Florian Henckel von Donnersmarck - Die Wahrheit, eine Idee

Florian Henckel von Donnersmarck inszenierte mit „Das Leben der Anderen“ einen Welterfolg und Oscar-Gewinner, mit „The Tourist“ einen Flop. Nun „Werk ohne Autor“ über den Maler Gerhard Richter, aber auch über Kunst als Schock und Wahrheit als Idee

Erschienen in Ausgabe
Florian Henkel von Donnersmarck (dritter v.r.) mit seinem Cast bei der Deutschlandpremiere von „Werk ohne Autor“ / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Der Name war Programm: „Wert des Lebens“. Die oberösterreichische Landesausstellung des Jahres 2003 fand auf Schloss Hartheim bei Linz statt, einem heiteren Renaissancebau, der verbrecherischen Zwecken gedient hatte. In der „Landesanstalt Hartheim“ wurden von Mai 1940 bis August 1941 über 18 000 körperlich und geistig behinderte und psychisch kranke Menschen erst ermordet, dann verbrannt. Weißer Rauch drang damals täglich aus dem Schornstein, weithin sichtbar, riechbar. Den Besuch dort an einem heißen Sommertag vor 15 Jahren werde ich nie vergessen. Auf Steinböden war der Weg markiert aus den Zimmern in die Gaskammer, 25 Quadratmeter, sechs Brauseköpfe. 18 269 letzte Gänge.

Als der von den Nationalsozialisten entfesselte Zweite Weltkrieg vorüber war, hielt Alexander L. Dymschitz Vorträge und schrieb Aufsätze. Wie sollte die Kunst nach so viel Grauen wieder sehen lernen? Dymschitz, von 1945 bis 1949 sowjetischer Kulturoffizier in Berlin, brachte das Konzept des sozialistischen Realismus in die SBZ. Er propagierte parteiische Kunst. Von Dymschitz stammt die Aussage, es sei falsch, „den Menschen nicht als ein gesellschaftliches Wesen, sondern als Menschen an sich zu betrachten“. Gefragt sei vielmehr „wahrheitsgetreue Kunst aus sozialer Verantwortung“. Die „Wahrheit über die Wirklichkeit“ liege keineswegs im Individuellen. Schon Lenin habe die „wahrheitsgetreue Typisierung“ geschätzt.

Kunst als Schock, Wahrheit als Idee

Alexander L. Dymschitz ist eine reale Figur hinter dem fiktiven Professor Grimma, der in Florian Henckel von Donnersmarcks bei den Filmfestspielen Venedig Anfang September uraufgeführten Drei-Stunden-Epos „Werk ohne Autor“ den angehenden Maler Gerhard Richter unterrichtet. Grimmas Lektionen überzeugen den jungen Mann kaum. Menschlich gewinnend, redet der Professor einem traditionalistischen Antisubjektivismus das Wort, geißelt die Neuerer, die „Ich! Ich! Ich“-Sager vom Schlage eines Pablo Picasso, die die Wahrheit verfehlten. Horst Grimmas Meisterschüler verlässt die DDR im Alter von 29 Jahren, am 13. März 1961. Sein monumentales Wandfresko von der „Einheit der Arbeiterklasse“ wird wenig später übermalt.

Sehen lernen. Vor dieser Herausforderung steht jeder Künstler, jeder Maler, jeder Regisseur stets aufs Neue, stand Florian Henckel von Donnersmarck nun besonders. Leer sind die Leinwände, die Seiten am Beginn aller Schöpfung. Acht Jahre gingen ins Land seit der in Venedig gedrehten Hollywood-Großproduktion „The Tourist“ mit Angelina Jolie und Johnny Depp, 13 Jahre seit dem eindrücklichen, Oscar-prämierten Stasidrama „Das Leben der Anderen“ mit Ulrich Mühe. „Werk ohne Autor“ ist der dritte Spielfilm Henckel von Donners­marcks. Er wurde nach vierjähriger Arbeit zur bei einmaligem Sehen kaum auszulotenden deutsch-deutschen Familiengeschichte, zum Künstlerdrama, zum Essay über Bild und Wirklichkeit und wie beide einander verdrängen. Zum Film über Gnade als Überblendung, Kunst als Schock, Wahrheit als Idee. Einen Monat hat der Regisseur und Drehbuchautor Anfang 2015 mit seiner realen Hauptfigur verbracht, mit Gerhard Richter. Der im Film freilich Kurt Banert heißt und von Tom Schilling gespielt wird.

