Debattenkultur im Netz - Wo der Hass brodelt

Kommentarspalten von Onlinemedien galten einst als Demokratieversprechen. Doch immer mehr Medien schränken ihre Kommentarfunktion ein. Warum? Zu Besuch bei Trollen und jenen, die sie zähmen müssen

Sehen so Trolle aus? / picture alliance
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Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

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Wenn Dr. Holger Noetzeldorf einen Kommentar ins Netz tippt, dann schreibt ihm niemand vor, was sagbar ist und was nicht. Am 7. Februar 2018 kommentierte er auf cicero.de einen Artikel und schrieb darin, er hoffe auf einen Flüchtlingsdeal zwischen Deutschland und Russland und zwar dergestalt, „daß die Millionen von Invasoren in den Weiten des Russischen Raumes untergebracht werden”. Der Kommentar wurde später von der Redaktion gelöscht. Zu menschenverachtend.
 
Offline pflegt Noetzeldorf einen anderen Sound. Ich bin nach Bayern gefahren, um ihn zu besuchen. Er sitzt in der Bar des vornehmen Hotel Königshof, gleich am Münchner Stachus und lächelt freundlich. Wie genau er aussieht, darf an dieser Stelle nicht beschrieben werden, denn Dr. Holger Noetzeldorf legt großen Wert darauf, nicht erkannt zu werden. Nur soviel sei gesagt: Der Mann im Rentenalter hat ein gepflegtes Äußeres und trägt elegante Kleidung, die sicher nicht billig war. Auch sein Name ist in diesem Text geändert worden. 

Nur den Doktortitel, den hat er wirklich und gibt ihn auch in jedem seiner Kommentare an. Promoviert hat Noetzeldorf in einer Sozialwissenschaft, seine Dissertation kann man auf Amazon erwerben. Er hat es sich in einem ockerfarbenen Sessel gemütlich gemacht, die Ellbogen auf den Lehnen abgestützt und referiert: „Weltoffenheit ist ein Begriff, der häufig falsch verstanden wird, wissen Sie? Er kommt aus der philosophischen Anthropologie und bezeichnet ursprünglich die Differenz zwischen Mensch und Tier. Das können Sie bis auf Heidegger und Sartre zurückführen“, sagt Noetzeldorf und lächelt dabei.

Hier hätte Noetzeldorf fotografiert werden
sollen / Yves Bellinghausen

Kommentarspalten als demokratische Errungenschaft

Dr. Holger Noetzeldorf ist das, was man als Troll bezeichnet. Er kommentiert beinahe jeden Artikel, der auf cicero.de erscheint, viele davon mehrfach. Über tausend Kommentare hat er so schon im vergangenen Jahr veröffentlicht. Viele davon provokant, er überschreitet die Grenzen des Sagbaren, formuliert gerne „bissig”, wie er selbst sagt. Viele Kommentare sind zu bissig: Ein großer Teil muss von Moderatoren gelöscht werden.

In den Nullerjahren, als die Kommentarspalten eingeführt wurden, galten sie noch als demokratische Errungenschaft. Journalisten sollten fortan nicht mehr nur Sender und Leser nicht mehr nur Empfänger sein. In den vergangenen Jahren aber kapitulierten immer mehr Medien vor Kommentatoren, die gehässig schreiben und aus Sicht der Redaktionen keine konstruktiven Debatten führen. Große Redaktionen, wie die Süddeutsche Zeitung (SZ)  und die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), haben die Leserkommentare deshalb schon weitestgehend abgeschafft. Die Stimmung sei zu gehässig geworden, schreibt die NZZ dazu als Erklärung. Beschimpfungen hätten zugenommen und inhaltliche Debatten würden kaum mehr geführt. Die Journalisten der NZZ hätten die Kommentarspalte ohnehin nicht mehr gelesen.
 
Wer die Menschen sind, die den Hass in die Kommentarspalten spucken, verliert sich in der Anonymität des Internets. Das Wort „Troll“ suggeriert ein verschrumpeltes und verbiestertes Wesen, einen von den sogenannten Abgehängten. Menschen voll von Frust und Hass. Kanadische Wissenschaftler schrieben in einer Studie, Trolle hätten sadistische, psychopathische und machiavellistische Veranlagungen. Und so traf ein Reporter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, als er über einen Troll schrieb, jemanden, der die Provokation seinen „Orgasmus” und die Aufregung der Anderen sein „Ejakulat” nennt. Die Zeit stellte einen reuigen Studenten vor, für den das Trollen eine Jugendsünde war, als er nicht wusste, wohin mit seinem Hass.

