Die letzten 24 Stunden von Gerburg Jahnke - Wurst mit der schlechtesten Currysoße des Nordens

Zur See. Dort soll es für Gerburg Jahnke in ihren letzten 24 Stunden hingehen. Warum nicht einmal Kreuzfahrt- und Containerschiffe ihre Laune verderben können.

Gerburg Jahnke würde sogar den letzten Stau ihres Lebens genießen / Harald Hoffmann
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Autoreninfo

Björn Eenboom ist Filmkritiker, Journalist und Autor und lebt im Rhein-Main-Gebiet.

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Gerburg Jahnke ist Kabarettistin, Moderatorin und Regisseurin. Sie wurde zuerst durch Missfits bekannt, das zu einem der prominentesten deutschen Kabarettduos wurde. Derzeit ist sie mit verschiedenen Programmen auf Tournee.

Diese letzten 24 Stunden möchte ich mit Blick auf die See verbringen. An einem dieser Sommertage, die es kaum noch geben wird. Warm, nicht zu heiß, nicht schwül, bis lange nach Sonnenuntergang noch sehr angenehm.

Mit dem Auto fahre ich vom Ruhrgebiet bis zur Küste. Den letzten Stau meines Lebens genießen, endlich mal diese Idee verwirklichen: aussteigen, anderen Tee anbieten, mit etwas Glück ein nettes Gespräch führen. Ich wäre bestimmt sehr sympathisch, weil ich so entspannt wäre, ohne Eile. Diese Gespräche sind existenziell. Warum sollen wir mit Petitessen die Zeit vergeuden? Der Sinn des Lebens, die Sehnsüchte der Menschen, die Liebe. Das sind die Gedanken, mit denen ich mich gern verabschieden würde. 

Hauptsache zur See

Selbst den unsinnigen Umfahrungsvorschlag meines dummen Navis würde ich annehmen. Und endlich mal einkehren auf diesem Umweg. Weil ich dem Angebot von Pommes, in altem Fett frittiert, und einer Wurst mit der schlechtesten Currysoße des Nordens nicht widerstehen kann. Und während mein Magen diese letzten 24 Stunden irritiert zur Kenntnis nimmt, gebe ich mich den zweifelhaften Genüssen mit größtem Vergnügen hin. In Vorfreude auf Fische oder Fischverwandtes. Irgendwas aus dem Meer, an dem ich bald sein werde. 

Weil ich die letzte Zeit mit Weißwein, Zigaretten und Schokolade genießen werde, muss ich zur Ostsee. An der Nordsee huste ich immer, was ich unangemessen fände für die letzten Stunden. Ich werde zum Beispiel in Laboe parken und erst mal eine Weile durchs Wasser laufen. Ob mein Sommerkleid – in dem ich übrigens extrem gut aussehe, was ich für die letzten Stunden und die anschließenden Bestattungsvorgänge nicht unwichtig finde, weswegen ich auch untendrunter nur exquisites Gedöns anhabe – dabei nass wird, ist völlig unerheblich. Keine Erkältung der Welt, keine entzündete Blase, keine kalten Füße können mir noch etwas anhaben. Ich muss sagen: Der Plan ist wirklich gut! 

Alles wird gut

Nachdem ich mit dem Water Walking fertig bin – auch deshalb, weil meine Oberschenkelmuskulatur sich weigert, weiterhin mitzuarbeiten –, finde ich ein Café am Wasser. Warum nur kriege ich dieses Grinsen nicht aus dem Gesicht?
Und dann treffen die ersten Gäste ein. Irgendwann wechseln wir zu Weißwein, und später setzen wir uns in den Sand. Ich muss noch dies und jenes klären: Welche Songs auf meiner Beerdigung auf gar keinen Fall gespielt werden dürfen, wer bitte nichts sagen soll und von wem ich es mir wünsche. Ich bleibe Pragmatikerin – bis zuletzt. Einer hat Musik mitgebracht. Wir tanzen im Sand. Je langsamer man das macht, umso besser sieht es übrigens aus. Was uns auch Applaus von einem Kutter einbringt.
Wir sagen uns alles, was wir lange nicht gesagt haben. Alles über die Liebe, die wir füreinander empfinden. Und wenn die Menschen dann gehen und ich ihnen nachsehe, werde ich nicht traurig. Merkwürdig!

Die Sonne ist untergegangen, plötzlich rast die Zeit. Ich bin glücklich. Warum ärgere ich mich trotzdem über jedes kreuzfahrende Monster und jedes riesige Containerschiff, das an mir vorbeischippert? Weil ich das bin! Dann kommen die Sterne, und ich leg mich auf den Rücken.

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie demnächst am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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