Kampagne für neue europäische Grundrechte - Lieber keine Juristokratie

Sechs neue europäische Grundrechte fordert eine gerade gestartete Kampagne um den Schriftsteller-Star Ferdinand von Schirach, der bekanntermaßen in seinem ersten Leben Strafrechtsanwalt war. Rechtsprofessor Oliver Lepsius ordnet die Sache für uns ein.

Foto: picture alliance / dpa | Marijan Murat
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Autoreninfo

Oliver Lepsius ist Professor für Öffentliches Recht und Verfassungstheorie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

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Ferdinand von Schirach, Schriftsteller und Jurist, hat eine großangelegte Kampagne „für neue Grundrechte in Europa“ gestartet – sechs an der Zahl, vom „Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben“, über das „Recht auf digitale Selbstbestimmung“ bis zum „Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen“. Die Kampagne erfährt begeisterte Unterstützung, hat aber auch Kritik provoziert – selbst bei Kommentatoren, die die formulierten Ziele richtig und wichtig finden: Es stelle sich etwa die Frage, ob diese politischen Ziele tatsächlich wirkungsvoll befördert sind, indem man sie zu einklagbaren Grundrechten erklärt. Und ob Gerichte wirklich die richtigen Instanzen sind, sie durchzusetzen. Soeben ist allerdings das Bundesverfassungsgericht mit seinem Klimaschutz-Urteil einen großen Schritt in genau diese Richtung gegangen. Unser Gastautor Oliver Lepsius, Professor für Öffentliches Recht und Verfassungstheorie an der Universität Münster, hat in dieser Debatte eine differenzierte Position, begrüßt die Kampagne aber grundsätzlich als Ausdruck eines gelebten Verfassungspatriotismus.

Sechs neue Grundrechte fordert die Initiative „Jeder Mensch“. Rund 200.000 Unterschriften sind bereits gesammelt; das gleichnamige Buch von Ferdinand von Schirach führt die Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch an. Mit neuen Rechten will die Initiative auf die „größten Herausforderungen unserer Zeit“ reagieren: Umweltzerstörung, Digitalisierung, Macht der Algorithmen, systematische Lügen in der Politik, ungehemmte Globalisierung und Bedrohungen für den Rechtsstaat. Niemand wird bestreiten, dass hier zentrale Aufgaben der Gegenwart liegen. Doch warum darauf mit einer Rechte-Deklaration reagieren? Hilft es, Ziele zu verrechtlichen, sie als Grundrechte zu reformulieren, die man bei ihrer „systematischen Verletzung“ einklagen kann, wie es die Initiative fordert? Man vertraut also auf die Form des Rechts zur Artikulation und Durchsetzung von Zielen, bei denen ein Dissens weniger in der Frage des Ob sondern eher in der Frage des Wie bestehen dürfte. Gerichte werden offenbar als ein Forum angesehen, der Politik auf die Beine zu helfen, sie zum Sinnvollen zu verpflichten. Das ist ein bemerkenswerter Grundansatz, über den man nachdenken sollte.

Er reflektiert zunächst die Erfolgsgeschichte des Grundrechtsschutzes gerade in Deutschland. Insofern darf man die Initiative zunächst als Kompliment an das Bundesverfassungsgericht verstehen. Karlsruhe ist es über viele Jahrzehnte gelungen, im Wege der Verfassungsbeschwerde aus subjektiven Rechten objektive Maßgaben zu entwickeln, die zunächst auf die Rechtsordnung und über diese dann auf die Gesellschaft im Ganzen ausstrahlen. Viel verdankt das pluralistische und partizipative Meinungsklima der Karlsruher Rechtsprechung, die Minderheiten und ihre Artikulationsfähigkeit geschützt und gestärkt hat. Nur zwei Beispiele: So hat etwa die Stärkung des Demonstrationsrechts im Brokdorf-Beschluss 1985 maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die GRÜNEN von marxistischen Rechtsvorstellungen (Recht spiegelt nur die Herrschaftsverhältnisse wider) lösen konnten.

Reparaturauftrag für das politische System?