Aus dem netten Herrn wird der Troll

Dr. Holger Noetzeldorf will kein Troll sein. Die Erklärung, Menschen, die viel und rechts kommentieren seien „Abgehängte“, hält er für paternalistisch. Er selbst scheint kein Abgehängter zu sein. Was genau er beruflich gemacht hat, will er nicht verraten, nur dass er „Menschen zusammengebracht hat“, bevor er in den Ruhestand gegangen ist, sagt er. Genau hier, in der Sitzecke des Hotel Königshof habe er mit vielen wichtigen Leuten gesessen, sagt er.

Auch wie Zeitungs-Redaktionen arbeiten, wisse er sehr genau. Den Skandal um Dieter Wedel etwa habe die Zeit bei „ein paar Flaschen Weißwein“ bewusst lanciert. Auch sonst wähnt Noetzeldorf sich im Besitz privilegierter Informationen. Diesen Sommer würde eine weitere Flüchtlingswelle über die Bundesrepublik „hereinbrechen“, ist er sich sicher. Von der Regierung sei das durchaus erwünscht sagt er, da die deutschstämmige Bevölkerung aussterbe. Dafür, so Noetzeldorf, habe er seinem Land bei der Bundeswehr nicht gedient. Das, was die Regierung betreibe, sei Verrat an den deutschen Männern seiner Generation, sagt er. An den Männern, wohlgemerkt! Denn Frauen hätten damals ja noch nicht gedient. Plötzlich wird aus dem älteren Herrn mit verbindlichem Lächeln der „Troll”.
 
Noetzeldorf bezeichnet sich selbst als konservativ. Man könnte auch sagen: rechts. In einer Studie wertet der IT-Experte Philip Kreiße 18.000 Kommentare auf Facebook aus, die Nutzer bei den großen deutschen Nachrichtenseiten hinterlassen haben. Dabei zeige sich, dass die Nutzer, die besonders viel Hass ins Netz tragen, sich auch besonders häufig als Anhänger der AfD oder der Identitären identifizieren lassen. Warum ist das so? Warum kommen so viele hasserfüllten Kommentare gerade von rechts?

Wer links ist, muss nicht kommentieren

„Weil die Medien so weit links stehen“, sagt Noetzeldorf. Und klar: Kommentatoren, die links seien, müssten dann auch nicht widersprechen, also auch nicht kommentieren, sagt er. Und der raue Ton? „Das ist Ausdruck von Frust”, sagt Noetzeldorf. „Frust über die Ohnmacht, in der linken Medienlandschaft unterzugehen.” Auch die Kommentare, vor denen die SZ und die NZZ eingeknickt sind, kamen zu großen Teilen von rechts.
 
Früher, da hat er auch bei denen kommentiert, sagt er. Für einige Jahre kommentierte Noetzeldorf sogar bei der „ausweislich linken” Zeit Online. Damit hat er aber aufgehört, sagt er. „Bei der Zeit wurden fast alle meine Kommentare zensiert”, sagt er grinsend, „Wahrscheinlich weil die einfach zu feige waren.”

„Das hat nichts mit Zensur zu tun"

500 Kilometer weiter nördlich von Dr. Holger Noetzeldorf sitzt Julia Meyer in einem hellen, verglasten Konferenzraum, mitten in Berlin. Sehr wahrscheinlich hat sie schon einige seiner Kommentare gelesen, denn sie verantwortet das Community-Management von Zeit Online, eine Mannschaft, die sich ausschließlich darum kümmert, die Kommentare der Nutzer zu lesen, freizuschalten, zu löschen und auf Fragen zu antworten.
 
Sind Sie zu feige für Noetzeldorfs Meinungen, Frau Meyer?
 
Meyer rollt kurz mit den Augen, lächelt dann und sagt schließlich: „Nein, wir sind nicht zu feige. Wir haben auf unserer Website schließlich das Hausrecht und sind nicht dazu verpflichtet, alles zu veröffentlichen, was Herr Noetzeldorf schreibt.” Das habe mit Zensur nichts zu tun. „Wenn er will, dann kann er ja alle von uns gelöschten Kommentare auf einem privaten Blog veröffentlichen”, sagt sie.
 
Bei Zeit Online läuft jede Woche eine sechsstellige Zahl an Kommentaren ein und alle wollen gelesen werden von der Redaktion. Mehr als 20 Moderatorinnen und Moderatoren bindet diese Arbeit. Beleidigungen werden gelöscht, genau wie alle Kommentare, die unter die Gürtellinie gehen und sowieso alles, was gesetzeswidrig ist.

Julia Meyer verantwortet das
Community-Team bei Zeit Online
/ Yves Bellinghausen

Die Anonymität

Wie viele Kommentare gelöscht werden, hängt vom Thema des Textes ab. Bei Aufregerthemen – früher war das die Griechenland-Rettung, heute vor allem Flüchtlingsthemen – können es schon wesentlich mehr Kommentare sein, die gelöscht werden.
 
