Deutscher Historikertag - Deutungshoheit statt Argumentation

Auf ihrem Treffen in Münster verabschieden die deutschen Historiker mit großer Mehrheit eine Resolution zur Lage des Landes. Sie beklagen eine „gespaltene Gesellschaft“, für die sie die AfD verantwortlich machen. Doch mit solchen Erklärungen tragen die Wissenschaftler genau zu dieser Spaltung bei

Antifa-Graffito: Linksextremismus war kein Thema / picture alliance
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Dr. Klaus-Rüdiger Mai, geboren 1963, Schriftsteller und Historiker, verfasste historische Sachbücher, Biographien und Essays, sowie historische Romane. Sein Spezialgebiet ist die europäische Geschichte.

Foto: Herder

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An den 52. Deutschen Historikertag, der vergangene Woche in Münster stattfand, wird man sich noch lange erinnern, vor allem mit Scham. Man hatte die Veranstaltung unter das Motto „Gespaltene Gesellschaft“ gestellt, um schließlich mit aller Kraft zur Spaltung der Gesellschaft beizutragen, vielleicht auch zur Spaltung der Zunft. Kaum ein Tagungspunkt kam ohne den Begriff der „Spaltung“ aus, was zuweilen sehr gewollt bis sogar ungewollt komisch wirkte. 

Worum es aber eigentlich ging bei diesem Historikertag, wird schnell deutlich, wenn man auf Sektionen schaut, wie die von Frank Bösch geleitete zum Thema: „Gefahr für die Demokratie? Die neue Rechte in Deutschland.“ Obwohl allen noch die Bilder vom G-20 Gipfel in Hamburg im Gedächtnis sind, linke Medien Polizisten drohen, deren Namen und Adressen zu veröffentlichen, dieselben Anleitungen geben, wie man auch mit einer Gaspistole den Feind töten kann, sucht man auf dem Historikertag, der sich der Spaltung der Gesellschaft widmet, nach einem Panel unter dem Titel „Gefahr für die Demokratie? Die militante Linke in Deutschland und ihre Unterstützer in der Politik“ vergeblich. 

Alles von „rechts“ ist gefährlich

Wo ist der Zeithistoriker, der sich dem Thema „Strukturen und Finanzierung der Antifa“ widmet? Was er wäre, ist nach dem Historikertag leicht zu sagen, nämlich arbeitslos. Aber vielleicht schließen sich aktivistische Historiker auch der SPD an. Angela Marquardt, die Geschäftsführerin der Denkfabrik der SPD und Vertraute von Andreas Nahles hat im SPD-Blatt „Vorwärts“ dafür plädiert, ein Bündnis mit der Antifa und den Antideutschen einzugehen. Schaut man sich das Panel von Frank Bösch an, gewinnt man den Eindruck, dass er sehr gern in dem von Angela Marquardt favorisierten Bündnis mitmachen würde. 

Ein weiteres Panel unter Leitung der Göttinger Historiker Dirk Schumann und Petra Terhoeven widmete sich dem Thema: „Die Komfortzone verlassen? Zur politischen Relevanz von Geschichtswissenschaft heute“. Mit Komfortzone meinten beide offenbar wissenschaftliche Objektivität. Denn in einer beispiellosen Aktion, die schaut man sich Programm und Dramaturgie des Historikertages anm anscheinend gut vorbereitet war, wurde eine Resolution des Historikerverbands zur gegenwärtigen Gefährdung der Demokratie durchgepeitscht, die von Schumann und Terhoeven verfasst und von Kollegen unterstützt und allem Anschein auch noch angeregt wurde. 

Entsprechend ihres Panels gehen für Schumann und Terhoeven die Gefahren für die Demokratie von dem aus, was sie für „rechts“ halten. Dass es einen Stalin gab, einen Mao, einen Pol Pot, dass bis 1989 die Völker Osteuropas vom Kommunismus unterdrückt worden sind, es in der Bundesrepublik einen Deutschen Herbst und den Terror der RAF gegeben hat, dass von der Antifa und den Autonomen eine beträchtliche Gewalt ausgeht und vom Bundespräsidenten beworbene Bands zu Gewalt, Hass, sogar Mord gegen Andersdenkende, gegen Journalisten, gegen Polizisten aufrufen, blenden die Zeithistoriker zeithistorisch aus.

Sozialisiert unter den Achtundsechzigern

Sie verdrängen es offenbar, weil sie mit der Relativierung und Verharmlosung des linken Terrors, der Grausamkeit und Menschenverachtung des linken Totalitarismus geradezu sozialisiert worden sind. Den Achtundsechzigern und ihren Nachfolgern, gerade auch im akademischen Bereich, gelang es schrittweise, den öffentlichen Diskurs auf die Ebene des Klassenkampfes zu drücken. Gegen den Feind, den Andersdenkenden, gegen Rechts ist jedes Mittel erlaubt und gerechtfertigt. Wobei rechts alles umfasst, was nicht dem rot-grünen Kanon problemlos zugeordnet werden kann. Es geht längst nicht mehr um Argumentation, sondern um die mit allen Mitteln zu verteidigende Deutungshoheit, die eine Quelle der Macht der Resolutionsschaffenden ist.

