Esskultur in der Ukraine und Russland - Genuss kann verbinden

Es klingt bitter, aber erst der furchtbare Krieg hat bei unserem Genusskolumnisten Interesse für die Genusskultur in der Ukraine und ihre Nähe zur russischen geweckt. Jetzt hat er sich ein bisschen kundig gemacht und auch einen großen (nicht nur) russischen Supermarkt besucht.

Eher nicht für eine Diät geeignet: Pelmeni mit Knoblauch-Käse-Füllung / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Wie viele russischstämmige und russischsprachige Menschen in Berlin leben, weiß kein Mensch. Eine große russische Community gibt es in Berlin schon seit über 100 Jahren. Nach der russischen Revolution nahm Berlin zeitweise mehr als 400.000 Russen auf. Immer wieder gab es regelrechte Zuwanderungsschübe, etwa durch Spätaussiedler („Russlanddeutsche“) und jüdische Kontingentflüchtlinge.

Schon lange gibt es russische Netzwerke in der Stadt. Das heißt nicht, dass das eine homogene Gemeinschaft ist. Russland bzw. die russische Konföderation ist ein Vielvölkerstaat mit vielen Ethnien, das galt in noch stärkerem Maße für die 1990 zerfallene Sowjetunion, aus deren Nachfolgestaaten ebenfalls viele Menschen nach Deutschland emigriert sind. Schon vor der aktuellen Krise und dem Krieg lebten in Berlin bereits 14.000 Ukrainer, inzwischen sind es beträchtlich mehr.

„Parallelwelt“ der angenehmen Art

Zu besagten Netzwerken gehören auch zahlreiche Lebensmittelgeschäfte, bis hin zu großen Supermärkten, wie der Intermarkt Stolitschniy in Berlin-Lichtenberg. Ein Besuch dieses Ladens ist teilweise wie eine Reise in eine andere, spannende kulinarische Welt. Eine überwältigende Auswahl an frischen und geräucherten Fisch- und Fleischwaren, gefühlt 50 Sorten Pelmeni und Piroggi, jede Menge eingelegtes Gemüse im offenen Verkauf und unzählige kyrillisch beschriftete Konserven – dankenswerter zumeist mit deutschen Untertiteln versehen – mit ungewohnten Inhalten, wie etwa „gebratene Stinte mit Kopf in Paprikasoße“ oder „Buchweizengrütze mit Hühnerfleisch“. Dazu noch ein großes Angebot an frischen Kräutern zu Spottpreisen, darunter riesige Petersilien-, Dill- und Koriandersträuße. Nicht zu vergessen verschiedene Sauermilchgetränke und eine solide Auswahl vor allem georgischer Weine. Und natürlich gibt es auch diverse Sorten Kaviar.

Die Besucherstruktur erscheint so vielfältig wie das Angebot. Man vernimmt  ein geradezu babylonisches Sprachengewirr, wobei Russisch eindeutig dominiert (soweit ich das beurteilen kann). Hier kaufen auch in der Stadt lebende Ukrainer ein, denn deren kulinarische Gepflogenheiten sind nicht allzu weit von den russischen entfernt, wie mir eine Kennerin der Region – eine in Usbekistan aufgewachsene Ukrainerin und gebürtige Krim-Tatarin, die seit einiger Zeit in Berlin lebt – erläuterte.  Einige ukrainische Ausprägungen gibt es demnach, dazu kommen deutliche Einflüsse der polnischen und ungarischen Küche. Außerdem leben auch viele Russen in der Ukraine.

Zwischen Borschtsch, Salo und Mehlspeisen

Als Nationalgericht gilt das kräftige Eintopfgericht Borschtsch. Auch Wareniki (Teigtaschen) mit verschiedenen Gemüse- und Fruchtfüllungen sind  in der ukrainischen Küche sehr beliebt. Was Getreide-, Milch- und Fleischprodukte betrifft, konnte die traditionelle Kornkammer Osteuropas ziemlich aus den Vollen schöpfen. Weit verbreitet ist Salo, in Salz, Gewürzen und Knoblauch gereifter Rückenspeck, der traditionell bis zu einem Jahr in Holzkisten gelagert wird. Man isst ihn kalt in feine Scheiben geschnitten mit Schwarzbrot, aber auch gebraten oder gekocht in verschiedenen Gerichten. Hartnäckig hält sich die Legende, dass die Bewohner der heutigen Ukraine die Kriegszüge mongolisch-tatarischer Horden ab dem 13. Jahrhundert vor allem überstanden, weil die Invasoren zwar reichlich Lebensmittel plünderten, aber Schweine aus religiösen Gründen verschmähten. Als typisch gilt auch die große Vorliebe für Mehlprodukte aus ungesäuertem Teig, Brandteig und Mürbeteig, auf der Basis von Pflanzenölen, die die Ukrainer mehr schätzen als Butter.

Nicht für Diätkuren geeignet

Als kompliziert beschreibt meine Gesprächspartnerin die in der Ukraine übliche Zubereitung klassischer Gerichte. Vieles werde vorgebraten und anschließend gekocht, gedünstet oder gebacken. Auch gekochte Speisen würden oftmals zusätzlich gebacken. Generell könne man konstatieren, dass die ukrainische Küche „eher wenig für eine Diät geeignet“ sei. Aber trotz aller nationalen Ausprägungen gebe es dennoch viele Parallelen zur russischen Küche.

Es bleibt ein eigenartiger Beigeschmack. Da muss es erst einen furchtbaren Krieg mit vielen Opfern und großen Zerstörungen geben, um Interesse für die Geschichte und Alltagskultur eines nicht weit entfernten europäischen Landes zu wecken. Eine bittere Lektion, die ich mir merken werde. An diesem Wochenende wird meine Gesprächspartnerin übrigens für eine kleine Runde kochen. Und zwar krimtatarisch. Ich darf dabei sein und bin unglaublich gespannt.

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