Phänomen Arnie - „Ein pragmatischer Performance-Populist“

Arnold Schwarzenegger wird mit Begriffen wie Terminator oder Gouvernator belegt und ist doch weit mehr. Ein Politiker neuen Typs. Ohne Dogma. Ohne Ideologie. Cicero Online sprach mit dem Kunstwissenschaftler Jörg Scheller über das Phänomen Schwarzenegger 

(picture alliance) Schwarzenegger als Wiedergänger der Herkules-Figur
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Jörg Scheller ist Inhaber einer Dozentur für Kunsttheorie und Kunstgeschichte im Department Kunst & Medien an der Zürcher Hochschule für Künste. Seine Doktorarbeit fertigte er zu Arnold Schwarzenegger an

Herr Scheller, Sie haben Kunstwissenschaft und Philosophie studiert. Wie kamen Sie darauf, ausgerechnet zur Person Arnold Schwarzenegger Ihre Doktorarbeit anzufertigen?  
Man könnte sagen, dass Figuren wie Schwarzenegger die Michelangelos der Massengesellschaft sind. Unsere Hofkünstler im Pop-Zeitalter sind nicht mehr die großen Malerfürsten, sondern das sind Selbstinszenierer wie Schwarzenegger. Ich finde diese Figuren interessant, weil sie viel über unsere Zeit und die jüngere Vergangenheit verraten. Man kann Schwarzeneggers Leben interpretieren wie ein Historiengemälde der Postmoderne. In ihm, in dieser Figur, in diesem Mythos müsste man sagen, verdichten sich maßgebliche Züge der jüngeren Geschichte: Von der High-Low-Durchmischung der 1960er, 1970er Jahre über den Neokonservatismus der 1980er, dann der Cross-Over-Zeitgeist der 1990er und der Öko-Boom der Nuller-Jahre. All diese Facetten lassen sich wunderbar an Schwarzenegger ablesen. Er verkörpert diese Zeit in all ihrer Widersprüchlichkeit.  

Sie beschreiben Schwarzenegger als mythologische Figur und ziehen Parallelen zur mythischen Gestalt des Herkules. Was meinen Sie damit?  
Der Herkules-Mythos zeichnet sich dadurch aus, dass Herkules keine Essenz hat. Herkules hat weder einen ethischen, moralischen noch ideologischen Kern, sondern er wird im Laufe der Zeit immer neu vereinnahmt, und zwar von absolut unterschiedlichen Seiten. Er kann einmal die Identifikationsfigur der Aristokratie sein, dann wieder der Held der kleinen Kaufleute. Er kann ein stoischer Tugendheld sein und dann wieder ein selbstverliebter Rüpel. Herkules existiert eigentlich gar nicht. Er ist eine Chiffre für menschliche Selbstüberschreitung, für Durchsetzungsfähigkeit und Beharrungsvermögen. Dahingehend sehe ich in Schwarzenegger einen postmodernen Wiedergänger der Herkules-Figur. Man kann ihn nicht festlegen auf ein bestimmtes Weltbild, auf eine bestimmte Ideologie. Er ist immer alles gleichzeitig. Mir geht es nicht um die Privatperson Schwarzenegger, sondern um die Inszenierung, um die Maske Schwarzenegger.  

Schwarzenegger hat in seiner Zeit als Gouverneur von Kalifornien die Umweltpolitik stark vorangetrieben, sogar das Kyoto-Protokoll unterstützt. Und das entgegen der Linie des damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Ist dieser Politikansatz mit der mythologischen Figur erklärbar?
Ich glaube der Politikansatz hängt eher mit den Mythen Kaliforniens zusammen. Schwarzenegger verkörpert wissentlich oder unwissentlich stark den Mythos Kaliforniens. Und Kalifornien war in den USA immer schon ein Vorreiter für Ökopolitik. Das begann im späten 19. Jahrhundert, als der Bundesstaat von der Tourismusbranche als neues antikes Griechenland beworben wurde. Man hat wie einst Johann Joachim Winckelmann über die athenische Polis argumentiert, dass in Kalifornien eine so wunderbare Natur gegeben sei, dass die Sonne so schön scheine. Kalifornien war in den 1960er und 1970er Jahren der Hort sowohl der Umweltbewegung als auch der Neokonservativen. Das ist also in der Geschichte Kaliforniens bereits angelegt. Schwarzenegger selbst ist erst ganz spät darauf aufgesprungen, nämlich als er gemerkt hat,  dass ihm alles andere nicht so recht gelingen wollte. In seinem Wahlkampf 2003 hat die Umweltpolitik eine absolut marginale Rolle gespielt.    

