Dichtung im Bundestag - Die Geburt des Strebers aus dem Geiste der Gesinnung 

Drei Autoren fordern in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung die Einrichtung des Amtes einer „Parlamentspoetin“ für den Deutschen Bundestag. Möglichst divers soll sie sein. Herauskommen kann dabei bestenfalls Kitsch, schlimmstenfalls Staatskunst.

Wer fühlte sich hier nicht zu Elegien, Distichen oder Versepen angeregt? / dpa
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Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

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OK, die Idee ist erstmal flott. Eine Parlamentspoetin soll „Politik poetischer und die Poesie politischer machen“, Hauptaufgabe: „mit Abgeordneten zu reden, um parlamentarische Diskurse, politische Debatten und Strömungen in Poesie oder Prosa zu gießen“. Das Amt soll „die sinnliche Welt des Fühlens, Sehens, Schmeckens, Metaphernfindens, der Synästhesie in den Bundestag bringen“, „endlich mal etwas, das die AfD aushalten muss, nicht immer umgekehrt“. 

Die drei Autoren (Mithu Sanyal, Dmitrij Kapitelman und Simone Buchholz) legen Wert auf Diversität und wünschen sich etwa türkischstämmige, jüdische, ruandische und syrische Künstler, die im Rotationsprinzip ein eigenes Büro beziehen, und auch die besetzende Kommission soll „so divers wie möglich“ sein. Das ehrgeizige Ziel: „nicht nur die Mitte Europas, sondern am besten den ganzen Kontinent zu einem friedlicheren, gerechteren, klimarettenden Ort“ zu machen. 

Sinnliche Welt des Schmeckens im Bundestag

Ich fand das witzig und auch ein bisschen niedlich, auch wenn ich mich vor den anvisierten künstlerischen Produkten etwas fürchte: Lichtinstallationen an der Bundestagsfassade, Flyern, Postkarten, Büchern. Vor allem vor den Postkarten. Ich rätsele auch noch, wie sich „die sinnliche Welt des Schmeckens“ im Bundestag entfalten soll und ob das die Debatten über Impfpflicht, CO2-Preise und Hartz-IV-Regelsätze beschwingt, wenn zum Beispiel alle vorher mit verbundenen Augen Hagebuttenchocolade verkosten. Und wie übersetzt man „Mindestausbildungsvergütung“ in eine aufwühlende Metapher? Ich freu mich jetzt schon. 

Ich hab dann erstmal nachgeguckt, wie alt die drei Autoren sind. Zwanzig, schätzte ich. Falsch geraten, Mitte dreißig bis fünfzig, also im seriösen Lebensabschnitt angehender alter weißer Männer. Und darum, liebe Kinder, nun ein ernstes Wort.  

Eine sehr deutsche, romantische Idee

Die Idee, dass die Kunst einen tieferen Zugang zur Wahrheit öffnet als die Welt der Zahlen und Figuren, ist, Diversität hin oder her, im Kern sehr deutsch und schon ein paar hundert Jahre alt, nämlich romantisch, und man darf sich etwas wundern, dass ausgerechnet drei Schriftsteller die literaturhistorische Quelle ihres Konzepts nicht nur nicht offenlegen, sondern womöglich gar nicht mehr kennen. Die Romantik, wie wir wissen, unterstellt der Welt einen Bruch, der sie gespalten hat in einen Bereich der Vernunft und einen Bereich des Wundersamen. Diesen Bruch will die Romantik heilen, zum Wohle aller. Damit, das ist die alte Idee, wird Kunst politisch. Diese politische Potenz der Poesie hat Novalis damals vielleicht etwas knackiger zum Ausdruck gebracht als unsere drei neuen Freunde: 

 
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren 

Sind Schlüssel aller Kreaturen 

Wenn die, so singen oder küssen, 

Mehr als die Tiefgelehrten wissen, 

Wenn sich die Welt ins freye Leben 

Und in die Welt wird zurück begeben, 

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten 

Zu ächter Klarheit werden gatten, 

Und man in Mährchen und Gedichten 

Erkennt die wahren Weltgeschichten, 

Dann fliegt vor Einem geheimen Wort 

Das ganze verkehrte Wesen fort. 

 
Am vorgelegten Text der drei Schriftsteller zeigt sich aber eben nicht nur ein etwas irrer Mut zu „Mährchen und Gedichten“, sondern leider auch das Phänomen, dass hier Bildung durch Haltung ersetzt wird (Hauptsache divers, klimarettend und gegen die AfD, und das alles möglichst bunt und „unbedingt auch als Irritation“). Und damit verflacht sich eben jene Tiefe, die Eichendorff, Brentano, von Arnim und all die anderen so besangen, ins Agitatorische. Das Ergebnis wird im besten Fall Kitsch sein, im schlimmsten Staatskunst. Denn auch das ist eben sehr deutsch: eine Kommission, eine Amtsinhaberschaft, ein Rotationsprinzip, ein eigenes Büro im Bundestag, wo dann „politische Arbeit in kulturelle Arbeit übersetzt wird“.  

Ein Abgesang auf den wahrhaftigen Poeten

Wo kommen bloß all diese wohlerzogenen Polit-Streber plötzlich her? Und wo sind die herrlich verkrachten Kerlinnen und Kerle geblieben, die lieber schlechten Rotwein saufen als „der Dichtung in diesem Land einen Politisierungsschub“ zu geben, und die sich eher erschießen würden, als Sätze zu sagen wie: „Wir sind relevant“? Wir sind lieber frei, wäre ihr Leitsatz, wenn es sie denn noch gäbe, an irgendwelchen kleinen Schreibtischen, auf denen sich Lyotard und Tanizaki Jun’ichirō und meinetwegen Karl Marx stapeln und Texte, denen es herzlich egal ist, ob sie eines Tages von Annalena Baerbock gelesen werden, in einer „Sprache, die wir alle verstehen, nicht weil sie einfach ist, sondern weil sie uns berührt“. Genau so diktatorisch muss man übrigens auf Dichter zugehen, um sie aus der ständigen Schreibblockade zu locken, man gibt ihnen Sprache und Inhalt einfach vor: Schreib was Diverses, „ein Signal an Europa und die Welt“, und mache den Bundestag „um eine kostbare Facette reicher“. Hat bei mir immer super geklappt. 

Das Pamphlet von Sanyal, Kapitelman und Buchholz ist die Geburt des Strebers aus dem Geiste der Gesinnung, ein Abgesang auf den wahrhaftigen Poeten, der sein Schaffen mit Hegel, Hölderlin und Schelling als sinnliche Erfüllung der unbedingten Freiheit des reinen Denkens begreift, der eine gleichsam rauchende Haltung dem Leben gegenüber einnimmt, dem es nichts ausmacht, außen vor zu sein, solange er sich in Schillers ästhetischem Zustand befindet, und der nicht deshalb kein Rassist oder Antisemit ist, weil man ihn so gut erzogen hat, sondern weil er seelisch zu elegant für den Dreck ist. Und wenn man ihm tatsächlich eine Stelle als Parlamentsdichter anbietet, dann fasst er „die neue Anlage 2a der Geschäftsordnung des Bundestages mit dem Verhaltenscodex für Interessenverteterinnen und Interessenvertreter“ in epische Hexameter und lacht sich tot. 

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