Essen und Politik - Bloß kein Bild mit Döner

Sahra Wagenknecht wurde mit Hummer erwischt, die Grünen forderten einen Veggie-Day und Peer Steinbrück trinkt keinen Pinot Grigio unter fünf Euro. Eines ist klar: Essen ist politisch. Doch die Spielregeln zu beachten, ist eine Kunst für sich

Essen und Politik gehören zusammen. Aber was darf auf den Teller? / picture alliance
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Autoreninfo

Philip Manow, geboren 1963, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen, mit vorherigen Stationen an den Universitäten Konstanz und Heidelberg sowie dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln und dem Wissenschaftskolleg in Berlin. Er schreibt regelmäßig für das Magazin MERKUR. Er lebt in der Nähe von Köln.

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Gauche caviar, freedom fries, Chlorhühnchen – Carl Schmitt hatte recht: Das Politische ist substanzlos, es markiert nur eine Intensität, eine Assoziation oder Dissoziation. Alles kann urplötzlich in dieses Kraftfeld hineingezogen werden – auch das Essen. Oder das Trinken. Zum Kaviar-Linken gesellt sich dann der Champagne bzw. Chardonnay Socialist, oder der Bollinger Bolshevik. Das Politische ist nicht besonders wählerisch, es holt sich seine Abgrenzungen dort, wo es sie gerade findet. 

Ein sozialdemokratischer Kanzlerkandidat schoss vor kurzem aus der Bahn, als er über seine Pinot-Grigio-Kaufgewohnheiten plauderte. Eine ganze Partei nahm sich aus dem Rennen, als sie den Deutschen einen wöchentlichen Veggie-Day zwangsverordnen wollte. Sahra Wagenknecht versuchte zu verhindern, dass Fotos von ihrem Hummeressen in einem Brüsseler Spitzenrestaurant an die Öffentlichkeit geraten (es hat nichts genutzt: „mit Hummer und Sichel“ klebt nun als Etikett an ihrer Form des Edelmarxismus). Ohne Zweifel – das Essen ist eine politisch delikate Angelegenheit. Dabei scheint es in der Links-Rechts-Codierung asymmetrisch, denn wie könnte man die Ess-, Trink- oder Wohngewohnheiten eines Konservativen als heuchlerisch entlarven? Allenfalls kann es sich für einen Rechten als politisch verhängnisvoll erweisen, wenn ihm erfolgreich eine „dann lasst sie doch Kuchen essen“-Einstellung angehängt werden kann. Doch der öffentliche Eindruck, den Kontakt zum „gemeinen Mann“ bereits vollständig verloren zu haben, wäre für einen Politiker der Linken nicht weniger verheerend. 

Hausmannskost hat Vorrang

Es lässt sich am Essen ebenso wie an der Kleidung unseres politischen Führungspersonals ablesen, dass tendenziell alle Verhaltensweisen, die in der Lage sind, sozial eine Unterscheidung zu markieren, in der voll demokratisierten Gesellschaft politisch unter Verdacht geraten können. In der Demokratie lässt sich keine Karriere auf Extravaganz gründen. Man tritt eher als MdB Solms denn als MdB Prinz zu Solms-Hohensolms-Lich auf. Es ist politisch vorteilhaft – zumindest bis knapp diesseits des öffentlichen Eindrucks vollständigen Mittelmaßes – , als ein Mann oder eine Frau ohne weitergehende soziale Eigenschaften zu erscheinen, weil jede soziale Distinktion ein potenzielles politisches Ausschließungskriterium ist, während der Repräsentationsanspruch in der Demokratie ja immer ein unbegrenzter sein muss. Soziologische Theorien des Elitendistinktionsverhaltens – von Simmel bis Bourdieu – wären daher politisch als Vermeidungskatalog zu lesen.

