Facebook - Werkzeug des Guten?

1,9 Millionen Beiträge mit extremistischen Inhalten will Facebook zuletzt gelöscht oder markiert haben. Doch wer bestimmt, was extremistisch ist und was zur Meinungsfreiheit gehört? Eine unabhängige Gerichtsbarkeit im virtuellen Raum muss her

Mark Zuckerberg hat die Macht, zu bestimmen, was gut und was böse ist / picture alliance
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Gerhard Strate ist seit bald 40 Jahren als Rechtsanwalt tätig und gilt als einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger. Er vertrat unter anderem Monika Böttcher, resp. Monika Weimar und Gustel Mollath vor Gericht. Er publiziert in juristischen Fachmedien und ist seit 2007 Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Für sein wissenschaftliches und didaktisches Engagement wurde er 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Foto: picture alliance

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Facebook sieht sich als Big Brother, dessen Bestreben es ist, über die halbe Weltbevölkerung zu wachen. Als gutes Beispiel nennt Mark Zuckerberg unter anderem die #Metoo-Bewegung, der seine Plattform Aufmerksamkeit verschafft habe. Es war eine Bewegung, die sich als digitaler Internetpranger einen Namen gemacht hat. Facebook sei ein „idealistisches und optimistisches Unternehmen“, weshalb man sich auf „all das Gute fokussiere, das durch das Verbinden von Menschen bewirkt werden könne“, sagt Zuckerberg.

Was gut und böse ist, bestimmt demnach er. Eine bedrohliche Entwicklung, angesichts der in weiten Teilen der Welt marktbeherrschenden Stellung der Plattform Facebook. Dass derartiger Drang zur Weltverbesserung sehr schnell in Konflikt mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geraten muss, liegt auf der Hand. In Deutschland spielt zudem das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) aus der Feder des ehemaligen Justizministers Heiko Maas (SPD) diesen totalitären Bestrebungen in die Hände. Und so kommt es immer wieder zu Löschungen reiner Meinungsäußerungen mit anschließender temporärer Facebook-Sperre der Verfasser.

Wichtiger Etappensieg für die Meinungsfreiheit

Ein Nutzer erzielte nun erstmals einen gerichtlichen Erfolg gegen die Willkürmaßnahmen. Das Landgericht Berlin erließ eine einstweilige Verfügung, die Facebook dazu verpflichtete, einen gelöschten Kommentar folgenden Wortlauts wiederherzustellen: „Die Deutschen verblöden immer mehr. Kein Wunder, werden sie doch von linken Systemmedien mit Fake-News über ‚Facharbeiter‘, sinkende Arbeitslosenzahlen oder Trump täglich zugemüllt.“

Facebook hatte die Löschung in einer automatischen Mitteilung gegenüber dem Schreiber mit einem angeblichen Verstoß gegen die „Gemeinschaftsstandards“ begründet und eine 30-tägige Sperrung des Nutzerkontos verhängt, die ebenfalls aufgehoben wurde. 

Tatsächlich kommt durch die Eröffnung eines Facebook-Accounts ein rechtswirksamer Vertrag zwischen der Plattform und dem Nutzer zustande, für den der User zwar nicht mit Geld, jedoch durch die Überlassung seiner Daten bezahlt. Das hieraus entstehende privatrechtliche Verhältnis beinhaltet aufgrund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte auch die Verpflichtung für Facebook, das Recht auf freie Meinungsäußerung im Rahmen der geltenden Gesetze für seine Nutzer sicherzustellen. Das bedeutet: Eine Plattform wie Facebook darf ihren Nutzern eine Meinungsäußerung auch dann nicht willkürlich verbieten, wenn diese Meinung in pointierter Form vorgetragen wird.

Informationsblockierer des Jahres 2016

Auch das zeitweise Einschränken oder komplette Löschen von Nutzeraccounts findet für Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung, und ein solches ist Facebook zweifellos, seine enge gesetzliche Grenze in Paragraf 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Dieser regelt, dass sich ersatzpflichtig macht, wer einem anderen widerrechtlich Schaden zufügt. Ein eventuell schon länger bestehender Facebook-Account mit einer gut gepflegten Freundesliste, der gegebenenfalls geschäftlichen Zwecken des Nutzers dient, kann einen beträchtlichen Wert darstellen. Dessen willkürliche Vernichtung durch die Betreiber der Plattform kann einen glatten Vertragsbruch darstellen.

