Debattenkultur - Phobie: Die Psychofalle im Politzirkus

Mit Begriffen wie Xeno-, Homo- oder Islamophobie werden Andersdenkende praktisch zu Psychiatriepatienten gemacht, mit denen eine Diskussion nicht lohnt. Aus Fachkreisen gibt es kaum Kritik an diesem Missbrauch des Krankheitsbegriffs.

Hat ein Kritiker des Islam wirklich einfach nur irrationale Angst? / dpa
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Autoreninfo

Dr. med. Burkhard Voß ist Neurologe und Psychiater und Autor von „Deutschland auf dem Weg in die Anstalt“ (Solibro Verlag).

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Psychiatrie, Psychologie, Psychotherapie – worum sie sich nicht alles kümmern. Schaut man in einem Buchladen in der Abteilung für Ratgeberliteratur, wird kaum ein Lebensbereich ausgelassen. Ob beruflicher Alltag, Stimmtraining zur Vorbereitung auf Meetings, privater Alltag, Resilienztraining zur Vorbereitung auf partnerschaftliche Konfliktgespräche, kritische Situationen in der hundegestützten Psychotherapie, hundegestützte Pflege dementer Eltern, Trauerarbeit, Überforderung mit ADHS-Kindern, Überforderung mit überforderten Eltern, Lampenfieber beim Elternsprechtag, Umgang mit Narzissten beim Parteitag, Herausforderung eines Sonntagnachmittags bei den Schwiegereltern, Aufnahme der 15-jährigen Tochter in die Jugendabteilung der AfD, Umgang mit dem Coming Out des 17-jährigen Sohnes, Umgang mit der neuen nordafrikanischen DHL-Mitarbeiterin, die offiziell eine Bereicherung ist, aber real alles falsch macht, und wie eine junge Frau mit der ihr aufkeimenden Emotionalität umgeht, wenn sie einen jungen Mann sieht, der breitbeinig in der U-Bahn sitzt und sie frech angrinst – sorry, aber diese Aufzählung ist total unvollständig … Was die Psychofächer in den letzten Jahrzehnten problematisiert haben, würde selbst die Unibibliothek von Harvard sprengen. Durch kontinuierliches Fragen, Hinterfragen und Reflexion der größten Selbstverständlichkeiten wird alles zum Problem. Fast könnte man ein Geschäftsmodell unterstellen: Problematisiere alle Lebensbereiche und biete als Problemlösung psychologische Beratung und Psychotherapie an, dann wirst du nie arbeitslos.

Simplizistisches Denken

Die Psychofächer thematisieren so gut wie alles. Banalitäten machen einen nicht zu geringen Anteil aus. Müßig, sich damit zu befassen. Wie so oft ist viel interessanter, was nicht thematisiert wird. Es ist das Politische am Psychischen. Homophobie, Transphobie, Xenophobie, Zigophobie, Islamophobie – wer auch nur einen Hauch von Kritik gegenüber Homosexuellen, Transsexuellen, Fremden, Zigeunern oder dem Islam sowie den Corona-Maßnahmen artikuliert, muss psychisch krank sein. Denn nach der aktuell gültigen Klassifikation psychischer Erkrankungen bezeichnet Phobie eine übersteigerte, rational nicht begründbare Furcht vor bestimmten Situationen, Gegenständen oder Menschen. Nach tiefenpsychologischer Deutung soll diese Angst Ausdruck eines inneren Konflikts sein. Anders ausgedrückt: Wenn ich Angst vor meiner (vermeintlichen) eigenen Homosexualität habe, ängstigen mich Homosexuelle.

Spekulatives und simplizistisches Denken macht auch vor der Psychologie nicht halt. Vor der Politik schon gar nicht. Die Politiker der Political Correctness machen es sich einfach: Man nehme einen psychiatrischen Fachbegriff wie etwa Phobie, verbinde diesen mit einer Minderheit und bezeichne damit Kritiker derselben. Dadurch werden diese automatisch zu Psychiatriepatienten erklärt, mit denen, da sie ja psychisch krank sind und Realitäten offensichtlich nicht mehr richtig wahrnehmen können, eine weitere Diskussion im Zauberkreis der argumentativen Vernunft nicht mehr möglich ist. Mit den Pseudoargumenten von psychisch Kranken muss man sich nicht weiter beschäftigen. Psychisch krank gleich politisch tot. Problem erledigt. Doch die Realität spricht eine andere Sprache. Der Islam ist mit der Aufklärung und der westlichen Demokratie schlecht vereinbar, und es gibt so gut wie keine europäische Geistestradition, die keine islamkritischen Positionen aufweist. Ob Christentum, Judentum, Aufklärung oder Reflexionen in der zeitgenössischen Literatur wie Salman Rushdies „Satanische Verse“ oder Michel Houellebecqs „Unterwerfung“. Auch damit könnte man die Unibibliothek von Harvard zum Platzen bringen.

Diskussion verunmöglicht

Dass eine Gesellschaft, die mit sozialen Abstiegsängsten, der Pflege dementer und multimorbiden Eltern, Flüchtlings-, Klima- und Corona-Krise, wirtschaftlichem Überleben usw. beschäftigt ist, für diese Stigmatisierung politisch Andersdenkender kaum sensibilisiert ist, ist nicht verwunderlich. Es verwundert aber sehr, wenn von psychiatrischen und psychologischen Fachgesellschaften zu dieser Entgrenzung eines psychiatrischen Krankheitsbegriffs nichts zu hören ist. Gerade die Psychofächer, die zu Recht die Stigmatisierung psychisch Kranker angreifen, haben dem Angriff auf politisch Andersdenkende durch Psychiatrisierung offensichtlich nichts entgegenzusetzen. Googelt man die unterschiedlichen Phobiebegriffe in Verbindung mit den führenden Fachzeitschriften (Der Nervenarzt, Nervenheilkunde, Der Psychotherapeut, Neurotransmitter, Neuroaktuell, Psychologie heute etc.) wird artig erklärt, dass der Skeptiker möglicherweise ein Problem hat, aber nicht die kritisierte Minderheit. Wenigstens verfügte Trevor Philips, der Auftraggeber einer Studie zur Islamophobie, über so viel Selbstkritik, dass er sich später von diesem Begriff distanzierte, weil er eine offene Debatte nicht möglich mache. Und Wikipedia räumt zumindest ein, dass Xenophobie „evolutionsbiologisch … als wahrscheinlich überlebensdienliches Erbe aus dem Tier-Mensch-Übergangsfeld“ interpretiert werden kann. Eben die ganz normale Skepsis vor dem Fremden. Diese hat mit psychischer Krankheit nichts zu tun.

Doch Psychiatrie und Psychologie haben an der Ausweitung eines Begriffs für psychisch Kranke auf politisch Andersdenkende offensichtlich kein Problem. Dann beschäftigt man sich doch lieber mit genussvollem Entspannen, Geschwisterkonstellationen oder spricht mit seinem inneren Kind. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass Psychiater und Psychologen die Advokaten der Political Correctness sind. Dass das Psychische auch politisch ist, scheint sich bei den Psychos noch nicht so richtig rumgesprochen zu haben.

Burkhard Voß veröffentlichte zuletzt „Psychopharmaka und Drogen – Fakten und Mythen in Frage und Antwort“ (Kohlhammer, Stuttgart 2020). Demnächst erscheint von ihm das Buch „Psychoblüten und Corona“.

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