf derlei Unarten verzichteten, besäßen sie eine Eigenschaft.

Die technische Höchstleistung ist selbstverständlich

Zur Ästhetik der Lounge gehören die Panoramafenster. Draußen auf dem Flugfeld sieht man, wie in einem Film, das Spiel der landenden, parkenden, startenden Maschinen. Der Flughafen als Zentralort der Moderne, als das Herz der allumfassenden Bewegung. Die technische Höchstleistung ist selbstverständlich, und sie läuft in einer Endlosschleife. Man spürt die Überzeugungskraft des Gekonnten, die Faszination der gelingenden Großtechnik, trotz allem. Selbst wer einen Sinn für die hassenswerten Seiten der Moderne besitzt, wird hier zum einverstandenen Menschen, genießt, die Beine ausgestreckt, eine Kaffeetasse in der Hand, die totale Mobilmachung. Ich kenne einen Ingenieur, der immer, wenn er sich deprimiert fühlt, zum nächsten Flughafen fährt und von der Besucherterrasse aus den Start der Jets verfolgt. Danach geht’s ihm besser.

In einer Lounge des Brüsseler Flughafens: An den Wänden sieht man Werbung für ein futuristisches Flugzeug, das ganz mit Solarzellen bedeckt ist. „When innovative technology makes the impossible possible, tomorrow’s hopes are achieved today.“ Oder so ähnlich. Das kratzt am Behagen, denn es ruft in Erinnerung, dass die „Limbo“-Welt doch nicht aus Zeit und Raum hinausgerückt ist. Die Dinge sind verkehrt eingerichtet; man hört ein leises Knacken im Gebälk. Ich muss an ein Bild denken, das Novalis gebraucht hat: die Mühle, die sich selbst mahlt. Sie arbeitet perfekt, läuft auf vollen Touren, ein technisches Meisterwerk – und doch bekommt es ihr nicht gut. Die Endlosschleife könnte enden.

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