Medien - Parteiischer Journalismus ist kein Journalismus

Nicht nur, aber besonders im Deutschlandfunk werden Positionen der Grünen unverhältnismäßig bevorzugt. Wo Parteien nicht mehr kritisch befragt werden, schwindet jedoch der Sinn für demokratischen Streit. Darunter leidet die Republik

Werden die Grünen vom Deutschlandfunk und anderen Medien bevorzugt? / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Wer sich darüber informieren möchte, wie die Grünen die Welt sehen, was sie fordern und was sie erreicht haben, der kann sich direkt an die Partei wenden. Oder er schaltet den Deutschlandfunk ein. Dessen Nachrichten werden mittlerweile nach dem Gesichtspunkt zusammengestellt, ob das Vermeldete sich mit grünen Zitaten illustrieren lässt. Ob möglichst viel grüne Programmatik aus möglichst vielen grünen Mündern sich in der Berichterstattung unterbringen lässt. So scheint es zumindest. Die Nachrichten im Deutschlandfunk klingen oft, als würden sie in der Zentrale der Habeck-Partei verfasst. Grüner war der bundesdeutsche Journalismus nie – und also nicht parteiischer, voreingenommener, unjournalistischer als heute. Für unsere Demokratie ist das kein gutes Zeichen.

Dahinter steckt keine Verschwörung, sondern eine Identität der Interessen und der Milieus. Die „politisch-mediale Klasse“ gibt es als Begriff weit länger denn als Realität. In diesen Tagen wird sie praktisch wirksam. Auf der einen Seite des Mikrofons sitzen vulgärromantisch bewegte Journalisten, denen „Mutter Erde“ ein Herzensanliegen ist, auf der anderen Seite Politiker, die nur „die Menschheit“ als Souverän akzeptieren. Man ist sich einig: Not kennt kein Gebot, und die Not der Klimakatastrophe werde apokalyptisch sein; Gleichstellung sei das Ziel der Gleichberechtigung und längst nicht erreicht; Grenzen seien Teufelszeug, und in Deutschland schlummere noch ein Dämon. Man müsse ihn zähmen, kosmopolitisch, transnational.

Überwiegend grüne Stimmen

Zur Probe aufs Exempel: Am 29. April war die erste, die wichtigste Meldung in den Nachrichten des Deutschlandfunks um 18 Uhr der Hinweis auf eine „UNO-Konferenz über den Zustand der Artenvielfalt“. Diese Konferenz wurden aus den aberhundert Konferenzen, die täglich stattfinden, vermutlich deshalb ausgewählt, weil hier eine enorme Bedrohung der Umwelt – „mindestens genauso“ schlimm „wie der Klimawandel“ – verbreitet werden konnte, die zudem der grünen Agenda entspricht. Prompt mündete die Meldung in ein Zitat des „deutschen Grünen-Chefs Habeck“, der „ein Umsteuern vor allem in der Landwirtschaft“ fordere. Erst danach war Raum und Zeit für die Krise auf dem Westbalkan, die Wahl in Spanien, die Regierungskrise in Mecklenburg-Vorpommern, den Zyklon in Mosambik.

Am 28. April teilte der Deutschlandfunk um 6 Uhr eigens mit, dass „Grünen-Fraktionschef Hofreiter den Vorstand von Bayer zum Rücktritt aufgefordert“ habe. Fast stündlich verlangen Politiker Rücktritte, die wenigsten Forderungen schaffen es zur ausführlichen Einzelmeldung in den Nachrichten. Am 25. April um 18 Uhr erfuhr man im Deutschlandfunk, dass „der Grünen-Politiker Hofreiter betonte, man müsse mehr in politische Bildung investieren“. Kein anderer Oppositionspolitiker wurde zur „Mitte-Studie“ der Ebert-Stiftung zitiert.

Als Horst Seehofer am 2. April die Kriminalitätsstatistik vorstellte, wurde in den Nachrichten des Deutschlandfunks um 12 Uhr eine einzige weitere Stimme aus den Parteien wiedergegeben: jene der „Innenexpertin der Grünen, Mihalic“. Am 17. März um 18 Uhr wurde aus den Reihen der Oppositionspolitiker, die sich zu den Fusionsgesprächen zwischen Deutscher Bank und Commerzbank äußerten, nur einer vom Deutschlandfunk zitiert, „der Grünen-Haushaltspolitiker Kindler“. Und dem Deutschlandfunk war es eine Meldung wert, am 3. März um 18 Uhr, dass die „Grünen-Politikerin Roth“ eine „Geschlechterparität im Bundestag“ wolle. Ganz gewiss wollten zur selben Stunde am selben Tag auch Politiker anderer Parteien so manches.

Untergrabung des offenen Streits

Durch solche weltanschauliche Ballung wird der Eindruck erweckt, dass die Grünen zu allen Politikfeldern eine mitteilenswerte Einschätzung hätten. Um eine Gruppe kompetenter Tausendsassas muss es sich handeln. Kämen FDP, AfD, Linkspartei nur halb so oft in den Nachrichten vor: Man könnte glatt der Vermutung anheim fallen, dass auch diese Parteien diskutable Positionen vertreten.

Zweitens sorgt die disproportionale Repräsentanz grüner Themen und grünen Personals für einen gedanklichen Mainstream, wie er derzeit in Umfrageergebnissen politisch zurückgespiegelt wird: das Grüne ist nicht mehr begründungspflichtig. Es versteht sich von selbst. Einen schöneren Erfolg können sich Parteistrategen nicht wünschen als jenen paradiesischen Zustand, da man die Ziele einer Partei öffentlich repetiert, nicht befragt.

Drittens bestätigt ein Journalismus, der sich derart eng an seinen Gegenstand anschmiegt, letztlich die Undurchdringlichkeit politischer Prozesse. Wo Nachrichten aus dem äußeren Leben einer Partei ins milde Licht der Zustimmung getaucht werden, sinkt die Hauptzutat einer Demokratie ins Dunkel: der offene Streit um das bessere Argument.

Bestätigungsprosa und atmosphärischer Kitsch

Der Deutschlandfunk ist kein Einzelfall. In vielen öffentlich-rechtlichen Redaktionen sitzen heute die treuen Erben jener gefühlsromantischen Bilderstürmer, als die die Grünen einst auszogen. Und auch ein Flaggschiff der privaten Presse wie die Bild am Sonntag nutzte den großen Raum eines Interviews mit Robert Habeck für Bestätigungsprosa und atmosphärischen Kitsch. Habeck, lasen wir am 28. April, „spricht mit leiser, freundlicher Stimme“. Er trage, sagte er, gerne saubere „Klamotten“, brauche für seine Frisur am Morgen „zwei Sekunden“ und weine manchmal. Eine „Konsumenten-Demokratie“ wolle er nicht. Verbürgt Demokratie nicht die Freiheit zum individuellen Konsum? Die interviewenden Journalisten wollten es nicht wissen. Nachfragen unterblieben.

Die Demokratie wird das grüne Bündnis von Politik und Medien überstehen. Gestärkt wird sie nicht daraus hervorgehen. Wozu nämlich soll die Arbeit am Gedanken, am Ausdruck, am Gemeinwohl geleistet werden, wenn am Ende doch alle Wege in die eine Richtung führen, ganz fraglos und komplett unbefragt?

 

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