Corona und Psyche - „Das Menschenbild der modernen Medizin ist zutiefst mechanistisch“

Für den Psychoneuroimmunologen Christian Schubert zeigt sich in der Corona-Pandemie die größte Krise der westlichen Medizin. Ein Gespräch über verlorene Lebensjahre und die Auswirkungen psychischer Belastung. Und darüber, warum Lockdowns gerade gegenüber Kindern zutiefst unmenschlich sind.

Eine ältere Frau in der Corona-Krise / dpa
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Autoreninfo

Alissa Kim Neu studiert Kulturwissenschaften und Romanistik in Leipzig. Derzeit hospitiert sie bei Cicero.

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Professor Dr. Christian Schubert ist Psychoneuroimmunologe. Seit 1995 ist er als Leiter am Aufbau des Labors für Psychoneuroimmunologie (PNI) an der Medizinischen Universität Innsbruck beteiligt. Schubert ist Autor zahlreicher Bücher, darunter: Was uns krank macht – Was uns heilt: Aufbruch in eine neue Medizin.

Professor Schubert, im Grundgesetz ist der Schutz der Gesundheit und des Lebens der Bürger verankert. Für die Corona-Pandemie wurde das sehr ernst genommen. Sehen Sie eine Überbetonung des Körperlichen zulasten der Psyche?

Mein Ansatz in dem Zusammenhang ist ein Ansatz, der vor allem auf die Wechselwirkung zwischen Virus und Wirt abzielt. Das heißt, es geht bei einem Virus auch um die Abwehrkräfte des Wirts. Die Rolle des Wirts aber habe ich in der Krisenkommunikation der letzten 18 Monaten sehr vermisst. Der Staat sagte zwar, er wolle das Virus bekämpfen, hat aber den Menschen nicht mit in die Rechnung genommen. Schon für Louis Pasteur, der um 1850 lebte, war die Mikrobe letztlich zu wenig, es ging ihm besonders um den Wirt und dessen Immunabwehr.

Aber es geht doch zuallererst um die Bekämpfung des Virus?

Meine Fachdisziplin, die Psychoneuroimmunologie, zeigt auf, dass nicht nur stoffliche Faktoren wie Viren oder Bakterien Gesundheit und Krankheit erklären, sondern, dass wir uns mit dem ganzheitlichen Menschen befassen müssen. Beispielsweise mit Umweltfaktoren, die das Immunsystem stärken oder schwächen. Da sind psychische und soziale Faktoren von fundamentaler Bedeutung.

Das Psychosoziale hat durch die Maßnahmen stark gelitten?

Genau. Wenn wir uns den Menschen als Ganzes anschauen, wird die Paradoxie der Corona-Maßnahmen offensichtlich. Ich nehme als Beispiel den Lockdown. Der Lockdown ist wissenschaftlich sinnvoll, um das Virus einzudämmen. Gleichzeitig schicke ich durch ihn aber auch Menschen in die Isolation. Dort erfahren sie mitunter Einsamkeit, Angst vor Jobverlust, Depressionen, Traumata et cetera. Dieser Stress schwächt das Immunsystem immens. Deshalb untergrabe ich mit dem Lockdown gleichzeitig die Widerstandskraft vieler Menschen und damit auch den Versuch, dass sich möglichst wenige infizieren und auf die Intensivstation müssen.

Geht die Medizin oft von einem vereinfachten Menschenbild aus?

Ja. Das Menschenbild der modernen Schulmedizin ist ein zutiefst mechanistisches Bild. Das Paradigma dieser Medizin geht davon aus, den Menschen zu reparieren, wenn er kaputt ist. Das Ganzheitliche wird dabei zumeist ausgeklammert. Diese Haltung entwickelte sich aber nicht erst mit der Pandemie. Die Covid-19-Krise ist die größte Krise, die die westliche Medizin jemals hatte, weil sie ihr falsches Menschenbild offenbart.

Wichtig ist doch, das Virus nicht zu verharmlosen.