Politik nicht mehr aus persönlichen Überzeugungen heraus zu betreiben, sondern lediglich dazu zu nutzen, die eigene Persönlichkeit zu stilisieren. Ist das ein Politikermodell für die Zukunft?  
Das bleibt abzuwarten. Schwarzenegger wurde von einigen Politikwissenschaftlern als wegweisende Figur beschrieben, dahingehend, dass er eigentlich keine Parteienpolitik mehr betrieben hat. Er ist ein Politiker der Nuller- und Zehner-Jahre, ein Politiker für Wechselwähler, ein Politiker für Unentschlossene, ein Politiker für Menschen, die keine Lust mehr auf Ideologie und Dogmatismus haben. Diese Wähler erhoffen sich eher flexible Power-Politik, die Probleme angeht und sie pragmatisch löst, die überparteilich orientiert ist. In diesem Kontext sehe ich Schwarzenegger. Ihn zeichnet aus, was einen guten Kapitalisten auszeichnet: Er hat kein Dogma. Er schaut, wie er es für die meisten am besten macht. Diese Eigenschaften hat er vom Hollywood-Kino mitgebracht. Er hat seit den 1990er Jahren Filme für die breite Masse gemacht und genauso seine Politik ausgerichtet. Dass die Politikerpersönlichkeit in den Mittelpunkt rückt, hat viel mit der Zeit nach 1989 und dem Fall der Berliner Mauer zu tun, als die alten Rechts-Links-Gefälle langsam den Bach runtergingen. Davon profitieren pragmatische Performance-Populisten wie Schwarzenegger.  

Auf der nächste Seite: Ist Schwarzenegger der Prototyp des neuen Politikers?

Der US-amerikanische Journalist Joe Matthews hat Schwarzeneggers Politikstil auch als „blockbuster democracy“, also als eine Art Unterhaltungs-Demokratie bezeichnet. Ist Schwarzenegger bis heute in der Zeit, als er Hollywoodschauspieler gewesen war, verhaftet?  
Es gibt ein schönes Zitat von Georg Seeßlen: „Über der Frage, wie viel Showbusiness die Politik enthält, wird leicht diejenige danach vergessen, wie viel Politik das Showbusiness enthält.“  
Hollywood hat immer schon Politik gemacht. Ich sehe da gar nicht so große Gräben zwischen Showbusiness und Politik. Ich glaube, die sieht Schwarzenegger auch nicht. Das ist ein Brei, ein großer Eintopf aus Unterhaltung, aus Wirtschaft, aus Politik. Die klassische Ausdifferenzierung der Wertsphären, wie Max Weber das genannt hat, scheint bei ihm nicht zu existieren. Alles interagiert mit allem, alles hängt mit allem irgendwie zusammen.  

In Deutschland ist es bisher so, dass Personen aus dem Showbusiness weniger mit Politik in Berührung kommen. Nun hat der Rapper Bushido angekündigt 2016 mit einer neuen Partei an den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus teilzunehmen, mit dem Ziel, Regierender Bürgermeister von Berlin zu werden. Befürchten Sie, dass sich damit auch bei uns die Grenzen dieser Sphären verschieben werden?  
Ich kann mir das durchaus vorstellen. Gerade vor dem Hintergrund der schwindenden Bindekraft der klassischen Parteien. Irgendjemand wird in diese Lücke treten müssen. Und natürlich weiß jemand, der im Showbusiness groß und erfolgreich geworden ist, wie man Leute umgarnt. Ob es nun Fans oder Wähler sind, ist dann Nebensache. Es gibt da zumindest eine Grundkompetenz. In den USA wird es mit einer größeren Selbstverständlichkeit aufgenommen, dass man in mehreren Bereichen gleichzeitig zu Hause sein kann. Aus alteuropäischer Perspektive würde ich jedoch nicht gleich den Untergang des Abendlandes darin vermuten, wenn jemand aus dem Showbusiness in die Politik wechselt.  