Mit den Massenverfassungsbeschwerden gegen die Euro-Rettung 2012 räumte das BVerfG einer Minderheit, die damals nicht im Bundestag vertreten war, eine Arena ein, in der die politisch unterlegenen Anliegen in der Form einer Verletzung eines Rechts auf demokratische Teilhabe artikuliert werden konnten. Mit Grundrechten kann die Verfassungsgerichtsbarkeit auf Repräsentations- und Artikulationsdefizite im politischen System reagieren. Manche stützen darauf sogar eine ganze Theorie zur Rechtfertigung der Verfassungsgerichtsbarkeit als solcher, die auf dem Gedanken eines gerichtlich strukturierten Reparaturauftrags für das politische System fußt („representation-reinforcement theory“). Freilich setzte der gerichtliche Aktivismus Repräsentationsdefizite in den Verfassungsorganen voraus. Die GRÜNEN waren bei den Anti-AKW-Demonstrationen genauso wenig im Bundestag vertreten wie die AfD zur Zeit der Eurorettung. 

Die von „Jeder Mensch“ verfolgten Anliegen leiden aber nicht unter einem Repräsentationsproblem, sondern unter einem Durchsetzungsproblem. Gerichte können aus ihrer Zusammensetzung und Legitimation heraus politischen Anliegen Repräsentation verschaffen, sie können sie aber kaum in der Gestalt von Urteilen durchsetzen. Wer sollte durch die neuen Rechte verpflichtet werden? Parlamente, Regierungen, internationale Organisationen? Solche Adressaten sind wiederum so organisiert, dass ihre Entscheidungen Ausdruck einer binnenpluralistischen Willensbildung sind. Sie entscheiden als Organ mehrheitlich. Mehrheiten sind immer das Ergebnis von Kompromissen. Diese Organe sind überdies politisch verantwortlich und werden regelmäßig neu gewählt.

Wieviel gerichtlicher Aktivismus?

Würden Gerichte solche Organe verpflichten, beseitigte dies, so wohlmeinend die Absicht auch sein mag, andere Errungenschaften: die repräsentativ-demokratisch legitimierte Entscheidungskultur, in der Kompromisse auf Zeit gefunden werden, Kompromisse, die zwar hinter dem Denkbaren zurückbleiben, dafür das Mögliche aber tatsächlich umsetzen. Niemand hat ein Interesse daran, dass Gerichte solche gewählten Organe schwächen oder deren Funktion übernehmen. Davor schrecken Gerichte auch aus institutionellem Selbstschutz zurück, denn sie sind für die Umsetzung ihrer Entscheidung ja auf ebendiese Organe angewiesen. Zu wenig gerichtlicher Aktivismus schädigt das politische System. Zu viel gerichtlicher Aktivismus aber beschädigt es auch und schadet übrigens früher oder später auch dem Ansehen von Gerichten. Wer will schon in einer Juristokratie leben? Wo aber liegt die goldene Mitte?

Alexander Hamilton hat schon 1788 im Federalist Nr. 78 den Rahmen abgesteckt, warum und wie weit man Gerichten die letzte Entscheidung übertragen kann: (1) weil Gerichte nicht von sich aus tätig werden, sondern nur, weil andere sie um Hilfe ersuchen; (2) weil jede Klage in einem zurückliegenden Konflikt gründet, sich also auf die Regelung eines Geschehens bezieht, nicht aber auf die Regelung der Zukunft; (3) weil Richter mit der Entscheidung keine eigenen Interessen verfolgen und schließlich, (4) weil sie die Entscheidungen nicht selbst durchsetzen können – sie haben dafür weder die Finanz- noch die Machtmittel. Ist es vor dem Hintergrund dieser institutionellen Grenzen der Gerichtsbarkeit sinnvoll, neue Rechte zu juridifizieren und im Falle ihrer systematischen Verletzung jedem Menschen eine Grundrechtsklage vor Europäischen Gerichten einzuräumen? Im Zentrum der Initiative steht ja die Frage, mit welchen Mitteln die als Rechte formulierten Themen umzusetzen sind. Können das kleine Spruchkörper, die nur aus Juristen bestehen, die also gerade nicht repräsentativ zusammengesetzt sind, besser entscheiden als gewählte Organe?