Es gab von Anfang an ein Narrativ der Angst. Man entgegnete dem Zu-leicht-auf-die-Schulter-nehmen, indem man alle Register zog, um Angst zu verbreiten. Da ist das geleakte Papier des Bundesinnenministeriums von März 2020, was die Beängstigung der Bevölkerung als bevorzugte Krisenkommunikation beurteilte. Auch Kindern und Jugendlichen wurde viel Angst gemacht, sie könnten ihre Großeltern umbringen, wenn sie nicht aufpassten. Diese Kommunikation entspricht aber nicht einer modernen ganzheitlichen Medizin, sondern mutet fast mittelalterlich an. Es wäre aber sehr wohl wichtig gewesen, zu vermitteln, dass die eigene Immunabwehr ausschlaggebend ist und gezielt gestärkt werden kann, insbesondere dadurch, dass es den Menschen psychisch gut geht.

Christian Schubert / privat

Man wollte eine große Zahl an Toten verhindern. 

Gerade zu Anfang wussten wir auch noch sehr wenig über das Virus, und wir mussten viel lernen. Aber das Wissen, das wir jetzt über die Risikogruppen haben, wird nicht umgesetzt. Viel eher wird in Deutschland ein vierter Lockdown diskutiert. 

Aber ein gutes Immunsystem reicht sicherlich nicht gegen jedes Virus aus.

Das kommt auf die Pathogenität des jeweiligen Virus an. Es gibt Viren mit hoher Pathogenität wie das Ebolavirus, dem lässt sich immunologisch schwerer begegnen, ohne Frage. Aber im Endeffekt ist es immer zu wenig, nur das Virus anzuschauen und den Wirt außer Acht zu lassen. Das Coronavirus ist sicherlich gefährlich für bestimmte Gruppen, und damit meine ich nicht nur ältere Menschen, die in der Covid-19-Krise oft stigmatisiert wurden, besonders anfällig zu sein. Es kommt auf die Gesundheit des Einzelnen an, auf Vorerkrankungen wie Diabetes oder Krebs, oder auf den Grad der psychischen Belastung, dem eine Person langfristig ausgesetzt ist. Dann ist das Virus gefährlich – auf gesunde, junge Menschen hat es oft nur wenig Einfluss. 

Mehrere Studien deuten darauf hin, dass viele Menschen psychisch stark unter der Pandemie zu leiden haben. Welche Erkrankungen zeigen sich besonders häufig? 

Die Zunahme an psychischen Erkrankungen gibt es in der gesamten Bevölkerung zu beklagen. Für Österreich heißt das, dass sich die Zahlen an Depressionen und Angststörungen allein während des ersten Lockdowns vervier- und verfünffacht haben. Auch Schlafstörungen und Suchterkrankungen haben in der Bevölkerung zugenommen.

Werden Kinder und Jugendliche besonders in Mitleidenschaft gezogen? 

Leider ja. Wir sehen vermehrt Belastungsstörungen, Angst, Depressionen, aber auch Essstörungen, Suizidgedanken und -handlungen bei sehr jungen Kindern. 

Warum trifft es diese Gruppe besonders hart? 

Sie wurden durch den Lockdown vor allem von Bildung und schulischen Strukturen sowie sozialen und sportlichen Aktivitäten ferngehalten. Kinder und Jugendliche sind aber auf ebensolche Entwicklungserfahrungen, für die es spezifische Zeitfenster gibt, angewiesen. 18 Monate sind dabei für ein beispielsweise 24 Monate altes Kind sehr lange. Zudem gab es viele, die in kleinen Wohnungen mit ihren Eltern lebten, die selbst durch die Angst vor dem Arbeitsverlust und dem sozialen Abstieg stark gestresst waren. Schreien, schlagen, aber auch sexuelle Missbrauchserfahrungen, das alles hat sich in den letzten 18 Monaten vervielfacht. Von diesen traumatischen Erfahrungen wissen wir, dass sie psychische Störungen enorm begünstigen. Und da ist wieder ein Paradoxon der Schulmedizin: Wir versuchen mit aller Kraft ein Triagieren in den Kliniken zu vermeiden. Triage findet aber nun in den Psychiatrien statt. Dort werden Kinder und Jugendliche, die dringend Hilfe bräuchten, abgewiesen, weil die Stationen überfüllt sind. 