Funktionalistischer Blick auf die Kunst

Eine frappierende Erkenntnis lautet: Das Dritte Reich der Nationalsozialisten und die Deutsche Demokratische Republik der Sozialistischen Einheitspartei hatten einen sehr ähnlichen, einen radikal funktionalistischen Blick auf die Kunst. Dienen sollte sie dem Volk, das die Machthaber definierten. „Die Liebe und die Achtung der Massen“ war zu erringen durch Verzicht auf „subjektivistische Willkür“ ( Dymschitz ). Kaum anders erklärt es zu Beginn des Filmes, „Dresden, 1937“, der Führer durch die Ausstellung zur „entarteten Kunst“. Er präsentiert „deutsche Kunst“ als „ewige Kunst“ und denunziert „moderne Kunst“ als „jedes Jahr anders“ und zudem hässlich. Wer Wolken nicht blau und Kühe nicht braun male, der leide an einem Augenfehler qua Unfall oder qua Vererbung, und bei Letzterem sei das eher ein Fall für das Reichsinnenministerium denn für Museen, um eine „weitere Vererbung (…) zu unterbinden“. Florian Henckel von Donnersmarck ist ein subtiler Fährtenleger.

So nämlich wie im Vorwurf des Formalismus die Schmährede von der „Entarteten Kunst“ sich fortsetzt, mutatis mutandis, so ist die systemüberdauernde Wiedergängerei des Euthanasiearztes Carl Seeband der dunkle Unterstrom des Filmes. Sebastian Koch spielt den humorlosen Ehrgeizling mit derart unterkühlter Binnenspannung, dass die Nominierung von „Werk ohne Autor“ für den diesjährigen Oscar sich auch solch faszinierend intensivem Spiel verdankt. Vom nationalsozialistischen „Wächter am Ufer des Erbstroms“, der mit seiner Diagnose über Leben oder Tod verhaltensauffälliger Patienten entscheidet, wird Seeband bruchlos zum „verdienten Arzt des Volkes“ in der DDR, ehe er in der Bundesrepublik der sechziger Jahre seine Karriere krönt. „Wer körperlich und geistig nicht gesund und würdig ist“, stand auf Schloss Hartheim zu lesen, „darf sein Leid nicht im Körper seines Kindes verewigen.“ Kurt Banerts, also Gerhard Richters Schwiegervater war dieser skrupellose SS-Arzt obendrein. Und als solcher der Schreibtischmörder von Kurts Tante, jener jungen Frau, die sich mit Kurt, dem Steppke, in Dresden von „Entarteter Kunst“ inspirieren ließ und bald darauf für verrückt erklärt wurde. Davon weiß Kurt nichts. Davon weiß Kurts Kunst alles.

Wahrheit durch Verdichtung

Noch im Osten verzweifelt der Kunststudent an der Frage, „warum hat selbst das dümmste Amateurfoto mehr Wirklichkeit als meine Bilder?“ Im Westen dann, an der Düsseldorfer Akademie unter dem freiheitsversessenen Joseph Beuys, dem Anti-Antisubjektivisten par excellence, verbrennt Banert/Richter seine neu entstandenen Bilder, weil er begreift: In der Kunst soll Wahrheit erscheinen, nicht Wirklichkeit. Beide fallen schließlich durch die Gnade der Überblendung ineins. Banert malt das Passfoto seines Onkels ab, ein Zeitungsfoto mit dessen Vorgesetztem bei der SS und ein Familienfoto mit sich und der durch die beiden Vorgenannten ermordeten Tante. Was er alles nicht weiß.

Die zentrale Szene des Filmes zeigt in unüberbietbarer Verdichtung Entstehung und Wirkung von Kunst. Wind stürmt herein, die Fenster im Atelier klappen auf und schließen sich, werfen Schatten und bündeln Licht und bringen so auf einer Leinwand zusammen, was getrennt war im Raum und gemeinsam eine Geschichte bildet: die beiden Mörder, ihr weibliches Opfer und Kurt, das Kind. War es Natur, war es Gnade? Dass der Maler im Werk sein Leben findet, ohne es gesucht zu haben und ohne es zu verstehen? Wohl aber weiß der Täter, was die Stunde schlug. Die neue Kunst fährt in ihn als Wahrheitsschock. Rückwärts taumelnd verlässt Professor Seeband das Atelier. „Hat man so was schon gesehen?“, ruft ihm der Ateliersnachbar hinterher.

