Georg-Büchner-Preis für Elke Erb - Am Anfang steht Staunen

Der Georg-Büchner-Preis geht in diesem Jahr an die Schriftstellerin Elke Erb. Mit der Entscheidung ehrt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung nicht nur eine Außenseiterin der Literatur, sie unterstreicht zudem den Stellenwert der deutschen Lyrik.

Die Schriftstellerin Elke Erb bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes im Schloss Bellevue / dpa
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Autoreninfo

Björn Hayer ist habilitierter Germanist und arbeitet neben seiner Tätigkeit als Privatdozent für Literaturwissenschaft als Kritiker, Essayist und Autor.

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Die Sprache lebt. Mal gibt sie sich halt- und zügellos, dann wieder karg und bedächtig. Und je mehr Entfaltungsraum man ihr gibt, desto weniger müht sie sich um Verständigung. Es gilt das Motto: „Sind Worte unter sich, entscheiden sie.“ Geschrieben hat diesen Satz die frisch gekürte Büchner-Preisträgerin Elke Erb. Lyrik einzig unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Vermittlung zu sehen, wäre für die vielleicht bekannteste Außenseiterin der deutschsprachigen Dichtung ein Unding. Schreiben bedeutet für die Lyrikerin, vor der sich gerade auch jüngere Schreibkollegen immer wieder verneigen, das Offene zu suchen. Texte seien, wie sie in einer ihrer programmatischen Selbsterläuterungen formuliert hat, „Figuren des Werdens“, mithin „Erlebnisse – / Ermöglichungen (Wege) – / operative Orientierungen". 

Poesie, die Hauptgattung der am 18. Februar 1938 in der Eifel geborenen Autorin, steht demnach für das immerwährende Drängen nach Freiheit. Dabei gilt das Gebot nicht nur für eine Dichtkunst, die unentwegt bis an ihre formalen und inhaltlichen Grenzen vordringt; die Emanzipation im Sprechen und Schreiben ist bei Erb immer auch politisch zu deuten. Nachdem sie 1949 als damals Zwölfjährige mit ihrer Familie vom Westen in die DDR übergesiedelt war und später nach Studium und Verlagsarbeit ihre Berufung zur freien Schriftstellerin gefunden hatte, stellte sie die Zensoren in Ost-Berlin immer wieder vor hehre Herausforderungen. Gerade ihre Sperrigkeit, ihr Hang zu Gedankensprüngen und entlegenen Assoziationen lässt sich als eine im Text verborgene Volte gegen Regime-Gusto und die Verzwecklichung der Sprache verstehen. 

Engagement für Frieden und Feminismus

Flankiert hat sie ihre poetische Opposition mit Aktivismus. Neben dem öffentlichen Protest über die Ausweisung des Bürgerrechtlers Roland Jahn stand sie früh der Friedensbewegung im Osten nah. Zudem galt ihr Augenmerk dem Feminismus. So befasste sich die spätere Peter-Huchel--Preisträgerin intensiv mit dem Werk ihrer Kollegin Friederike Mayröcker. Ferner übersetzte sie die Gedichte der russischen Schriftstellerin Marina Zwetajewa, die sich nach ihrem Einsatz gegen den Kommunismus in deutsches und später in französisches Exil begeben musste. Erbs Ambition ist bis heute unmissverständlich: Es sollten mehr weibliche Positionen in der ansonsten oft männlich dominierten Literaturgeschichte Gehör finden. 

„Was du schreibst, ist ein neues Land, sage ich.“ In diesem Vers aus dem Poem „Über den Winter“, gerichtet an Marina Zwetajewa, klingt nicht nur die Entdeckung eines unbekannten weiblichen Sprachkontinents an, die Worte offenbaren auch ein zentrales Prinzip in Erbs dichterischem Schaffen: Ihr nämlich geht es um Dialog. Dieser schließt Stimmen von zeitgenössischen wie historischen Dichterinnen gleichermaßen ein. Erbs Lyrik präsentiert sich als Begegnungsstätte für das Andere und Fremde. Es stellt einen Erinnerungsraum für vermeintlich vergessene Geistes- und Seelenverwandte her. Hierin zeigt die Dichterin, dass ihre experimentell anmutende und sich permanent erneuernden Lyrik allein aus der Nähe heraus entsteht. Alltägliche Beobachtungen und Naturimpressionen, in den letzten Jahren aber auch das Bewusstsein für Schmerz und Alter kennzeichnen ihr umfangreiches Werk. 

Rätselhafte Miniaturen

Als Leser zögert man zuweilen in Anbetracht der auf den ersten Blick unzugänglich erscheinenden Texte. Nachdem man sich indes auf den Versuch eingelassen hat, die häufig rätselhaften Miniaturen zu durchdringen, sieht man die Welt zumeist klarer. „Poesie“, schreibt Erb, „ist für mich die bündigste und gründlichste Form der Erkenntnis.“ Zweifelsohne bedarf sie einer gewissen Anstrengung. Am Ende aber steht die Faszination:

„ich höre nicht auf mich zu wundern:
gleite jetzt wieder die weile
ab in den schlaf und über-

lasse mich dem – dennoch bekannten –
aspektwechsel um die drei ecken
die ihre stockwerke stapeln

kleinstädtisch einem bleichen
reizlosen jenseitslicht. gleichwohl:
wundert es mich.“

Mit der Verleihung des Georg-Büchner-Preises an Elke Erb adelt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung nicht nur das Lebenswerk einer mittlerweile 82-jährigen Vielschreiberin, sie setzt in diesem Jahr auch ein Zeichen für die oft unterbewertete Gattung Lyrik; für eine Literaturform also, die sich im Innersten ein Geheimnis bewahrt hat. Das Staunen erweist sich so gesehen als die vielleicht wichtigste Konstante in diesem so einzigartigen wie ungewöhnlichen Werk.
 

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