lesen: Journal - Die Sorge des Gärtners

Wo rohe Kräfte sinnlos walten, wird der Garten zum Inbegriff des besseren Lebens. Erst hier sieht Robert Harrison den Menschen ganz bei sich

Anzeige

Gott war ein schlechter Vater. Ihm mangelte es an Menschenkenntnis und erzie­herischer Erfahrung. Wie sonst hätte er seine Geschöpfe ins Paradies setzen und ihnen jede Sorge abnehmen können? Väter und Mütter wissen, dass Kinder in der Überfülle eines Spielzeugladens eines nicht werden: glücklich. Gott war so naiv zu glauben, Adam und Eva könnten zu Verwaltern des Garten Eden werden, wenn er ihnen nur jede Mühe ersparte. Aber die verwöhnten Geschöpfe hatten keinen inneren Kompass, trödelten durch die strotzende Fülle ohne Sinn für Verantwortung, und schon bei der ersten Versuchung durch die Schlange ließen sie sich verführen. Die Folgen sind bekannt: Austreibung aus dem Paradies, Mühsal, Arbeit und Schweiß. Robert Harrison, der im sonnigen Kalifornien lebende und lehrende Literaturwissenschaftler, deutet das als Glücksfall, denn ihr «menschliches Herz» konnten Adam und Eva nur außerhalb des Garten Eden erwerben, «und sei es nur, um zu lernen, was Schönheit ist und was ein Geschenk ist».
«Versuch über das Wesen des Menschen» heißt Harrisons Gartenbuch im Untertitel. Das ist hoch gegriffen und verblüffend. Abgesehen davon, dass es aus der Mode gekommen ist, sich über das «Wesen des Menschen» zu verbreiten, erwartet man, wenn es doch einmal geschieht, dass die Sprache, die Gewalt, die Religion oder sonst eine anthropologische Grundtatsache den Pfad solch essayistischer Annäherung markiert. Der Garten in der Funktion des Leitphänomens überrascht denn doch – allerdings nur im ersten Moment.


Das Gegenteil von Eskapismus

Taucht man in die Lektüre des Harrison-Essays ein, fragt man sich schnell, wie anders als über das Gärtnerische man hinter das Geheimnis des Menschseins kommen sollte. Der Garten verbindet die Erinnerung an das verlorene Paradies mit dem Prinzip der Sorge. Er steht paradigmatisch für die schöpferischen und friedlichen Potentiale des Menschen, für seine Fähigkeit, sich immer wieder gegen das Wüten der Geschichte zu behaupten. «Die Menschen sind nicht dazu geschaffen, allzu unverwandt auf das Medusenhaupt der Geschichte, auf ihr Wüten, ihren Tod und ihr endloses Leiden zu blicken», lautet der erste Satz des Essays. Wenn die Geschichte nicht alles werden solle und wir nicht «samt und sonders dem Wahnsinn verfallen» wollten, brauchten wir die Refugien der Gärten, schreibt Harrison. Dieser Rückzug allerdings sei das Gegenteil von Eskapismus, denn «eben weil wir in die Geschichte geworfen sind, müssen wir unsere Gärten bestellen (…) Ohne Gärten wäre die Geschichte eine Wüste».
Die Leidenschaft des Gärtners kann sich auch auf dem Boden der Literatur entfalten. Harrison liefert ein glänzendes Beispiel dafür. Er geht nicht wie der Landwirt mit Pflug oder Mähmaschine durch die Kulturgeschichte, sondern mit kleinem Gerät, mit Ehrfurcht vor dem, was da wächst und blüht, und mit Freude an Vielfalt und Farbigkeit. Er springt von Epoche zu Epoche und von Kontinent zu Kontinent. Er führt den Leser in die Gärten Athens, in denen Platon, Aristoteles und Epikur ihre Schulen unterhielten. Er folgt den jungen Aristokraten aus Boccaccios «Decamerone» in die Hügel vor Florenz, wo sie, während in der Stadt die Pest wütet und die Bindungen der städtischen Gemeinschaft zerbrechen, in wohlgepflegten Gärten ein Ideal der Geselligkeit dem Zusammenbruch der sozialen Ordnung entgegensetzen. So wie Obdachlose in New York der Hoffnungslosigkeit ihrer Existenz durch «Gärten» trotzen, die oftmals nicht mehr sind als kleine Zeichen der Ordnung und Schönheit inmitten von Müll und Verwahrlosung. Manchmal kommen sie ganz ohne Pflanzengrün aus. Natürlich fehlen die Klostergärten nicht, und auch der Garten des Sonnenkönigs in Versailles wird mit einem Kapitel gewürdigt, obwohl das gärtnerische Prinzip der Sorge pervertiert ist, wenn der Garten nur der maßlosen Selbstfeier des Herrschers dient.


Gegen die Randalierer

Das Prinzip der Sorge – das wäre denn auch die Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Menschen. Harrison versteht die Sorge als das Gegenteil von Konsumismus und Produktivismus, den großen Irrtümern unseres Zeitalters. Nur aus der Sorge könnten Erfüllung und Glück erwachsen: «Diese Selbsterweiterung des Gärtners in die Sorge ist ein ganz anderes Ethos als dasjenige, welches das gegenwärtige Zeitalter dazu treibt, größere Lebendigkeit zu verlangen und durch eine überdrehte Produktivität der Leere des Seins zu entfliehen, wie Heidegger sie nennt. Der Gärtner begibt sich nicht randalierend auf den Weg zu einem falschen Eden, sondern er wacht mit Geduld über seiner Parzelle.»
So freundlich und hell Harrison seine Gartentour beginnen lässt, zum guten Schluss gibt er dem Leser dann doch noch einen gehörigen Schlag Kulturpessimismus mit auf den Weg. Aber ist es nicht wirklich so, dass die Moderne – Stichwort Finanzkrise – inzwischen in einen Zustand des Randalierens übergegangen ist? Man muss Ordnungskräfte gewinnen. Die Aufforderung Harrisons, diese Kräfte im Garten zu suchen, ist mitnichten so weltfremd, wie sie zunächst klingt. 


Robert Harrison
Gärten. Ein Versuch über das Wesen des Menschen
Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer.
Hanser, München 2010. 336 S., 24,90 e

Anzeige