In den USA sagt man, „Politics is no Rocket Science“, also ich muss jetzt nicht zwei Doktortitel haben, um in der Politik erfolgreich sein zu können. Einen guten Politiker zeichne vielmehr aus, dass er einen guten Beraterstab zusammenstellt, dass er bereit ist, auf andere zu hören, dass er vermitteln kann, dass er lernfähig ist. Und diese Tugenden hat Arnold Schwarzenegger durchaus. Wie immer man ihn sonst beurteilen mag. Seinem Beraterstab beispielsweise gehörten eine bekennende Lesbe, mehrere Grüne, aber auch Konservative an. Das Denken in Parteikategorien wird von einer Vermischung verschiedener Ideen abgelöst.  

Sehen Sie nicht aber auch Gefahren darin, wenn sich der Parteienstaat praktisch auflöst und an diese Stelle eigentlich nur noch charismatische Politiker treten, die mit ihrer Persönlichkeit das Vakuum füllen?
Das wird die Frage sein, wie dieses Vakuum gefüllt werden kann. Letztlich ist das eine Sache, auf die Intellektuelle nicht so viel Einfluss haben, wie man sich das vielleicht wünschen würde. Die Lücke tut sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte auf und es entscheidet sich zu diesem Zeitpunkt, wer die Lücke füllt. Wer am schnellsten ist, wer am organisationsfähigsten ist, hat den entscheidenden Vorteil. Wenn die progressiven Kräfte eher zur Zersplitterung, zur Selbstzerfleischung oder zur Negativkritik neigen, wie man das häufig im NGO-Geschwader und in Miniprotestgruppen sieht, dann werden es die gut vernetzten, pragmatischen und kapitalstarken Populisten sein, die diese Lücke füllen.  

Nach dem klassischen Zeitalter der Parteien ist das ein relativ einfacher Wettbewerb, der jetzt beginnt. Ich sehe eher die Gefahr, dass beispielsweise die Occupy-Bewegung destruktiv agiert, das heißt: Es muss etwas abgeschafft werden, es muss etwas zerstört werden, der Kapitalismus muss weg, die Banken müssen weg. Aber was tritt dann an die Stelle? Was kommt dann? In den USA hat sich gezeigt, dass es am Ende des Tages Figuren wie Schwarzenegger sind, die sich durchsetzen.

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Kommen wir noch einmal  zur Person Schwarzeneggers: Die wenigsten Menschen wissen, dass Schwarzenegger mit Andy Warhol bekannt gewesen ist. Wie sah ihr Verhältnis aus?  
Schwarzenegger hat perfekt in diesen Entgrenzungszeitgeist der 1960er und 1970er Jahre gepasst, als es plötzlich en vogue war, Dinge in der Kunst zu tun, die man davor einfach nicht getan hat. 1975 wurde Schwarzenegger sogar im New Yorker Whitney Museum in einer Abendperformance ausgestellt. Warhol wurde auf ihn aufmerksam, weil er sich sehr stark für Fitness interessiert hat. Er hat selbst sehr viel trainiert. In seinen Tagebüchern ist er immer verzweifelt, wenn er mal zwei Wochen nicht zum Work-Out kommt. Auch Warhol war wie Schwarzenegger Katholik. Beide verbindet die Freude und Kompetenz in allem, was Inszenierung betrifft. Auch Maskenspiele beherrschten beide gleichermaßen. Schwarzenegger und Warhol haben also viele Parallelen. Bei beiden geht es um die Wahrheit der Inszenierung. Es geht nicht um die Wahrheit hinter der Inszenierung. Warhol hatte das Bodybuilding-Dokudrama „Pumping Iron“ von 1977 gesehen, in dem Schwarzenegger mitgewirkt hatte. Ähnlich wie am Pornofilm bestand damals plötzlich großes Interesse unter Intellektuellen und Künstlern am Bodybuilding. Es galt als cool und interessant sich mit diesen Fleischbergen zu beschäftigen. Es gab mehrere Begegnungen zwischen Schwarzenegger und Warhol. Schwarzenegger hat ihn in der Factory besucht und Warhol war Ehrengast auf der Hochzeit Schwarzeneggers mit Maria Shriver. Er hat Maria Shriver sogar gemalt. Das war ein Hochzeitsgeschenk von Schwarzenegger an seine Frau.  

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Was wird Ihr Thema für die Habilitation? 
Ich wechsle von West nach Ost, zur Kunstgeschichte Polens. In meiner Forschung widme ich mich der Geschichte des polnischen Pavillons auf der Venedig-Biennale von 1895 bis heute.  

Herr Scheller, vielen Dank für das Gespräch 

Das Interview führte: Daniel Martienssen

Fotos: picture alliance; Zsu Szabó

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