„Und wenn man dann an solchen Tagen acht Stunden lang moderiert, dann kann das schon belastend sein”, sagt sie. Trotzdem will Zeit Online die Kommentarspalte nicht wie die SZ und die NZZ abschaffen. Man wolle den Leser schließlich ernstnehmen, abweichende Meinungen aushalten und zur ernsthaften Debatte anregen. Auch wenn das nicht immer gelinge, wie Meyer zugibt. Die Anonymität des Internets tut ihr Übriges.
 
Noetzeldorf wollte sich aus dieser Anonymität herauswagen und war zunächst damit einverstanden, dass sein Name in diesem Text auftaucht. Einen Tag aber, nachdem er in München über seine Online-Kommentiererei gesprochen hatte, schickte er der Redaktion eine Mail. Er danke für das interessante Gespräch, schreibt er darin, aber „kaum ein Artikel in den Medien erscheint mir positiv” und darum wolle er auch seinen Namen nicht in dem Text wiederfinden und auch sonst solle nichts Persönliches über ihn geschrieben werden. Darüber hinaus werde er die „Cicero-Kommentatoren-Gemeinde verlassen”, kündigt er an.

Alle sollten allen alles sagen

Noetzeldorf zieht sich aus den Kommentarspalten zurück. Eigentlich hätten alle mitmachen sollen, in der neuen Welt der demokratischen Kommentarspalten. Alle hätten allen die Meinung sagen sollen. Daraus ist erstmal nichts geworden. Viele Leser meiden die Kommentarspalten mittlerweile. „Ich glaube nicht, dass die Kommentatoren in jedem Fall repräsentativ für unsere Leser sind”, räumt Meyer ein, „Aber von apokalyptischen Szenarien halte ich überhaupt nichts!” Man müsse nicht dafür sorgen, dass mehr Kommentare gelöscht werden, sondern auch dass sich möglichst viele unterschiedliche Menschen wieder in die Debatte hineintrauen, sagt sie, zum Beispiel indem die Autoren von Artikeln aktiv an der Diskussion teilnehmen. Oder indem die Redaktion konkrete Fragen an die Nutzer stellt 

So machen es ihre Kollegen bei der NZZ. Vor gut einem Jahr haben sie die Kommentarspalte abgeschafft und durch ein „Leserforum“ ersetzt, sagt der Leiter der Social-Media-Redaktion der NZZ, Oliver Fuchs. Die Redaktion der hier ist wesentlich kleiner als die von Zeit Online: Vier Leute arbeiten hier und stellen den Lesern pro Tag eine Handvoll konkrete Fragen. „Was erwarten Sie von der neuen deutschen Regierung?“, heißt es da oder „Was ist das Vermächtnis von Stephan Hawking?“
 
Wer den Unrat gewohnt ist, der sich in den meisten anderen Kommentarspalten ansammelt, dem werden die Kommentare der NZZ-Leser wie eine Kur vorkommen. Geschimpft wird hier kaum, Kommentatoren gehen inhaltlich aufeinander ein, zuweilen verteilen sie sogar Lob oder räumen eigene Irrtümer ein! Ist das hier etwa der Garten Eden der Netzdebatte?

Das leere Blatt Papier

Tatsächlich hat die NZZ mit der Umstellung auch erheblich an Reichweite ihrer Kommentarfunktion eingebüßt. Drei Viertel weniger Kommentare als vorher würde man heute bekommen, schätzt Fuchs. Zudem löschen die Zürcher strenger Kommentare als andere Medien: „Wir können es uns leisten, aktiver in die Debatte einzugreifen, weil wir uns anders als vorher nur noch in eine Handvoll Debatten gleichzeitig eindenken müssen.“ Vor allem aber würde der Ton sachlicher, wenn die Debatten durch konkrete Fragen vorstrukturiert sind, anstatt „den Leser einfach vor ein leeres Blatt Papier zu setzen.“
 
Dabei war ja gerade dieses leere Blatt Papier das Demokratieversprechen.
 
Noetzeldorf ist das egal. Er liest zwar noch regelmäßig Zeit Online und die NZZ, aber Kommentare schreibt er hier nicht mehr. „Die Kommentare da sind mir zu dumm geworden”, sagt er. Seit Noetzeldorf im Münchner Hotel Königshof gesessen und über seine Kommentare geredet hat, sind ein paar Wochen vergangen. Er hat Wort gehalten: Seit dem Treffen hat er keinen Kommentar mehr auf cicero.de hinterlassen. Ein paar Tage später schickt er nochmals eine Mail. Er wolle seine Empörung jetzt anders artikulieren, schreibt er darin. Was das genau bedeutet, sagt er nicht.

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