Es ist höchste Zeit, dass sich die Gesetzgeber der einzelnen Staaten eingehend mit den Methoden der Plattform auseinandersetzen. Eine Plattform, die sich gerade anschickt, zum neuen, weltweit agierenden Ministerium für Liebe zu avancieren und auf eigene Faust Gedankenverbrechen zu ahnden. Von der Durchsetzung von Bürgerrechten bei Facebook sind wir aktuell leider weit entfernt, da das NetzDG in die entgegengesetzte Richtung wirkt. Und auch die unbedarft agierende neue Justizministerin Katarina Barley (SPD) scheint nicht dazu angetreten zu sein, das Problem im Sinne der Bürger in die Hand zu nehmen. Ihr aktueller Verschlimmbesserungsvorschlag, der mit dem Gedanken an eine „Pluralismuspflicht“ spielt, redet engen Vorgaben das Wort, um „Nutzern sozialer Netzwerke ein breites Nachrichtenangebot verfügbar zu machen“. Das heißt zu Deutsch, weichgespülte Angebote etablierter Medien verstärkt ins Blickfeld des Nutzers rücken zu wollen, um ihn vor allzu freiheitlichen Abirrungen zu bewahren.

Die Journalistenorganisation Netzwerk Recherche bedachte Facebook im Jahre 2016 als „Informationsblockierer des Jahres“ mit dem Negativpreis „Verschlossene Auster“. In seiner Laudatio bemängelte der ehemalige Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, die mangelnde Transparenz, mit der Facebook beim Löschen von Inhalten vorgehe: Facebook sei das bevorzugte Instrument für Hasspropaganda geblieben, trotz eines Aufrufs von Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg zu Liebe und Toleranz. „Das Geschäftsmodell Facebook basiert darauf, dass unkontrolliert Meinungen verbreitet werden“, so das Resümee von Thilo Weichert damals.

Spitzelstimmung in der Gesellschaft

Was wäre die Alternative zur unkontrollierten Meinung? Die kontrollierte Meinung, wie sie ein Jahr später durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in unser Rechtssystem implementiert wurde? An der mangelnden Transparenz jedenfalls hat sich dadurch nichts geändert. Vielmehr ist noch eine zweite intransparente Instanz hinzugekommen: Die tagtäglichen Entscheidungen über Fragen der Meinungsfreiheit werden nun in die Mühlen der regulierten Selbstregulierung geworfen, wo das kostbare Grundrecht nach und nach zu Staub zerrieben wird.

Klar ist, dass auf Facebook über Jahre hinweg ein nahezu rechtsfreier Raum entstanden ist, den als virtuelles Staatsgebiet zu erkennen die Politik viel zu lange versäumt hat. Nun versucht sie, das so entstandene Vakuum für machtpolitische Zwecke auszunutzen. Dabei setzt sie auf ein Heer von Denunzianten, die sich in ihrer Freizeit auf die Jagd nach falschen Meinungen und unguten Emotionen ihrer Mitmenschen begeben, um flugs den Meldebutton zu betätigen. Der Schaden, den diese Spitzelstimmung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeutet, ist unermesslich und unverzeihlich.

Rechtsstaat oder Überwachungsstaat?

Es ist anzunehmen, dass Berufsjuristen wie Heiko Maas sehr genau zwischen soliden Rechtsgrundlagen und reiner Gesinnungsjustiz unterscheiden können. Maas ist sich natürlich darüber bewusst, dass nur ein unabhängiges Gericht über Recht und Unrecht zu befinden hat, auf Basis von Tatbeständen, nicht auf Grundlage von Haltungen. Dass er mit dem NetzDG konsequent den Weg der Gesinnungsjustiz beschritt, lässt nur den Schluss zu, dass er bereit war, den Rechtsfrieden bedenkenlos auf dem Altar von Ideologie und Machthunger zu opfern. Die Entscheidung des Landgerichts Berlin, das Recht zumindest in einem Fall zurück auf die Füße zu stellen und Facebook zur Wiederherstellung des zu Unrecht gelöschten Nutzerbeitrags zu verpflichten, ist deshalb ein Signal, dessen Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Sie gibt zugleich den einzig gangbaren Weg vor, mit dem das Problem dauerhaft und auf rechtsstaatliche Weise gelöst werden kann: durch eine neu zu schaffende, unabhängige Gerichtsbarkeit im virtuellen Raum, die unter den Augen der kritischen Öffentlichkeit nach Recht und Gesetz ihre Urteile fällt.

Ehe wir so weit sind, wird noch viel Zeit vergehen. Zeit, die selbst ernannte Weltherrscher wie Big Brother Zuckerberg dazu nutzen werden, ihren Vorstellungen vom Wahren, Schönen und Guten mit der Brachialgewalt ihrer Datenhoheit Geltung zu verschaffen, während Little Brothers wie Heiko Maas mit glänzenden Augen danebenstehen. Unsere Wahl lautet: Rechtsstaat oder Überwachungsstaat. Wie werden wir uns entscheiden?

 

Lesen Sie dazu auch Wankende Giganten über die schwindende Macht von Facebook, Google, Amazon und Apple von Bastian Brauns. Der Artikel stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.

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