Die letzten 24 Stunden von Gerhard Feige - Sterben ist keine Komödie

Gerhard Feige ist gläubig. Doch auch ihm fällt es in seinen letzten 24 Stunden nicht leicht, Abschied zu nehmen. Sein letztes Abendmahl wird fürstlicher ausfallen als das von Jesus.

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Autoreninfo

Björn Eenboom ist Filmkritiker, Journalist und Autor und lebt im Rhein-Main-Gebiet.

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Gerhard Feige wurde 1951 in Halle an der Saale geboren. Der Theologe ist seit 2005 Bischof von Magdeburg. Zudem ist Feige Vorsitzender der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz und gehört dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen an.

Auch wenn ich ein gläubiger Mensch bin, fällt es mir nicht leicht, von der Welt Abschied zu nehmen. Schließlich ist Sterben keine Komödie, sondern eine todernste Angelegenheit. Dazu habe ich sehr persönliche Erfahrungen mit Sterbenden, die friedlich eingeschlafen sind oder zu kämpfen hatten, bei denen es schnell und schmerzlos ging oder die sich lange quälen mussten.
In Erinnerung ist mir, bereits während meiner Dissertationsphase – psychosomatisch bedingt – einmal gedacht zu haben, es ginge mit mir zu Ende. Und dann kommen mir die zahlreichen kleinen und großen, vorläufigen oder endgültigen Abschiede von Menschen und Tieren, Träumen und Idealen oder Plänen und Vorhaben in den Sinn, von denen viele wie ein kleines Sterben waren.

Vergessen habe ich auch nicht, dass ich nach dem Abitur dachte, nunmehr keine Prüfungen mehr absolvieren zu müssen. Von wegen! Es folgten theoretische und praktische, vor allem aber existenzielle. Und nun stehe ich vor der allerletzten und schwerwiegendsten Prüfung. Fragen über Fragen steigen in mir auf: Warum gerade heute? Wieso muss es mich jetzt schon treffen? Und auf welche Weise wird mich der Tod ereilen?

Ein letzter Spaziergang

Anderen und mir möchte ich nicht zumuten, darüber zu klagen. Darum behalte ich mein Wissen – wie schon in der Kindheit bei manchen Verletzungen oder Krankheitssymptomen – für mich.

Äußerlichkeiten spielen von nun an kaum noch eine Rolle. Ich bleibe da, wo ich wohne, und unternehme einen letzten Spaziergang in der Natur. Vor meinem geistigen Auge läuft mein Leben ab. Ich weiß, dass ich daran nichts mehr ändern kann, möchte es auch nicht. Obwohl ich zunächst fast 40 Jahre in einer Diktatur verbracht habe, bewegt mich insgesamt doch eine große Dankbarkeit. Wie viele liebenswürdige Menschen durfte ich kennen und schätzen lernen! Welche Möglichkeiten hatte ich zudem, mich kreativ zu entfalten und für andere einzusetzen, als Mensch und Priester, als Theologe und Bischof!

Darum bedrückt es mich auch, alles so plötzlich verlassen zu müssen. Zugleich bedaure ich diejenigen, die sich um meinen Nachlass zu kümmern haben. Leider ist es mir nicht gelungen, diesen rechtzeitig zu verkleinern. Andererseits bin ich erleichtert, bald von Verantwortung und Verpflichtungen frei zu sein.

Der letzte Dienst der Haushälterin

Am Abend gehe ich noch einmal beichten, weil ich auch um mein Versagen weiß, und feiere dann die Eucharistie in unserer Kathedrale mit. Anschließend kredenzt mir meine Haushälterin „Paglia e fieno“ mit Sahne-Pilz-Sauce und zum Dessert Zabaione. Auf die Anzahl der Kohlehydrate brauche ich nun nicht mehr zu achten.

Bei meinem Requiem soll die christliche Hoffnung auf das ewige Leben sinnträchtig zum Ausdruck gebracht werden, auch musikalisch, etwa durch Stücke von Händel oder Telemann, den orthodoxen Gesang „Wetschnaja Pamjat“ und das Lied „Großer Gott, wir loben Dich“. Konkrete Vorstellungen von der Vollendung bei Gott habe ich nicht, wohl aber die Hoffnung, den Sinn von allem dann wie bei einem handgeknüpften orientalischen Teppich von seiner Oberseite erkennen und nicht wie bisher nur von seiner verwirrenden Unterseite erahnen zu können.

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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