Bei den politischen Essgewohnheiten signalisiert folglich die erklärte Vorliebe für die einfache Küche Volksnähe und Bodenständigkeit. Politisch herrschen daher Landesküche und Hausmannskost vor, es geht vergleichsweise rustikal zu. Regionale Gerichte bieten die Gelegenheit, mit einem zusätzlichen Bekenntnis zur jeweiligen Herkunft zu punkten. Am deutschen Beispiel: dicke Bohnen (Konrad Adenauer), Pichelsteiner Eintopf (Ludwig Erhard), Saumagen (Helmut Kohl). Schließlich mit leichtem Schlag ins Prollige: Currywurst (Gerhard Schröder). Sofort steht das Bild des SPD-Kanzlers als Politmalocher im Maschinenraum des deutschen Regierungssystems vor Augen: hier die Reformschraube ein wenig weiterdrehen, dort die Fraktionsdisziplin etwas nachfetten – und nach der Schicht dann zu Konnopke’s. Die Currywurst diente wohl auch dazu, Schröders vorheriges „Cohiba-Brioni-Image“, nun ja, wohl nicht gerade „glattzubügeln“, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb, sondern eher schnell wieder vergessen zu machen. Nach Schröder ging es dann wieder etwas dezenter, nämlich einfach und regional zu: Uckermärker Kartoffelsuppe mit Einlage. Im jährlichen Sommerurlaub auf Ischia hingegen die „gute traditionelle neapolitanische Küche“, denn die Kanzlerin liebe ja schließlich, wie man wissen lässt, die einfachen Dinge.

Frieden und Wurstbrot

Die typische politische Klischeespeise ist also im Inland wie im Ausland eine glatte, gediegene Sache, die sich gut in eine Zeichenordnung des Soliden, Bewährten und Bescheidenen einfügt und damit auch eine Sehnsucht nach Herkunft und Identität erfüllt, auf ein nostalgisches Bedürfnis antwortet: sie soll zur Assoziation jeden und zur Dissoziation keinen Anlass bieten. Peter Altmaier twittert an einem heißen Sommertag ein einziges Wort: „Erdbeerkuchen“. Das scheint eher unkontrovers zu sein. Politisch an der politischen Speise ist eben, dass sie Ausdruck einer Abwehr ist, die in der Regel den Konflikt niederhalten will und durch diesen Reflex das Politische naturalisiert. Eine Farce, über die keiner lacht, weil sich jeder an ihr beteiligt.

Man mag das zunächst für einen Ausdruck pragmatischer Vernunft halten: Lasst uns das schnell abräumen, damit wir uns auf das Wesentliche konzentrieren können. Aber dieser vorgebliche Pragmatismus ist doch nur Teil der mitlaufenden Zeichenordnung, denn das Wesentliche wird ja in der Demokratie meist nicht anders als das Nebensächliche behandelt, also beispielsweise als die äußere Erscheinung oder das tägliche Essen. Für beide gilt das Leitmotto der Demokratie gleichermaßen: pro bono, contra malum – Hass ist schlecht und Liebe gut, man ist für Toleranz und gegen Intoleranz, gegen Arbeitslosigkeit und für soziale Gerechtigkeit, für Frieden und gegen Krieg, und ist dann im Zweifel auch für Wurstbrot und gegen Veuve Clicquot. In der Demokratie kleidet sich das Interesse immer in das Gewand von maximaler Zustimmungsfähigkeit, common sense und Normalität. Es ist ein gängiger Irrtum, anzunehmen, im Zentrum der Politik stehe der politische Streit. Im Zentrum der praktizierten Politik steht vielmehr der beständige Versuch seiner Vermeidung – die eigene Position soll als fraglos gelten.

Schlichte Bankette

Das Essen zeigt den politischen Menschen öffentlich privat, und die Bratwurst ist dabei das ideale kulinarische Darstellungsmittel. Der schnelle Imbiss ist aus identischen Gründen auch anderenorts besonders demokratiekompatibel: „Barack Obama hat im US-Wahlkampf in nahezu jede Art von Fastfood mindestens einmal gebissen. Hot Dogs, Pizza, Burger […] Von Mitt Romney hingegen gibt es keine Bilder, wie er in einen Taco beißt“, denn damit wäre automatisch das für die Republikaner heikle Thema der Einwanderung aus Lateinamerika aufgerufen. Um die zurückgelegte Strecke in der Darstellung politischer Herrschaft abzumessen, reicht es zu fragen, ob Herrscherporträts der Vormoderne den Herrscher jemals essend gezeigt haben.