Die ethisch-moralische Kraft von Recht

Wer aber sagt, dass Rechte nur dadurch wirken, dass Gerichte über sie entscheiden? Ist es überhaupt notwendig, Rechte-Erklärungen den Rechtsweg an die Seite zu stellen? Wenn es um die Durchsetzung politischer Anliegen geht – Anliegen, die primär durch die Legislative und Exekutive umgesetzt werden müssen – mag es sogar sinnvoller sein, auf die expressive Funktion von Recht zu setzen, sich die ethisch-moralische Kraft von Recht zunutze zu machen. Es gibt eine illustre Tradition von Rechte-Erklärungen, die nicht einklagbar waren. Man denke nur an die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789. Wohl kaum ein Dokument hatte politisch weitreichendere Wirkungen, obwohl es nicht gerichtlich einklagbar war. Oder die KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975: Wie viele Bürger jenseits des Eisernen Vorhangs beriefen sich auf die Menschenrechte und Grundfreiheiten, die ihre Regierungen anerkannt hatten. Die KSZE Schlussakte trug in den Ostblockstaaten wesentlich dazu bei, zivilgesellschaftliche Gegenöffentlichkeiten und Protestverhalten unter Rückgriff auf eine völkerrechtliche Verpflichtung der Staaten zu rechtfertigen. Sie verschob die Beweislast zugunsten der Freiheit. Völkervertragsrecht sucht generell erst einmal nach Bindungsformen ohne gerichtliche Einklagbarkeit, und die Erfahrung legt nahe, dass es als Transformationsinstrument trotzdem erfolgreich war.

Insofern sollte „Jeder Mensch“ als Initiative gewürdigt werden, einen breitenpartizipativen Diskurs über die Fortentwicklung von Rechten zunächst einmal unabhängig von ihrer Einklagbarkeit zu lancieren. Findet die Initiative genügend Unterstützung, wird der Prozess politisch Fahrt aufnehmen und die Beweislast, etwas zu tun, verschieben. Was spricht dagegen, die Anliegen dann in einem weiteren Verfahren zu präzisieren, zu kodifizieren und am Ende zu juridifizieren? Ich verstehe die Initiative zunächst einmal als gelebte Partizipationskultur, an der eine freiheitliche Verfassungsordnung jedenfalls ein vitales Eigeninteresse hat. Verfassungen und Grundrechte wirken nämlich nicht schon, weil sie gelten. Die Verfassung benötigt immer eine Selbstbindung, die über eine gerichtliche Fremdbindung hinausgeht, sonst kann sie ihre Funktion als integrierende Rahmenordnung nicht erfüllen. Keine Verfassung garantiert sich selbst. Verfassungen und Grundrechte wollen gelebt und nicht nur befolgt werden. Wir würden uns ja doch kaum mit der Aussage begnügen, das Grundgesetz gilt, weil es 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossen und von den Landtagen angenommen wurde. Das Grundgesetz ist unsere Verfassung, nicht eine Verfassung unserer Großeltern. Das aber verlangt nach zeitgemäßen Aneignungsformen, nach einer die Verfassung bestätigenden Selbstbindung.

Gelebte Verfassung

Die Verfassung wird gelebt, indem wir ihre Organe wählen, indem wir den Text ändern können, vor allem aber auch, indem wir sie interpretieren. Als Geltungsmechanismus ist Verfassungsinterpretation kein Vorrecht der dazu formell berufenen Organe wie des Bundesverfassungsgerichts. Alle Bürgerinnen und Bürger können und sollen die Verfassung interpretieren. Darin liegt immer wieder eine Bekräftigung ihrer Geltung, auch wenn die einzelne Interpretation sich am Ende nicht durchsetzen sollte, weil es an ihrer Anerkennung durch die Gerichte fehlt oder sie keine Umsetzungsmehrheiten in den Parlamenten findet. Ein breitenpartizipativer Verfassungsdiskurs ist gleichwohl eine vom Grundgesetz selbst angelegte Form der Verfassungsbindung durch Verfassungsinterpretation. Demokratische Wahl und partizipative Artikulation wirken hier legitimierend zusammen. Anders gesagt: Wer Rechte fortentwickeln will, bekräftigt dadurch zugleich die bestehenden Grundrechte und betätigt sich als „Verfassungspatriot“. Diese Zielrichtung der Initiative kann ich daher nur befürworten.

