DSDS für Kinder - Dieter Bohlens Prügel für die jüngste Generation

Während die einen das Ende der Castingshows ausrufen, holt RTL zum finalen Schlag aus: „Deutschland sucht den Superstar“ soll es jetzt auch für Vierjährige geben. Wurde früher mit dem Rohrstock geprügelt, dürfte Dieter Bohlen der nächsten Generation dann verbale Schläge erteilen

(picture alliance) Dieter kann auch anders – will er aber nicht, verkündet das aktuelle Werbeplakat.
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Ein bisschen Bohlen zur Einstimmung? Bitteschön: „Du bist hier der Loser. Du kannst nix. Feierabend!“, „Dich haben sie bei der Mülltrennung offenbar auf den falschen Haufen getan“, „Wo gehst du denn hin: Zum Frauenarzt oder zum Männerarzt? Ich meine, wenn ich deine Brust sehe, ist das so 'n bisschen dazwischen...“

Dieter Bohlen soll jetzt auch vierjährige Kinder zur Minna machen. Glaubt man der Pressemitteilung von RTL, dann geschieht das auf Wunsch der Betroffenen selber. Die Gruppe der Vier bis Vierzehnjährigen habe Herrn Bohlen mehrfach mitgeteilt, auch sie wünsche sich ein Format wie die Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (unter Kennern DSDS genannt) für ihre Altersklasse.

Das ist die Erklärung für die übel riechende Quotenjagd, die den Privatsender einmal mehr zu Höchstleistungen antreibt. Denn RTL schaut mit Sorge auf die sinkenden Zuschauerzahlen des einstigen Erfolgskonzepts DSDS, bei dem prollige Teens vor greller Südseekulisse billige Plastiksongs abspulen und dabei mit ihren hübschen Ärschen wackeln.

Nun also Kinder, die sich vor der Kamera – von den Machern gekonnt in Szene gesetzt –  seelisch entblößen und ihre Körper bühnentauglich präsentieren? Unter den Spaßbremsen der Republik hat prompt eine Diskussion über Bohlens fehlende „Wertschätzung für Menschen“ eingesetzt, wie es Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, formuliert. Schlimme Folgen könnte ein Auftritt der Kinder in dem Format haben, wenn sich die Macher an der Art der Bloßstellung und Demütigung der bisherigen Sendungen orientieren. Nun ja, das mag sein. Aber wenn es die Kinder so wollen? Was will man machen?

Was will man machen, wenn der gesunde Menschenverstand der Fernsehmacher immer weiter degeneriert? Auf wen kann man noch zählen, wenn Eltern es nicht vermögen, ihren Nachwuchs vor Derartigem zu schützen. Wenn sich zwar das Feuilleton der Qualitätszeitungen geschlossen gegen die Castinggesellschaft formiert, dieses aber bei der Zielgruppe nicht ankommt? Die Bild zumindest spricht verniedlichend von „Kinderquatsch mit Dieter Bohlen.“

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Wie es der Zufall will, wird gerade einmal mehr über gewaltfreie Erziehung diskutiert. Erleichtert gibt sich die Öffentlichkeit darüber, dass die „geprügelte Generation“ abdankt. Schläge seien nicht mehr en Vogue, schreibt die Journalistin Ingrid Müller-Münch in ihrem Buch. Sie hat in vielen Interviews eine Generation untersucht, die gelitten hat unter dem Rohrstock, unter angekündigter Prügel, einer Art der Scheinhinrichtung, unter dem regelmäßigen „Bück dich“ des Vaters, bevor der den Kleiderbügel aus dem Schrank zog.

Einhellig werden die Schläge verurteilt, die heute noch in deutschen Wohnzimmern verteilt werden. Eine neue Studie wird landauf, landab angewidert zitiert, die gerade mit der Schlagzeile Furore macht, „die Hälfte der Eltern in Deutschland“ schlage ihre Kinder. Mit diesen Schlägen ist vor allem der berühmte „Klaps auf den Po“ gemeint. Immerhin scheint aber durch, dass den Eltern ihr Versagen, ihr pädagogisches Scheitern dabei meist bewusst ist. Zehn Prozent sprechen von Ohrfeigen, gerade vier Prozent „versohlen“ ihrem Nachwuchs noch ganz klassisch „den Hintern“. Neben der Erkenntnis, dass zu viele Eltern häufig mit der Erziehung überfordert sind, zeigt die Studie aber vor allem eines: Schlagen ist verpönt.

Verpönter offenbar, als seine Kinder seelischen Kollateralschäden durch einen Besuch bei Dieter Bohlen auszusetzen. Sollten die Kinder früher zu manierlichen, gehorsamen, wohl erzogenen Menschen herangeprügelt werden, so scheint heute der Drang nach Individualität, nach Performance-, Bühnen- und Star-Qualitäten ähnlich erstrebenswert. – Und der Preis eines Seelenstriptease vor einem Publikum würdeloser Fremdschamsüchtiger für viele nicht zu hoch.

Oder ist dies nur das Bild, das RTL seinen Zuschauer vorgaukelt? Vielleicht hat der Quotensturz von DSDS eine ganz andere Erklärung als der Wunsch nach einer verschärften Auflage des immer gleichen Konzepts? Vielleicht sind die Zuschauer die seelische Hässlichkeit des Oberasozialen Bohlen leid? Womöglich wird auch eine Sendung in der Gunst der Zuschauer sinken, die die ihr anvertrauten Kinder nach Herzenslust demütigt und kaputt bewertet? Da RTL sich nicht anschickt, die Idee von DSDS für Kinder noch einmal zu überdenken, bleibt abzuwarten, was passiert.

Vielleicht gelingt es RTL, mit dieser Geschmacklosigkeit die letzte Runde öffentlicher Hinrichtungen eingeläutet zu haben. Vielleicht haben sich die Ideengeber ihr eigenes Grab geschaufelt. Und das Privatfernsehen frisst seine Kinder, sozusagen.

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