„Eurotrash“ von Christian Kracht - Das Abendland am Ende

In seinem neuen Roman „Eurotrash“ nimmt Christian Kracht eine Überdosis Ironie. Und versucht, gleich ganz Europa mit in den Abgrund zu reißen. Ein goldener Schuss, der nach hinten losgeht.

Christian Kracht ist in „Eurotrash“ Autor, Erzähler und Figur zugleich / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

So erreichen Sie Marko Northe:

Anzeige

Was hat dieses schmale Bändchen eigentlich, was andere nicht haben? Seit seinem Erscheinen 1995 gilt „Faserland“ von Christian Kracht als ultimativer Maßstab für Romane junger deutschsprachiger Autoren. Egal, ob sie Ronja von Rönne oder Leif Randt heißen, immer werden ihre Bücher mit dem Zusatz „Das ‚Faserland‘ der Generation soundso“ angepriesen. 

Und es hat ja auch seine Berechtigung. Wo ist das (West-)Deutschland der 1990er besser beschrieben? Welcher Romanautor hat es vorher vermocht, der deutschsprachigen Literatur den Staub vom Regal zu pusten, wie es der 29-jährige Kracht damals getan hat? Sagen Sie jetzt bitte nicht Grass oder Goetz, und bitte, bitte nicht Brinkmann. In „Faserland“ geht es lässig los mit einem „Also“, mit Jever und einem kotenden Hund, Sylt und Snap. Es geht um Taxifahrer-Nazis, Bordbistros und Barbourjacken – kurz: um diese bräsige Zumutung namens BRD und die Schweiz als Deutschlands bessere Version.

Alles mit einer rotzfrechen Leichtigkeit, die Kracht natürlich nicht erfunden, sondern sich von Amerikanern wie Jack Kerouac und Bret Easton Ellis sowie vom Briten Edward St Aubyn abgeschaut hatte. Doch in der Logik des Camp, in der postmodernen Popkultur mit ihrer Überreferenzialität und ihrem Zitatewahn machte das nichts. Genius steals, talent borrows. 

Selbst schuld

Da kann man sich noch so sehr über Krachts Sprachstil und die vorgebliche Banalität seiner Erzählung beschweren, „Faserland“ ist und bleibt der große Roman der westdeutschen Nachwendezeit. Er ist so groß, dass selbst sein Autor sein neuestes Buch an ihm messen lassen muss. Selbst schuld, könnte man sagen, schließlich stellt Kracht höchstpersönlich die Verbindung her, und zwar direkt auf der ersten Seite von „Eurotrash“: Nicht nur, dass auch Krachts sechster Roman mit einem „Also“ beginnt, nein, er schreibt auch: „Dazu muß ich außerdem sagen, daß ich vor einem Vierteljahrhundert eine Geschichte geschrieben hatte, die ich aus irgendeinem Grund, der mir nun leider nicht mehr einfällt, Faserland genannt hatte.“

Christian Kracht: Eurotrash.
Kiepenheuer &
Witsch, Köln 2021.
224 Seiten, 22 Euro

Uff, entfährt es da dem Leser, will denn Kracht jetzt, Jahre zu spät, auf den Knausgård-Zug der Autofiktion aufspringen? Tatsächlich liest sich „Eurotrash“ an vielen Stellen wie der Debütroman eines mit sich und seiner Familie beschäftigten Jungautoren, der ein Semester „Einführung in den Poststrukturalismus“ belegt hat. Kracht spielt das Spiel von Autor, Erzähler und Figur, er ist alles zugleich und natürlich zugleich nichts von alledem. Die Hauptfiguren im Roman, Christian Kracht und seine manchmal als boshaft, manchmal als verrückt beschriebene alkoholsüchtige Mutter stellen irgendwann fest, dass sie Figuren in einem Roman sind. Kracht wird von einer anderen Figur mit Daniel Kehlmann verwechselt. Das alles ist ein so schaler Witz, dass eigentlich niemand darüber lachen kann. Als Leser fühlt man eher Fremdscham, dazu tragen auch die teils ungelenken Dialoge bei.

Peinliches Kokettieren

%paywall%

Warum macht Kracht, der Autor, das? Es ist ja nicht so, als sei „Faserland“ nur zufällig ein brillanter Debütroman gewesen, Kracht hat auch mit den vier folgenden gezeigt, dass er vielleicht der bedeutendste deutschsprachige Schriftsteller der Gegenwart ist. Schon einmal ist sein Erzähler aus seiner Rolle, damals die des Thomas-Mann-haften, auktorialen, geschlüpft und gab sich zu erkennen als Ich-Erzähler, als es um das Wegsehen der Großeltern des Erzählers (oder des Autors?) angesichts der Deportation von Juden in Hamburg geht. Was in „Imperium“ irritiert, Fragen hinterlässt, den literarischen Raum öffnet, das ist in „Eurotrash“ nur peinliches Kokettieren. 

Unmöglich, dass Kracht das nicht bewusst war. So bleibt nur eine Möglichkeit: Sein neuer Roman ist eine Parodie, ein Anti-Roman, ein sarkastisches Spiel mit der Authentizität, vor der sich wahrscheinlich kaum ein Schriftsteller so ekeln dürfte wie der stets der Ironie verpflichtete Kracht. „Eurotrash“ ist in dieser Hinsicht auch eine Ohrfeige für alle, die nach Krachts Frankfurter Poetikvorlesung, in der er von seinem im Internat erlittenen Missbrauch berichtete, dachten, jetzt beginne eine neue, ironiefreie, ungespiegelte Poetik im Werk des Autors. 

„Vergessen Sie Heroin“

Kracht kann es nicht lassen. „Vergessen Sie Heroin. Versuchen Sie mal, Ironie aufzugeben, dieses tiefliegende Bedürfnis, zwei Dinge auf einmal zu meinen“, hat Krachts Vorbild St Aubyn einmal seine Romanfigur Patrick Melrose sagen lassen. Der „cold turkey“ der Poetikvorlesung scheint den deutsch-schweizerischen Schrifsteller nicht endgültig von seiner Droge erlöst zu haben. Das Ergebnis ist eine Überdosis, ein goldener Schuss. Und mit ihm will Kracht gleich das ganze Abendland und seine verkünstelte, zu Ende stilisierte Literatur ins Jenseits befördern. „Eurotrash“, der Titel des Romans, ist hier wörtlich zu nehmen.

Nicht zufällig überlegen die Figur Kracht und seine Mutter, eine Rundfahrt durch die Schweiz an die Gräber europäischer Schriftsteller zu unternehmen, nicht umsonst will die Mutter nach Afrika: Hier soll das westliche Kulturverständnis zu Grabe getragen werden, doch der Ausweg in den vermeintlich authentischeren Süden (so wie es der ungleich trübere Peter Handke einst mit seinen Jugoslawien-Reisen ganz unironisch versuchte) bleibt versperrt.

Zum Glück bleibt dem Leser wenigstens das erspart. Der Versuch, der europäischen Kultur zu entkommen, endet bei Kracht meist desaströs, sei es in „Imperium“ oder in „1979“. Nur in „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ scheint sie zu gelingen. In „Eurotrash“ endet sie in der Psychiatrie, wenngleich diese wie in einer Art literarischer Doppelbelichtung auch als etwas anderes erscheint. Doch die Uneindeutigkeit rettet hier niemanden mehr.

Anzeige