Dass sich Rechte interpretatorisch fortentwickeln, dass neue Rechte „erfunden“ werden, ist überdies die Erfahrung vieler Verfassungsstaaten. Die Geschichte der USA liest sich auch wie ein Ringen um die Erneuerung der Verfassungsbindung durch neue Rechtsversprechen, und dies war immer ein Prozess des Hin und Her: Von den Zusatzartikeln nach dem Bürgerkrieg zur wirtschaftsliberalen Phase von 1890-1935; von der „Rights Revolution“ in den 1960er Jahren zum Pendelschlag des „Originalismus“, der bei der Verfassungsinterpretation am Wortlaut von 1787/91 festhalten will. Aber auch für uns gilt: Die seit 1957 anerkannte „allgemeine Handlungsfreiheit“ steht so nicht im Grundgesetz und das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Recht auf informationelle Selbstbestimmung (1983) hat sich zum Anker des Datenschutzrechts in Europa entwickelt. Ohne eine Fortschreibung von Rechten könnten die Grundrechte ihre Funktion als objektiver gesellschaftlicher Wertekanon längst nicht mehr erfüllen. Insofern ist es essentiell, dass ein Fortentwicklungsprozess nicht nur in den Verfassungsorganen, sondern auch aus der gesellschaftlichen Partizipation heraus erfolgt. Die Ebenen dürfen dabei aber nicht vertauscht werden: Ein Diskurs über Rechte wie Mehrheitsmeinungen über Rechte schaffen noch keine Rechte. Rechtserzeugung durch Gesetzgebung und Rechtsprechung aber hat kein Monopol auf Verfassungsinterpretation oder Rechte-Diskurs. Beide befruchten einander, gerade weil sie institutionell getrennt sind. 

Die vorgeschlagenen Grundrechte

Das sieht man übrigens auch an den Rechten, die „Jeder Mensch“ vorschlägt: Sie entwickeln vieles weiter, was in anderen, milderen Formen schon anerkannt ist und gilt. Sie knüpfen an Rechte an oder fordern auf, Postulate zu Rechten zu entwickeln. So ist das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben, ein anerkanntes Menschenrecht der dritten Generation, für die etwa die afrikanische Menschenrechtserklärung von 1981 steht (Banjul Charta). Während die erste Generation der Menschenrechte (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948, Europäische Menschenrechtskonvention 1950) primär Abwehrrechte und die zweite Generation (z.B. UN-Sozialpakt 1966) kulturelle, wirtschaftliche und soziale Leistungsrechte gewährte, ist die Einbeziehung der Umweltbedingungen als Voraussetzung für die Ausübung der anderen Rechte seit Jahrzehnten bereits in den Menschenrechten angelegt. 

Das Recht auf „digitale Selbstbestimmung“ existiert bereits als Synonym des gleichfalls aus den 1980er Jahren stammenden Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Die Initiative stärkt hier dem Bundesverfassungsgericht den Rücken, wenn das Gericht dieses Grundrecht bereichsspezifisch konkretisiert (TK-Überwachung, Zusammenfügung von Datenbeständen, Integrität informationstechnischer Systeme). 

Das dritte Recht, einen Menschen belastende Algorithmen müssten transparent, überprüfbar und fair sein, ist im Gleichheitssatz angelegt. Interessant ist an diesem Recht der implizite Appell, die Grundrechtsbindung im Bereich der künstlichen Intelligenz, der algorithmusgesteuerten Kommunikation und Information über den Staat hinaus auch auf die privaten Diensteanbieter zu erstrecken. Um die Bindung solcher Privater an Grundrechte kreist momentan eine rechtspolitische Debatte (konkret ausgetragen am Beispiel Facebooks). Manche Gerichte behandeln Facebook als Privaten oder Wettbewerber wie andere auch; andere Gerichte knüpfen an die Grundrechtssensibilität und die freie Willensbildung an, bewerten die Leistungen Facebooks juristisch strenger und ziehen dafür gerade die Grundrechte heran. Wenn die Initiative hier auffordert, den Maßstab strenger zu ziehen um die Autonomie des Individuums zu sichern, trifft dies den Kern einer aktuellen juristischen Kontroverse. Sie wird womöglich zu sehr in spezialisierten Fachdiskursen ausgetragen, denen die gesamtgesellschaftliche Dimension nicht bewusst ist, gerade weil die freiheitsrechtliche Dimension noch nicht zutage tritt. 

