Gerhard Strate zum Fall Claas Relotius - „Das Erzählen von fiktiven Geschichten ist nicht strafbar“

Der Betrugsfall Claas Relotius beschäftigt die ganze Medienbranche. Aber wie ist dieses Verhalten rechtlich einzuordnen? Der bekannte deutsche Strafverteidiger Gerhard Strate gibt Antworten

Motto von „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein im Hamburger Verlagsgebäude / picture alliance
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Herr Strate, Sie haben als Rechtsanwalt immer wieder mit den Folgen medialer Berichterstattung zu tun gehabt. Haben Sie schon einmal einen ähnlichen Fall wie den von Claas Relotius erlebt?
Die Wucht, mit der diese Geschichte den Spiegel trifft, ist sicher vergleichbar mit dem Ankauf der gefälschten Hitlertagebücher und deren Präsentation 1983 im Stern. Es gibt dabei aber einen wesentlichen Unterschied. Damals zahlte der Verlag Gruner & Jahr viele Millionen dafür, Tagebücher zu erwerben, die tatsächlich Hitler zum Verfasser haben sollten. Das war ein echter Betrug im strafrechtlichen Sinne.

Was ist noch anders beim Betrug von Claas Relotius?
Die Geschichten, die Claas Relotius erzählte, kamen immer schon als Geschichten daher, gefällig und anrührend erzählt. Häufig im Anschluss an die Spiegel-Rubrik „Eine Meldung und ihre Geschichte“, deren Authentizität ebenfalls keine noch so aufmerksame Dokumentation zu überprüfen vermochte. Die „Studentin Lili“, die in Freiburg im Baum lebt, oder der Schüler Dane Best, der in der Kleinstadt Severance in Colorado lebt und verbotenerweise mit Schneebällen wirft, wurden wahrscheinlich auch nie von der Dokumentation dazu befragt. Ein Betrug – nicht im strafrechtlichen, sondern nur im landläufigen Sinne – wird daraus allein dann, wenn der Leser alles für bare Münze nimmt. Also den Spiegel an seinem eigenen Kundenprofil misst, nämlich stets der Wahrheit verpflichtet zu sein.

Der Spiegel hat bislang gegen Claas Relotius keine Strafanzeige erstattet, behält sich dies aber vor. Nach Ihrem Kenntnisstand im Fall: Inwiefern ist das Verhalten von Claas Relotius strafrechtlich relevant?
Ich kann an dem Verhalten von Claas Relotius nichts Strafbares erkennen. Das Erzählen von fiktiven Geschichten ist nicht strafbar. Jeder kann jeden anlügen. Von dieser Regel gibt es nur einige wenige gesetzliche Ausnahmen. Der Pressekodex, der in Ziffer 1 Journalisten zur Wahrhaftigkeit anmahnt, ist kein Gesetz.

Auch Schadensersatzforderungen möchte der Spiegel prüfen. Relotius hat erst als Freier Mitarbeiter und dann als Redakteur für den Spiegel gearbeitet. Inwiefern ist so ein Schaden überhaupt ermittelbar und inwiefern wäre ein Mitarbeiter dafür haftbar zu machen?
Auch wenn die Erzählung fiktiver Geschichten kein Betrug im strafrechtlichen Sinne ist, so handelt es sich doch – gemessen an den generellen Anforderungen, wie sie im Pressekodex niedergelegt sind – um eine Schlechtleistung. Daraus eine Schadensersatzpflicht herzuleiten, wird für den Verlag des Spiegel schwierig werden. Nach deutschem Zivilrecht wird nur dann ein Schaden anerkannt, wenn er durch die Schlechtleistung „adäquat kausal“ herbeigeführt ist. Diesen Nachweis zu führen, dürfte schwierig werden.

 

Gerhard Strate

Gerhard Strate ist seit bald 40 Jahren als Rechtsanwalt tätig und gilt als einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger. Er vertrat unter anderem Monika Böttcher, resp. Monika Weimar und Gustel Mollath vor Gericht. Er publiziert in juristischen Fachmedien und ist seit 2007 Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Für sein wissenschaftliches und didaktisches Engagement wurde er 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.

 

 

 

 

 

 

Anmerkung der Redaktion: Auch für Cicero hat der Reporter zwischen 2012 und 2016 gelegentlich als freier Autor geschrieben. Es handelt sich hierbei vor allem um Auslandsreportagen und Interviews. Es gab in jener Zeit nie Rückmeldungen von Interviewpartnern und Protagonisten, die einen Betrugsverdacht aufkommen ließen. Gerade bei Reportagen liegt in der Natur der Sache, dass eine Überprüfung von Szenen zumindest jenseits von Plausibilität kaum möglich ist.

Die Redaktion hat sich umgehend mit Claas Relotius in Verbindung gesetzt, um ihn aufzufordern, zu erklären, ob und wenn ja in welchen Cicero-Texten er möglicherweise manipuliert hat. Relotius hat sich bislang nicht zurückgemeldet.

Cicero hat nun einen Mitarbeiter damit beauftragt, zu den jeweils erschienen Texten zu recherchieren und diese zu verfizieren.Sollten Sie oder betroffene Protagonisten und Interviewpartner außerdem sachdienliche Hinweise zu einzelnen Texten haben, bitten wir darum, uns diese an redaktion@cicero.de zukommen zu lassen.

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