Auch Merkel auf Türkeireise weiß: „Bloß kein Bild mit Döner“ – sonst mault die CSU wieder. Das zeigt: Neben dem Wahlkampf ist der zweite hervorgehobene Anlass zum politischen Essen der Staatsbesuch. Auch dieses Essen, zumindest wenn es sich nicht um ein offizielles Staatsbankett, sondern um ein Arbeitsessen handelt, steht unter dem Imperativ des Schlichten. Im Kanzleramt, so heißt es, geht es „wie immer unter Merkel bodenständig“ zu. Etwa: Nordseekrabben, Roulade, Vanilleeis. Das liest sich so bieder, wie es sich wohl auch lesen soll – eine Allerweltsküche von geradezu theatralischer Langeweile, ein fortgesetztes kulinarisches Understatement. Man muss/soll zu dem Schluss kommen, der Gang in die nächste Bahnhofsgaststätte sei aus rein pragmatischen Gründen verworfen worden. Aber hätte man wirklich lesen wollen, Merkel habe mit dem griechischen Ministerpräsidenten Samaras über einen Sauté von Milchkalbsbries und Langostino, Chicorée und Grapefruit, gefolgt von einem gebratenen Seeteufel mit karamellisierten Endivien und Japanrettich und einem Jus von Blauem Spätburgunder mit Kalbsknochenmark über ein zweites Rettungspaket verhandelt?

Sauce hollandaise für Hollande

Geht es einerseits darum, keine Angriffsfläche für die in der repräsentativen Demokratie allgegenwärtigen „Ihr da oben, wir hier unten“-Vorwürfe zu bieten – keine Opulenz, kein Anschein der Dekadenz – , steht beim Staatsbesuch zusätzlich im Vordergrund, diplomatische Schnitzer des kulinarischen Fachs zu vermeiden. Es war in einem doppelten Sinne keine gute Idee, Staatspräsident Hollande bei seinem Antrittsbesuch in Berlin Spargel mit Sauce hollandaise zu servieren. Zum einen hätte man im Vorfeld des Besuchs in Erfahrung bringen können, dass der französische Präsident keinen Spargel mag, zum anderen nährte der Menüplan die vor dem Hintergrund der zunehmenden ökonomischen Ungleichgewichte und der wachsenden Verstimmung zwischen den beiden Staaten ohnehin vorhandene Vorstellung, hier stünde eigentlich der eine auf dem Speiseplan des / der anderen. Aus Kreisen des Kanzleramts wurde zumindest versichert: „Sie werden sehen, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde.“ Ob Merkel nach dem ersten Treffen wohl bestätigen konnte, was man Hollande zu Hause nachsagt, dass er nämlich den Charme eines feuchten Baguettes habe?

Seit der Französischen Revolution gilt: Auch Frankreichs politische Seele ist die Sauce. Im Zuge der Revolution wurde die französische Haute nationalisiert zur Grande Cuisine, und diese nimmt bis heute weltweit kulinarische Hegemonie für sich in Anspruch. Im nationalen Selbstverständnis ist Frankreich die Wiege kulinarischer Kunst, ein Selbstbild, das sich durch den Unesco-Kulturerbe-Status der cuisine française bestätigt sieht. Der Louvre oder das Schloss Versailles werden zu Orten üppiger republikanischer Schauessen, wie im März 2015, als allen in Frankreich akkreditierten Botschaftern, 650 an der Zahl, im Zuge einer „Gastronodiplomatie“-Initiative des französischen Außenministeriums ein Menu aus Foie gras, Lachs-Tartar, Seebarschfilet, Milchlamm, schließlich Käsespezialitäten und einem „schwebenden“ Schokoladendessert serviert wurde, begleitet von 18 Kilogramm Trüffeln und fünf Kilogramm Kaviar, dazu selbstverständlich französischer Wein und Champagner in ganz großem Stil.

Dinkel und Dünkel, dank der Grünen

Es fällt nicht weiter schwer, sich das habituelle Protestspektrum vorzustellen, das ein solches Ereignis in Deutschland provoziert hätte: Peta – wegen Stopfleberpastete, Claudia Roth – wegen Milchlämmchen, die Linke – wegen Champagner. Daniel Cohn-Bendit, Wanderer zwischen den politischen Kulturen Frankreichs und Deutschlands, betont den Unterschied zwischen der deutschen „Nehmt den Reichen die Austern weg“-Linken und der französischen „Austern für alle“-Linken. Der Hedonismus der französischen Linken weist sie als wahre republikanische, antiklerikale Erben des katholischen ancien régime und seiner kulinarischen Überbietungskonkurrenz aus, während die protestantische Verkniffenheit der deutschen Linken geradewegs in das Bionade-Biedermeier der Grünen führt, in ihr Neo-Spießertum aus „Dinkel und Dünkel“ (Peter Richter). Das Essen ist immer politisch codiert, aber überall anders.

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem neuen Buch von Philip Manow: „Die zentralen Nebensächlichkeiten der Demokratie“, Rowohlt 2017, 320 Seiten, 14,99 Euro.

 

 

 

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