Aber ist es nicht verständlich, dass in der ersten Panik Intensivbetten freigehalten werden mussten, da eine Überfüllung zum unmittelbaren Tod der Abgewiesenen führen würde? 

Ja, erst einmal schon. Doch auch psychische Erkrankungen haben ganz konkrete und sehr langfristige Auswirkungen. Menschen, die im Rahmen der Covid-Krise beziehungsweise der Maßnahmen zur Eindämmung von Sars-CoV-2 Depressionen, Essstörungen oder Suchterkrankungen entwickelt haben, werden mitunter Jahrzehnte darunter leiden und stationär behandelt werden müssen. Auch die Angst vor dem sozialen Abstieg oder die Einsamkeit kann so belastend sein, dass Menschen auf lange Sicht dadurch Lebensjahre verlieren, unter anderem, weil ihr Immunsystem durch Stress langfristig geschädigt wird. 

Aber man kann doch nicht aufwiegen, welche Lebensjahre mehr geschützt werden müssen, die von Jüngeren oder von Älteren.

Die wesentliche Frage ist doch die: Was schützt denn die Menschen, die besonders gefährdet sind? Das haben wir in den letzten 18 Monaten doch gelernt. Wer derzeit etwa durch Innsbruck geht, muss in den Geschäften keine Maske mehr tragen, und trotzdem halten einige noch Abstand oder tragen sie. Das respektiere ich, da wird mir signalisiert, pass auf, ich habe Angst vor einer Ansteckung oder möchte andere schützen. Ich bleibe dann auf Abstand zu diesen Menschen, ansonsten bewege ich mich aber frei unter meinesgleichen. Wir brauchen auf jeden Fall noch bessere Hygienekonzepte, besonders für Orte wie Altenheime oder Krankenhäuser. Aber wegen eines Virus, das besonders für eine klar identifizierte Gruppe schädlich ist, die ganze Gesellschaft zu isolieren und die Gesellschaftsstruktur zu beschädigen, finde ich bedenklich. 

Sie verweisen immer wieder auf die Adverse Childhood Experiences Study, um auf die Situation von Kindern und Jugendlichen aufmerksam zu machen. Was ist das für eine Studie? 

Ich beziehe mich da auf eine Studie von Vincent Felitti von 1998. Diese konnte zeigen, dass Traumatisierungen, wie gerade aufgezählt, aber auch traumatische Belastungen wie beispielsweise die Scheidung der Eltern in Summe zu einer kürzeren Lebenserwartung führen. Wenn mehr als sechs solcher Erfahrungen in den ersten 18 Lebensjahren stattfinden, verlieren Kinder im Schnitt 20 Jahre ihres Lebens. Das ist schon sehr dramatisch.  

Kinder und Jugendliche verlieren viele wichtige Möglichkeiten, Erfahrungen zu machen.

Gerade die Lebensjahre von Kindern und Jugendlichen sind sehr wichtig für ihre Entwicklung. Sie nehmen viel Neues wahr und lernen dadurch; ihr Immunsystem wird trainiert, und sie treten mit Menschen in Kontakt. Ständig mussten sie aber in der Corona-Pandemie nun Rücksicht nehmen. Doch wir sollten auch Rücksicht auf ihre noch unabgeschlossene Entwicklung nehmen. Das ist auch mein Verständnis des Generationenvertrags: Ich möchte mich dafür einsetzen, dass das normale Leben weitergehen kann. Und wenn ich selbst in einer viralen, pandemischen Situation bin und geschützt werden muss, dann ist es meine Verantwortung, das zu tun – und nicht die der Kinder und Jugendlichen. 