Schwierige Wahrheit

Ähnlich verhält es sich beim „Globalisierungs-Grundrecht“ der Initiative, nämlich darauf vertrauen zu dürfen, dass Waren und Dienstleistungen unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden. Das Lieferkettengesetz, das diesen Zielen dient, soll ab 2023 gelten.

Schwierig umzusetzen sein wird das Recht, von Amtsträgern nur die Wahrheit zu hören („Artikel 4: Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.“) Hier begibt man sich in einen Konflikt mit der Meinungsfreiheit. Unsere Erfahrung jedenfalls ist, dass Dinge, die lange als wahr galten, sich später als unwahr herausgestellt haben. Wie viele Irrtümer dienten am Ende dem Fortschritt? Meinung ist dann vielleicht doch wichtiger als Wahrheit. Wahrheit appelliert an eine absolute Erkenntnis, die es gleichwohl nicht gibt, die sich jedenfalls als ein relatives Gut erweist, abhängig von den jeweiligen Umständen und Überzeugungen. Ein Wahrheitsanspruch müsste letztlich unsere Entscheidungsfähigkeit lähmen, abgesehen davon, dass Gerichte gar nicht imstande wären, über Wahrheit zu entscheiden. Gemeint ist offenbar ein anderer Wahrheitsbegriff im Sinne von Aufrichtigkeit, Absehen von Lüge oder im Sinne der postdiktatorischen Wahrheitskommissionen.

Erhaltung der demokratischen Grundbedingungen

Es geht letztlich um die politische Transformation des achten Gebots, insofern handelt es sich um den Versuch, eine offenbar nachlassende religiöse Bindung durch Rechtsbindung zu kompensieren. Erneut: Warum sollte man nicht darüber nachdenken, ob das nötig ist und mit welchen Mitteln dies gelingen kann? Reicht ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz schon? Sollen auch hier private Dienstleister stärker der Grundrechtsbindung unterworfen werden, weil dies eine Voraussetzung für die freie demokratische Willensbildung der Bevölkerung ist? Geht es hier nicht letztlich um die Erhaltung der demokratischen Grundbedingungen, die durch Medienwandel und Technologie verändert werden?

Was „Jeder Mensch“ als Rechte formuliert, stellt sich auch als Instrument zur Sicherung der demokratischen Teilhabebedingungen dar. Es geht letztlich also nicht um „mich“, sondern es geht um „uns“. In der westlichen Tradition sind Rechte aber zunächst als subjektive Rechte verstanden worden, als Abwehrrechte gegen die Staatsgewalten. Ganz unabhängig von technischem Wandel und Globalisierung ist es vielleicht auch die Konsequenz des Erfolgs des Verfassungsstaats, dass die Gefährdungen der Freiheit, Teilhabe und Mitbestimmung heute weniger von einem demokratisierten Staat ausgehen, sondern von einer nichtdemokratisierten Umwelt und Wirtschaftsordnung. Darauf wollten schon die Menschenrechte der zweiten und dritten Generation reagieren. An sie unter den heutigen Bedingungen anzuknüpfen, sie den rechtserzeugenden Organen, Parlamenten wie Gerichten, vorzuhalten und den politischen Appell mit Hilfe der Formen des Rechts zu verstärken, all dies kann ich nicht kritisieren, es entspricht sogar dem breitenpartizipativen Grundanliegen unserer Verfassungsordnung. Die Initiative lebt unsere Grundrechtsordnung, indem sie sie interpretiert und mit der Fortentwicklung auch ihre Geltung sichert.
 

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