Die jüngste Präses aller Zeiten - Jung, unbekannt, Glücksfall

Anna-Nicole Heinrich ist gerade zur Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt worden. Eine Wahl, die viele inspiriert und Hoffnungen weckt.

Anna-­Nicole Heinrich will die EKD moderner machen / Antje Berghäuser
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„Wie verdammt mutig ist diese Kirche?!“ – so bedankte sie sich Anfang Mai live im Internet für ihre Wahl zur jüngsten Präses aller Zeiten der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. 25 Jahre ist Anna-­Nicole Heinrich alt, die Philosophiestudentin aus Regensburg, wo sie mit ihrem Mann in einer Vierer-WG lebt. Ein Glücksfall für die Kirche ist sie in diesen Wochen vielfach genannt worden. Auch die Deutsche Bischofskonferenz zeigte sich entzückt.

Sie hat nun das höchste Amt für Laien in der Evangelischen Kirche inne. Ihre Vorgängerin war die frühere Bundesministerin Irmgard Schwaetzer, und auch davor ist die Reihe der Präses eine lange Reihe altgedienter Politiker, von Gustav Heinemann bis Katrin Göring-­Eckardt. Und jetzt diese junge Unbekannte, die im Kirchenparlament der vergangenen Legislaturperiode offenbar nachhaltig aufgefallen ist.

EKD-Digitalisiererin 

Man sitzt ihr am Konferenztisch im Ratssaal der EKD gegenüber, hoch über dem Gendarmenmarkt in Berlin. Eine rhetorisch beeindruckende Frau, große Augen, beim Sprechen lächelnd, wach und energetisch, auch energisch. Sie hört ihren eigenen Worten hinterher, kommentiert sich gelegentlich sofort selbst, nimmt Ideen, die im Gespräch entstehen, auf und mit.

Zwei Masterstudiengänge absolviert sie zurzeit. „Menschenbild und Werte“ und „Digital Humanities“: „Datenbank­systeme sind so mächtig spannend!“ Natürlich ist für sie Gemeinde auch als digitale Gemeinde möglich. Regelmäßig treffe sie sich mit Freunden zum christlichen Gespräch mit Bierchen bei Zoom. Auch das sei Gemeinde.

Zwei „Hackathons“ hat sie im Lockdown angestoßen und mit aufgesetzt, mehrtägige digitale ökumenische Konferenzen: „Glauben gemeinsam“, mit 750 Teilnehmenden. Das Ganze habe, wegen der nötigen Homepage, 12 Euro gekostet, erzählt sie amüsiert. Aber die Digitalisierung in der Evangelischen Kirche treibt sie schon länger mit voran. Man hat gesagt, auch wegen ihr habe die EKD in der Corona-Zeit gar nicht so schlecht dagestanden – was sie lachend zurückweist.

Diskussion in der Kirche

Heinrich sucht die Diskussionen. An der Synoden-Arbeitsgruppe „Lebendige Kirche“, der sie in den letzten Jahren angehörte, schätzt sie, dass sehr verschiedene Standpunkte dort vertreten seien, man hart diskutiere, aber auf immer spürbarer gemeinsamer Grundlage. Sie freue sich, dort auch andere überzeugen zu können – oder mindestens Verständnis zu wecken für ihre Positionen: Etwa, dass ihr konsequentes Gendern im Sprechen ihrem Wunsch entspringe, in der Ansprache möglichst viele einzuschließen. Oder dass Segnungen von gleichgeschlechtlichen Paaren ein Segen seien.

Diese Art der Debatte wünscht sie auch der Gesellschaft insgesamt. Damit Kontroverse nicht zu Unversöhnlichkeit führt. „Das ist etwas, das dem gesellschaftlich-­politischen Diskurs guttäte: zu wissen, wir ringen in Gemeinschaft. Sieh im Nächsten immer Jesus. Der Nächste ist genauso wichtig, egal, ob du gerade mit ihm übereinstimmst oder nicht. Du musst dich trauen, mit ihm ins Gespräch zu gehen.“

Für die Aufgabe, jüngere Menschen für die Kirche zu interessieren, hat Heinrichs Wahl selbst schon mutmaßlich einiges geleistet: Sie berichtet von vielen guten Gesprächen gerade mit Jüngeren in den letzten Wochen über Kirche und Christsein, die sie sonst nicht geführt hätte. Auf ihrem Instagram-Account hat sie neulich die anderen teilhaben lassen an ihrer ersten Begegnung mit einem christlich-orthodoxen Gottesdienst, hat weitergegeben, was sie selbst vom orthodoxen Bischof im Gespräch gelernt hat, und hat viele interessierte Rückfragen bekommen. „Dieser Wissensdurst sollte gestillt werden.“ Sie will Kirche erklären. Und hat sofort auch Format-Ideen, die sie dem Pressesprecher zuruft.

Charismatischer Glaube

Auch Heinrich selbst hat sich ihr Christsein erst erarbeitet, ist nicht von Beginn an hineinsozialisiert worden. Sie stammt aus einer kirchenfernen Familie. Ihre Eltern zogen nach der Wiedervereinigung von Thüringen in die bayerische Oberpfalz. Der Vater arbeitete als LKW-Fahrer. Erst als Schülerin wurde sie getauft – gemeinsam mit ihrer Mutter.

Es war der evangelische Religionsunterricht in der Grundschule, der ihr den Weg ebnete, es waren die Menschen in der Gemeinde, die Jugendgruppe, die Mitgestaltung des Gemeindelebens, zu der sie sich früh eingeladen fühlte. „Personen, die ihren Glauben authentisch, charismatisch vorgelebt haben, waren für mich immer sehr wichtig. Die gezeigt haben, wo es einen im Herzen berührt.“

Sie fand zuletzt, zu einer Protestantin gehöre dann doch auch das Blechblas­instrument im Posaunenchor – und hat deshalb angefangen, Trompete zu lernen. Sechs Jahre gestaltet sie nun führend die Evangelische Kirche in Deutschland mit.

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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