Doppelte Staatsbürgerschaft - Deutscher geht es nicht

Die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft handelt von Einwanderern erster, zweiter und dritter Klasse. Zur unerwünschteren Kategorie gehören dabei Menschen aus Osteuropa oder der Türkei. Ein Stigma, das früher auch die italienischen Vorfahren unserer Autorin ertragen mussten

Kultur geht durch den Magen / picture alliance
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Autoreninfo

Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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„Ich gehöre zu den Guten“, das ist ein Witz, der meistens nur von Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft verstanden wird. Denn die Guten sind alle Westeuropäer, die schlechten die Osteuropäer und die noch schlechteren die Türken. Ja, auch ich besitze eine doppelte Staatsbürgerschaft, eine der gefühlt ersten Klasse, und zwar die deutsch-italienische. Und ja, auch ich picke mir die Rosinen heraus und verweise je nach Situation darauf, dass ich aus dem Land der Dichter und Denker oder aus dem der „dolce vita“ komme, wo Sahne definitiv weder in Carbonara noch in Tiramisu gehört.

Gegenwärtig fordert etwa die Junge Union, dass man nur eine Staatsbürgerschaft besitzen dürfe. Nur so sei eine vollständige Integration in die deutsche Gesellschaft möglich. Gleich vorweg: Die These beruht auf dem Irrglauben, Identität bilde sich vornehmlich aus Pässen. Tatsächlich bildet sich Identität vor allem im Aufeinandertreffen zweier Kulturen. Das ist überdies keine Einbahnstraße. Auch die deutsche Kultur hat sich verändert in den letzten Jahrzehnten. Und das nicht unbedingt zum schlechteren.

Umgang mit Doppelstaatlern noch nicht gefunden

Zumindest die deutsche und die italienische Kultur haben sich zum Beispiel sehr weit angenähert. So hat zum Beispiel mein Onkel in den siebziger Jahren in Deutschland gewohnt und erhielt vom deutschen Hausmeister noch regelmäßig Verwarnungen. Er kochte nämlich mit Olivenöl. Das war in Deutschland damals unüblich und wurde als Gestank wahrgenommen. Mittlerweile wurde die „gute deutsche Butter“ aber auch vielen Küchen hierzulande beim Anbraten durch Öl ersetzt – natürlich mit den dazugehörigen Diskussionen, welches Fett denn dafür nun gesünder oder schmackhafter ist.

Ich bin hier geboren. Ich habe viele deutschen kulturellen Eigenheiten angenommen und ich möchte behaupten, dass ich die Deutschen ganz gut verstehe. Was ich aber immer noch nicht verstehe: Warum hat die deutsche Gesellschaft ihren Umgang mit Doppelstaatlern noch immer nicht entkrampft? Neben alltäglichem Rassismus, den selbst ich ab und an zu spüren bekomme, findet ständig eine verbale Ausbürgerung statt. Fragen wie „Ja, aber wo kommst du wirklich her?“, sind da noch die harmlosesten Formulierungen. Alexander Gauland von der AfD geht so weit, zu behaupten, dass die doppelte Staatsbürgerschaft falsch sei und mitnichten die Integration fördere. „Die emotionale Bindung zum eigenen Land wird durch Beliebigkeit und Opportunismus ersetzt“, sagte er. Damit wirft er allen Doppelstaatlern mangelnde Integration vor. Früher habe ich mich von solchen Aussagen angegriffen gefühlt, jetzt nehme ich sie im Alltag zu Kenntnis. Aber ich sehe darin wahrlich keine positive Entwicklung.

Aufgewachsen mit Funke und Habermas

Deutschland ist mein Herkunftsland. Meine Muttersprache ist Deutsch. Ich bin mit den Schriftstellern Cornelia Funke und Otfried Preußler groß geworden. Später habe ich Hermann Hesse, Heinrich Böll und den Philosophen Jürgen Habermas gelesen. Ich betrachte Probleme erstmal pessimistisch und denke nicht angeblich südländisch: mit etwas Spucke und ein wenig gutem Willen wird das schon halten. Mir kam niemals der Gedanke „nicht integriert“ zu sein, bis mir die Bedeutung des Ausdrucks „Kind mit Migrationshintergrund“ erklärt wurde. Erst die Sprache hat mich ausgebürgert – und jetzt benutze ich die Formulierung selbst. Deutscher geht es nicht. Dabei finde ich es eigentlich unmöglich, als Deutsche jetzt das Gefühl haben zu müssen, mein Deutschsein beweisen zu müssen.

Und hier kommt auch wieder Gaulands „emotionale Bindung zum eigenen Land“ ins Spiel: Natürlich besitze ich sie! Ich habe sie einerseits über Literatur aufgebaut und andererseits durch meine deutsche Oma. Die musste in ihrem Leben drei Mal fliehen: Zuerst aus Berlin nach Ostschlesien vor den Nazis. Dann von Ostschlesien nach Halle vor der vorrückenden sowjetischen Armee und schließlich aus der DDR nach Westdeutschland. Damit wurde mir also auch die jüngere deutsche Geschichte anschaulich und mit mehr als nur reinen Fakten beigebracht.

Zeit für eine differenzierte Debatte

Natürlich besitze ich auch eine emotionale Bindung zu Italien. Bei Kaffe- und Piniengeruch fühle ich mich zuhause, könnte jeden Tag Pasta essen und lese den Schriftsteller Italo Calvino ebenso gerne wie seine deutschen Kollegen. Meine italienische Staatsbürgerschaft schätze ich so sehr wie meine deutsche. Innerhalb der EU ist der Doppelpass auch die logische Konsequenz offener Grenzen. Wenn Bürger einfach ins Ausland gelangen und dort mehr Zeit verbringen können, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich manche von ihnen sich verlieben und in dem anfänglichen Urlaubsland bleiben. Als Ergebnis gibt es Kinder wie mich mit doppelten Staatsangehörigkeiten. Was war denn jetzt so schlecht an solch Mensch gewordenen Ergebnissen von grenzenloser Liebe?

Ja, auch ich bin der Meinung, dass die Doppelstaatler-Regelung eine Reform benötigt. Denn natürlich ist es zum Beispiel unfair, dass ich zwei Mal – wenn auch nur minimal – über den Europäischen Rat mitbestimmen darf. Zumal das beim Europäischen Parlament schon längst verboten ist. Aber dann bedarf es hier einer europäischen Regelung zum Wahlrecht nach Wohnort und keinen deutschen Sonderweg. An den Kommunalwahlen in Rom oder Hildesheim nehme ich ja auch nicht teil, weil es mich nichts angeht, wenn ich dort nicht wohne. Aber auch das zweifache Wahlrecht abzuschaffen oder Steuern im Land des Erstwohnsitzes zu zahlen zu müssen, schließt eine doppelte Staatsbürgerschaft doch nicht aus. Es ist endlich an der Zeit für eine differenzierte Debatte – und zwar ohne in gute oder schlechte Doppelstaatler aus Westeuropa, Osteuropa oder der Türkei zu unterscheiden.

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