Also eine Aufforderung zur Eigenverantwortung? 

Das Problem in der Schulmedizin ist es ja, dass Menschen in die Klinik gehen, um sich reparieren zu lassen wie eine Maschine. Die Eigenverantwortung, die jemand jahrzehntelang schleifen ließ, indem er sich immer gestresst oder schlecht ernährt hat, die wird nicht mitgedacht. Das ist ein sehr passiver Zugang zur Gesundheit. 

Aber eine Überbetonung von Prävention kann auch negativ sein und schnell zu Schuldzuweisungen führen.

Das ist richtig. Ich rede auch nicht von Schuld, sondern von Verantwortung. Wenn Menschen zu mir in die Therapie kommen, stelle ich auch keine Kausalzusammenhänge zwischen bestimmtem Verhalten und ihrer Erkrankung her. Aber es ist wichtig, sich mit der eigenen Biographie und Lebensweise auseinanderzusetzen und chronischen Stress zu reduzieren. Wenn eine Person mit Lungenkrebs beispielsweise eine traumatische Vergangenheit hat und das Rauchen schon seit Jahrzehnten als Bewältigungsmöglichkeit verwendet, kann man ihr nicht einfach das Rauchen verbieten. Eher sollte man die Auseinandersetzung mit dem Trauma anregen, um der Erkrankung angemessener zu begegnen. Ärzte oder Psychologen können Menschen auf diesem Weg professionell begleiten. 

Was macht die Pandemie mit unserem gesellschaftlichen Miteinander, wenn wir ständig darauf bedacht sind, auf Abstand zu bleiben?                               

Die Beziehungslosigkeit ist nicht erst seit der Pandemie ein Charakteristikum unserer modernen Zeit. Beziehungen werden immer mehr in die sozialen Medien und technischen Verbindungen verlagert. Welche Konsequenzen das genau haben wird, werden wir sehen. In der Psychoneuroimmunologie spielen die soziale Interaktion, die soziale Unterstützung, die soziale Diversität, also dass man verschiedene Rollen im sozialen Kontext einnimmt, wichtige Rollen. Sie sind Lebenselixiere für die Gesundheit. Konfliktbehaftetes Miteinander belastet die Beziehungen und auch die Gesundheit. Ich habe Sorge, dass sich das durch die Pandemie verstärken wird. 

Viele blicken nun besorgt auf den Herbst und die neuen Virusvarianten. Könnten wir uns einen abermaligen Lockdown leisten?  

Also aus gesundheitlichen Aspekten heraus können wir uns gar nichts mehr leisten. Ich kritisiere die Maßnahmen schon von Beginn an. Auch wenn es anfangs aus medizinischer Sicht heraus der richtige Weg war, hätten wir schneller lernen sollen. Die Kollateralschäden sind jetzt schon immens, doch eine Veränderung der Strategie ist nicht in Aussicht – ganz im Gegenteil. Die Bekämpfung des Virus ist ganz im Sinne des mechanistischen Menschenbilds und richtet sich allein auf die technischen Aspekte aus. Impfungen sind nun das Allerheilsmittel, und wenn sich jetzt herausstellt, dass es eben doch zu Durchbrucherkrankungen kommen kann, dann weiß die Medizin wieder nicht weiter, impft ein drittes oder viertes Mal und empfiehlt die Impfung der Kinder gegen Sars-CoV-2. Da Kinder selbst aber keinen Nutzen von den Impfungen haben, weil sie kaum erkranken und der derzeit verfügbare Impfstoff gegen Sars-CoV-2 nicht auf mögliche Langzeitnebenwirkungen geprüft wurde, stellt die jetzt drohende Impfpflicht der Kinder eine staatlich verordnete Körperverletzung der Kinder dar – und die Medizin macht sich wieder einmal zum Schergen eines für menschliche Aspekte blinden Systems. 

Die Fragen stellte Alissa Kim Neu.

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