Die Kunst, die hier verhandelt wird, hat verwandelnde Kraft. Aus Inspiration und Geschichte entsteht Wahrheit, die sich dem Zugriff des Künstlers entzieht. „Man ist als Künstler Empfänger, nicht Schöpfer“, sagt Florian Henckel von Donnersmarck im Gespräch. Er wolle der Wahrheit „durch Verdichtung näherkommen. Wie kann man etwas durch die Erzählung wahrer machen, als es die Wirklichkeit ist? Die Wirklichkeit hat immer etwas Gefallenes. Durch Dichtung kann man ihr wieder aufhelfen und so der Wahrheit näherkommen.“ Wenn Banerts Ateliernachbar, Günther Uecker nachempfunden, immer wieder die eine „Idee“ dem Kompagnon abverlangt, dann findet das Werk sie in der Wahrheit. Und nicht in der Wirklichkeit.

Der deutsche Oberlehrer bleibt sich treu

Deshalb erzählt der Film die außerfilmisch falsifizierte Geschichte von den „nomadischen Tartaren“, die den Luftwaffenfunker Joseph Beuys nach dessen Abschuss über der Krim mit Fett und Filz gepflegt haben sollen, als wäre sie wahr: „Für die Figur in meinem Film“, so Henckel von Donnersmarck, „ist sie auf jeden Fall wahr. Ich spüre in dieser Geschichte eine ganz tiefe, ganz echte Wahrheit, eine tiefe Verbindung zum Werk.“ Die Figur heißt Antonius van Verten, heißt nicht Joseph Beuys und ist doch dieser. Um geringere Preise ist wahre Kunst nicht zu haben. „Was ich behaupten kann, ohne zu lügen“, erklärt van Verten, sei „das Fett auf meiner Haut“, sei der Filz. Beide habe er „so verstanden, wie Descartes verstanden hat, ich weiß, dass ich bin. Aber wer bist du? Was bist du?“

Auf eine bittere Pointe und unsere Gegenwart steuert der Film zu. Der dritte Scharfrichter nach dem Propagandisten der „Entarteten Kunst“ und dem kommunistischen Professor ist ein aasiger Erkläronkel aus dem öffentlich-rechtlichen Bildungsfernsehen. Er steht in Banerts erster Galerieausstellung anno 1966 vor einer der für Richter damals typischen übermalten Fotografien und erklärt im Schnarren des Volkspädagogen: Der Nachwuchskünstler löse sich von aller Tradition, habe nichts zu sagen und schaffe „zum ersten Mal in der Kunstgeschichte ein Werk ohne Autor“. Stile ändern sich, die Kleidung wechselt, der deutsche Oberlehrer bleibt sich treu.

Political Correctness als Ende der Kunst

Henckel von Donnersmarck weiß: „Man muss sich zu jeder Zeit um die Freiheit der Kunst sorgen.“ Es sei „eine große Frage, ob sich mit einer immer weiter ansteigenden Political Correctness nicht eine neue Form der Zensur entwickelt, eine Zensur ohne Behörde“. Die Political Correctness stehe der Kunst im Wege. Das „Ende der Kunst“ sei erreicht, wenn man sich „nur dann zu einer bestimmten Gruppe äußern darf, wenn man dieser Gruppe angehört. Kunst ist gerade die Fähigkeit, sich in eine andere Welt einzufühlen. Das ist ein sehr, sehr gefährlicher Trend.“

Für den großen Regisseur Elia Kazan war Kunst der Schorf auf den Wunden, die das Leben schlug. Dem „Werk ohne Autor“ ist zu entnehmen, dass sich selbst erzählen muss, wer etwas zu erzählen hat. Dass Künstler nur so lange Künstler sind, wie sie ihre Kunst nicht beherrschen. Dass Wirklichkeiten unwahr sein können und Wahrheiten unwirklich. Dass Staat und Kunst sich nur ausnahmsweise vertragen. Dass Erkenntnis im Schock wohnt oder nirgends. Dass Epochen sich überlappen und Zeiten ineinanderwohnen. Dass das Leben eine Würde hat und keinen Wert.

Dies ist ein Text aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.














 

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