Cicero im November - Beethovens digitale Zehnte

Unerhört! Der Komponist Walter Werzowa wagt es, anlässlich des 250. Geburtstags von Ludwig van Beethoven seine Zehnte Sinfonie mithilfe von Algorithmen zu rekonstruieren. In der November-Ausgabe ergründen wir, warum der Meister davon wohl höchst angetan wäre.

Der unsterbliche Titan Beethoven / Olaf Hajek
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Aus den Bruchstücken von ein paar Notizen eine ganze Sinfonie zu rekonstruieren – grenzt das bei einem, der sich selbst als „Gott aus der Musik“ bezeichnete, nicht an Blasphemie? Der Komponist Walter Werzowa wagt es mit einem Team aus Musikologen und mit der Hilfe von künstlicher Intelligenz, die Zehnte Sinfonie Ludwig van Beethovens zu dessen 250. Geburtstag 
zum Leben zu erwecken. 

Die Beethoven-Biografin (und Pianistin) Christine Eichel hat sich mit Werzowa über dieses unerhörte und unerschrockene Projekt im Jubiläumsjahr unterhalten. Was passiert, wenn Wissenschaft und Kunst, wenn Algorithmen und die Kreativität eines Genies fusionieren? Oder anders gefragt: Kann göttliche Schaffenskraft auch am Computer entstehen, die Zehnte Sinfonie also aus ein wenig Genmaterial in der digitalen Petrischale erwachsen? Wir dürfen uns den Computer nicht länger als stoischen Reproduzenten vorstellen, er verharrt nicht mehr in stupider Nachahmung, sondern erschafft Neues und überwindet also die Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst.

Noch können wir uns vom Ergebnis kein eigenes Hörbild machen. Die Erzählungen des Herrn Werzowa über eine Arbeit bis an die Grenzen der eigenen Kräfte und darüber hinaus klingen aber vielversprechend und künden von einem Arbeitsfuror, den auch Beethoven selbst bis hin zum Raubbau an seiner Physis an den Tag gelegt hat. 

Digitale Zugabe zum 250. Geburtstag

Persönlich würde ich mich in der Sparte der klassischen Musik eher als hochinteressierten Laien verstehen. Aber dass Beethoven, wie sonst allenfalls noch Johann Sebastian Bach, musikalisch weit über die Grenzen seiner Zeit und seines Genres Einfluss nahm, das vermag selbst ich zu erkennen. Ohne Beethoven kein Ritchie Blackmore, ohne dessen Fünfte kein „Smoke On The Water“. Nur so als Beispiel. 

Beethoven, so schreibt Christine Eichel in ihrem Essay zum Interview, wäre heute ein ebensolches Enfant terrible wie seinerzeit – und würde auch in der Moderne das Establishment vor den Kopf stoßen, wie es Rockstars mitunter tun. So, wie wir heute einen Epochenbruch erleben, so lebte auch Beethoven auf dem Scheitelpunkt eines Epochenbruchs von Französischer Revolution und kaiserlich-konservativem Wien, in dem er wirkte. 

Zu seinem 250. Geburtstag spielt uns Beethoven nun posthum eine digitale Zugabe. Revoluzzer, der er war, hätte ihm das bestimmt gefallen.

Diesen Text finden Sie in der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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