#deletefacebook - Analog ist das neue digital

Unter dem Hashtag #deletefacebook dokumentieren Tausende Nutzer auf Twitter ihren Ausstieg aus dem sozialen Netzwerk – in einem anderen sozialen Netzwerk wohlgemerkt. Doch es gibt keine bösen oder guten Kommunikationsplattformen. Das Problem sind wir selbst

Der Delete-Hype zeigt, wie abhängig die Menschen tatsächlich von Facebook und Co. sind / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es war eine Nachricht wie ein schlechter Scherz: Brian Acton ruft unter dem Hashtag #deletefacebook dazu auf, Facebook-Accounts zu löschen. Ausgerechnet Brain Acton! Also der Mann, der den Nachrichtendienst WhatsApp zusammen mit Jan Koum entwickelt und im Jahr 2014 für schlappe 19 Milliarden Dollar (!) verkauft hat – an Facebook wohlgemerkt.

Die Meldung wäre an sich schon bizarr genug. Ins Groteske übersteigert wird sie aber dadurch, dass Acton seinen Aufruft „It’s time. #deletefacebook“ über den Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlichte – also ein soziales Netzwerk.

Man hat vermutlich viel von dem Unsinn dieser Welt begriffen, wenn man sich die Situation noch einmal in aller Ruhe vor Augen führt und gründlich über sie meditiert: Da ruft der Entwickler eines Nachrichtendienstes mittels eines sozialen Netzwerks zum Boykott jenes sozialen Netzwerkes auf, an das er sein eigenes Unternehmen einst verkaufte. Willkommen in der schönen neuen Welt digitaler Kommunikation!

Nahezu grenzenlose Naivität

Es dauerte daher auch nicht lange und Nutzer berichteten euphorisch über die heroische Löschung ihres Facebook-Kontos – via Instagram, seit April 2012 ein Produkt von Facebook Inc. Eindrucksvoller lässt sich Naivität kaum dokumentieren.

Es ist erstaunlich, wie sehr sich Milliarden von Menschen der Logik von Kommunikationsplattformen à la Facebook unterworfen haben. Selbst Aufrufe zum Boykott eines sozialen Netzwerks werden über soziale Netzwerke kommuniziert. Kein Wunder also, dass es schon seit geraumer Zeit einen Account „Delete Your Account Permanently“ gibt – auf Facebook wohl gemerkt.

Gute und böse Netzwerke

Immerhin macht die Begeisterung, mit der in den vergangenen Tagen Tausende von Menschen bekundeten, ihr Facebook- oder auch Instagram-Konto gelöscht zu haben, Hoffnung. Allerdings unterstreicht dieser Delete-Hype, wie mental abhängig diese Menschen tatsächlich von Facebook und Co. sind. Denn all die wild entschlossenen Deleter entsagen nicht etwa der Idee des sozialen Netzwerkes. Man meint vielmehr, zwischen guten und bösen sozialen Netzwerken unterscheiden zu können.

Die „bösen“ Kommunikationsdienste sind aktuell alle, die irgendwie mit Mark Zuckerberg zu tun haben: Facebook, WhatsApp, Instagram. Die „guten“ Plattformen sind hingegen jene, die noch unabhängig von der Krake Facebook sind: also etwa Twitter oder Snapchat. Das erklärt auch den Hype um Apps wie Vero oder um das inzwischen schon wieder vergessene Ello vor einiger Zeit.

Nicht Algorithmen sind das Problem

Doch es gibt keine bösen und guten Kommunikationsplattformen. Die Idee sozialer Netzwerke an sich ist das Problem. Und solange Menschen aus irgendwelchen Gründen meinen, dass es Mehrwert hat, die Welt mit ihren Fotos von Suppentellern, Urlaubsorten oder Katzen zu quälen, solange werden automatisch Daten von ihnen anfallen, und die werden gesammelt und ausgewertet werden. Das ist nicht zu verhindern und zwar aus technischen Gründen.

Auch Facebook arbeitete einst ohne Algorithmen. Doch das ist schon lange nicht mehr möglich, selbst wenn man das wollte. Ab einer gewissen Größe der Plattform müssen die Nachrichten, die bei einem User erscheinen, vorsortiert werden, und genau das besorgen Algorithmen. Anderenfalls bekämen die Nutzer täglich Tausende von Beiträgen auf ihre Feeds.

Soziale Netzwerke fressen sich selbst. Je erfolgreicher sie sind, desto stärker muss der Datenfluss gesteuert werden – selbst wenn es keine wirtschaftlichen Interessen gäbe.

Einziger Ausweg: der Verzicht

Das Problem ist die amoklaufende Kommunikation selbst. Denn Kommunikation ist die Verbreitung von Information, auch wenn die Informationen noch so uninformativ sind. Und diese Informationen müssen gebündelt und strukturiert werden – bei Facebook angeblich 4 Petabytes pro Tag.

Es ist nicht ohne Ironie: Wir brauchen künstliche Intelligenz, um die Produkte menschlicher Einfalt zu verarbeiten. Zugleich untergräbt die notwendige Organisation der dabei anfallenden Datenmassen jede Möglichkeit, sich aus deren Kokon zu befreien. Im Gegenteil, der Kokon wird immer undurchdringlicher. So untergräbt die Massenkommunikation, aufgrund der technischen Notwendigkeit sie zu organisieren, sich selber. 

Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ist der Verzicht – nicht auf Facebook wohlgemerkt, sondern auf die Nutzung sozialer Netzwerke generell. Digitale Kommunikation ist das Gegenteil von Freiheit. Die Versprechen grenzenloser Kommunikation haben sich aufgelöst in die Realität gesteuerter Datenmengen. Analog ist das neue digital.

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