Man sieht nur, was man sucht - Che Guevara: Der tropische Messias

Der gebürtige Argentinier Ernesto Guevara war der Heiland des Kommunismus. Gern wird, statt seines Namens, nur „Che“ gesagt, und alle wissen, wer gemeint ist, sehen im inneren Auge eben dieses Mannsbild, eingebrannt im kollektiven Bewusstsein für Generationen. Ein Grund: Er flutete den Westen mit Reproduktionen der Guevara-Ikone. Doch statt Erlösung hinterließ sein schöner Schein nur kalte Wut und nackte Gewalt.

Che Guevara wurde zum weltbekannten Sinnbild des kommunistischen Kampfes. Weniger bekannt ist, dass das legendäre Bild von ihm retuschiert ist / dpa
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Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Die Originalfotografie der allbekannten Ikone entstand anlässlich der Trauerfeier für die Opfer der Explosion im Hafen von Havanna am 5. März 1960, bei der bis zu 100 Menschen zu Tode gekommen waren. Es geschah beim Löschen des belgischen Frachtschiffs La Coubre, das Waffen und Munition geladen hatte. Kuba machte die CIA dafür verantwortlich.

Palmblätter rahmen die Hauptfigur der noch nicht zugeschnittenen Aufnahme. Links ragt das fein geschnittene Profil von Jorge Ricardo Masetti ins Bild, einem Weggefährten des Ernesto Che Guevara. Anwesend bei der Gedenkfeier war nicht nur die kubanische Revolutionselite um Fidel Castro, auch internationale Prominenz der Linken ließ sich sehen, darunter Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Im Zeitalter von Pop-Art wird die Trauerfeier zur Celebrity-Show. Hinter der Kamera stand Alberto Korda, Werbefotograf in Havanna. Er verkaufte die Bildrechte für das Guevara-Porträt dem Verleger Giangiacomo Feltrinelli, der nach dem Tod des Revolutionärs auch dessen „Bolivianisches Tagebuch“ herausgeben sollte. 

Der Großbürgersohn folgte seiner kommunistischen Haltung, als er den kulturellen Westen im Jahr 1967 mit Reproduktionen der Guevara-Ikone buchstäblich flutete, ohne Tantiemen zu erheben. In den USA sah man das anders. Gerard Malanga, der junge Assistent von Andy Warhol, erstellte vom Klischee einen Silkscreen in der allbekannten Manier. Warhol war kein Kommunist. Der knallharte Geschäftsmann setzte seine Unterschrift unter Malangas Siebdruck. Die Tantiemen aus dem Verkauf von kunterbunten Guevara-Postern flossen dem Inhaber der New Yorker Factory zu. 

Gutbürgerlicher Vollblutkommunist

Gern wird, statt seines Namens, nur Che gesagt, und alle wissen, wer gemeint ist, und sehen im inneren Auge eben dieses Mannsbild, eingebrannt im kollektiven Bewusstsein für Generationen. Che bedeutet dabei nichts als nur Ausruf von Bewunderung, dem die englische Umgangssprache nahekommt: Ernesto Hey! Guevara. Ja, er hat es gehört; und so blickt denn der tote compañero, unsterblich geworden, aus dem Bild: Als einer, der gewusst hat, dass aller Augen, hey! bewundernd auf ihn gerichtet sind.

Apropos gut aussehend: Für den Abzug hatte man die Reproduktion etwas gelängt, um das sichtbare Leiden des auffällig bleichen Helden zu vertuschen. Che litt an chronischem Asthma, die Einnahme von Kortison war seinem gedunsenen Gesicht anzusehen. 

Ernesto Guevara war der Sohn einer gutbürgerlichen Familie und hatte das Studium der Chirurgie abgeschlossen. Im Gegensatz zum eher pragmatischen Fidel Castro war er ideologisch fixiert auf den Sowjetkommunismus stalinscher Prägung. Als Minister für Industrie peitschte er in Kuba die Planwirtschaft durch, gegen Widerstand wurde Arbeitslager verhängt. Es kam zum Bruch mit Fidel. Mit der Devise „Unbeugsamer Hass gegenüber dem Feind“ betrat Guevara das Kampffeld permanenter Weltrevolution, zunächst in den afrikanischen Bürgerkriegen des Kongo und Angolas, zurück in Lateinamerika in Peru und Bolivien. 

Heldenstatus nicht für jedermann

Die strategischen Ziele in den ländlichen Gegenden, wo Guevara seinen Aktivismus auslebte, gingen an den Bedürfnissen der campesinos vorbei, Sprachbarrieren gab es gegenüber indigenen Volksgruppen. Nebst seiner Muttersprache hatte Guevara das koloniale Französisch gelernt, am lautesten aber doch nur die Sprache der Gewehre. Ohne Rückhalt in der Bevölkerung wurde die geschrumpfte Kampfeinheit in La Higuera, einem Dorf im östlichen Andenhochland, von Regierungstruppen aufgerieben, Che festgenommen und am 9. Oktober 1967 standrechtlich erschossen. Damit war die Voraussetzung für ein glorreiches Nachleben im Reich der Revolutionsromantik gegeben.

Feltrinelli ist ähnlich zu Tode gekommen. Ende der 1960er Jahre überließ er den Verlag seiner Frau, tauchte ab und gründete eine linksextreme Gruppe. Beim Versuch, am 14. März 1972 einen Hochspannungsmast vor Mailand zu sprengen, starb er. Ganz im Sinne der Legendenbildung bleibt strittig, ob die explosive Ladung versehentlich zu früh losging oder ob ein Geheimdienst die Hand im Spiel hatte. Dass man die Weltgemeinschaft nicht im Sinne narzisstischer Wut mit Gewalt umerziehen kann, muss momentan ein anderer Zögling Stalins erfahren.

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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