Die Atmosphäre der Mitgliederversammlung, die über die Resolution abstimmen sollte, empfanden Tagungsteilnehmer als aufgeladen und sich selbst unter Druck gesetzt. In der Resolution wurde eine „historisch sensible Sprache“ gefordert als Grundlage der politischen Diskussion. Als Negativbeispiele wurden „Volksverräter“ und „Lügenpresse“ genannt. Als ein Historiker im Sinne der Ausgewogenheit vorschlug, auch den Begriff „Nazi“ aufzunehmen, wurde sofort die Einseitigkeit, der bis ins Linkstotalitäre spielende Geist der Resolution deutlich. Andreas Wirsching, den man nicht unbedingt für einen großen Historiker halten muss, lehnte dieses Ansinnen ab und gab den Ralf Stegner des Historikerverbandes, indem er eindeutig den Feind der Demokratie in denen erkennen wollte, die er für rechts hält. Objektivität und Ausgeglichenheit gelten ihm offenbar nur als Relativismus.

Historiker als Kampfreserve der Regierung

Der Vorschlag einer geheimen Abstimmung wurde wohl verworfen, weil man ganz im Sinne des Klassenkampfes sehen wollte, wer Freund, wer Feind ist. Demokratie, auf die sich Wirsching und Co. berufen, geht jedenfalls anders. Zumindest wirft das die Frage nach den wissenschaftlichen Standards des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam unter den Direktoren Frank Bösch und Martin Sabrow und des Instituts für Zeitgeschichte in München unter Andreas Wirsching auf. Am Ende wurde die Resolution weniger durch eine Abstimmung als durch Akklamation der Aktivisten angenommen.  

Hätten die Historiker aus der Geschichte gelernt, wären sie nicht einmal auf die Idee gekommen, sich als Kampfreserve der Regierung anzudienen. Man muss nicht einmal ein Historiker sein, um diesen Vorgang aus zwei dunklen Zeiten der deutschen Geschichte zu kennen, als Geisteswissenschaftler an der ideologischen Front mittun wollten und dabei die Wissenschaftlichkeit ihres Faches der Ideologie opferten. 

Die Resolutionsschaffenden unter den Historikern fühlen sich beauftragt, „durch die Analyse historischer Entwicklungen auch zur besseren Wahrnehmung von Gegenwartsproblemen beizutragen“. Bereits hier zeigen sich Allmachtsfantasien und Fachvergessenheit in scheinbar plausibler Formulierung, denn keine Analyse historischer Entwicklungen ist sakrosankt. Gerade die immer aufs Neue geführten Diskussionen von Analysen und Deutungen machen erst die Geschichtswissenschaft aus. Geschichtswissenschaft kann also nur etwas zum gesellschaftlichen Diskurs beitragen, indem sie ihre eigene Diskussion zum Thema macht. 

Es geht also den Resolutionsschaffenden keineswegs um einen geschichtswissenschaftlichen Diskurs, sondern um die Ideologisierung und Parteipolitisierung des Fachs, um die Herrschaft des Establishments ideologisch abzusichern. Dass dabei ganz vorn die Forderung einer „historisch sensiblen Sprache“ steht und das Verdikt „diskriminierender Begriffe“, stellt eine Abkehr von historischer Forschung dar. Außerdem werden so die Theorien von Judith Butler unterstützt, die den über Sprachveränderung und die Errichtung einer Sprachinquisition Umbau der Gesellschaft anstreben und sich wiederum auf Foucault, Derrida, Althusser und Bordieu berufen. Dabei wird deutlich, dass die Resolutionsschaffenden sich auf Linguistik berufen, ohne etwas von Linguistik zu verstehen. In einer für Historiker bemerkenswert unscharfen Sprache werden „nationalistische Alleingänge“ mit „nationalen Problemlösungsstrategien“ gleichgesetzt, womit die Resolutionsschaffenden ihre Gegenwartsblindheit offenbaren.

Die Furcht vor Veränderung

Die Welt steht jedoch vor einer Renaissance der Nationalstaaten. Ausgesprochen nationalstaatsbasierte Mächte streiten um die Hegemonie. Allein das zeigt schon den weltfremden, hoffnungslos provinziellen Ansatz der Resolution. Wer Migration vollkommen undifferenziert als bereichernde historische Konstante sieht, hat große Teile des Geschichtsunterrichts geschwänzt. Das Imperium Romanum beispielsweise ist unter anderem durch fortwährende Migration zugrunde gegangen. 

Der eigentliche Auslöser der Resolution wird bei näherem Hinsehen deutlich: Es ist die pure Angst. Andreas Wirsching und seine Mitresolutionisten scheinen die Historiker in eine Kampfformation gegen die AfD zwingen zu wollen, in einen Kampf, in dem offenbar jedes Mittel recht ist. Die Angst geht um, dass man aus der „Komfortzone“ exmittiert wird, weil andere Politiker in die Beiräte und an Entscheidungspositionen kommen, die andere Entscheidungen zur Mittelvergabe fällen. Aus der Resolution spricht die Furcht vor Veränderung, davor, dass ein bisheriges wissenschaftliches Establishment Macht und Einfluss verlieren könnte, was sich häufig in der Vergabe finanzieller Mittel und in der Schaffung von Strukturen und Stellen niederschlägt. Deshalb will man gegen „alternative Fakten“ zu Felde ziehen und bläst doch nur in das Horn der Merkelschen Alternativlosigkeit. Der Soziologe Wolfgang Streeck hat einmal bemerkt, dass die Göttin TINA (there is no alternative) der Expertenlüge zur Beglaubigung des als alternativlos Behaupteten bedürfe. Wollen die Historiker tatsächlich so weit gehen?

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