Bob Dylan - Seismograf der Jugendrevolution

Bob Dylan hat mit seiner Musik etwas ganz Neues in die Welt gebracht. Dass ausgerechnet er den Literaturnobelpreis erhält, ist ein mutiges Zeichen der Schwedischen Akademie. Gesungene Worte gelten heute genauso viel wie Gedrucktes

Bob Dylan – ein Popstar, der nie einer sein wollte / picture alliance
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Autoreninfo

Christoph Stölzl ist Historiker. Für die Bundesregierung leitete Stölzl in den neunziger Jahren die Neuschaffung der zeitgeschichtlichen Gedenkstätten „ Deutsch-russisches Museum Berlin-Karlshorst“ und „Alliiertenmuseum“. Er ist Präsident der Musikhochschule Franz Liszt.

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Alle Welt freut sich, auch ich: „The Times, They Are A Changin!“ Die Zeiten ändern sich so sehr, dass sogar die ehrwürdige Schwedische Akademie zur Kenntnis genommen hat, dass es Sprachkunstwerke gibt, die nicht in Form kleiner schwarzer Buchstaben zwischen Buchdeckeln in die Welt kommen, sondern als gesungene Worte.

Eigentlich ist das keine so neue Erkenntnis: Der blinde Homer sang die Odyssee, die Tragödien des Aischylos waren Lieder und Chöre, nicht anders die nordischen Sagas und erst recht der provenzalische Minnegesang. Dass in den USA, dem großen Melting Pot der Weltkulturen, im 20. Jahrhundert nicht der Roman, das Großformat der europäischen Literatur, zu höchster Blüte reifte, sondern auch die Kleinform der „Gebrauchslyrik“ (das Wort stammt von Erich Kästner) – wen wundert es? Im ästhetischen Treibhaus Migrationsgesellschaft wanderten lyrische Formeln, Sätze und Songs von Mund zu Mund, alles war Anverwandlung, jede Mixtur war erlaubt, wenn sie nur ein Echo fand.

Lakonische Lyrik über existenzielle Fragen

So hat der Enkel russisch-jüdischer Einwanderer aus Odessa, Robert Zimmermann, den kulturellen Kairos, also den Gott der günstigen Gelegenheit, der frühen sechziger Jahre am Schopf gepackt und etwas ganz Neues in die Welt gebracht: Zu weißen Folksongs und schwarzem Blues fügte er eine lakonische Lyrik, die um existenzielle Fragen kreiste: „The answer, my friend, is blowin the wind.“ Und seismografisch genau brachte Dylan das Erdbeben der zeitgenössischen Jugendrevolution auf den Punkt.

Das fiel, als kratziger Sprechgesang, mal geheimnisvoll metaphernreich aus, mal ging es um das ewige Thema der misslungenen Liebe und die Frage, ob Männer und Frauen jemals zusammenpassen könnten. Nein, natürlich nicht, darum „Don‘t Think Twice, It‘s Alright“. Unvergessen, wie mir im Sommer 1964 ein amerikanischer Gaststudent auf einer Bank hinter der Uni das Fingerpicking zu diesem Song auf der Gitarre beibrachte! Ich kann das Lied immer noch auswendig, und es rührt genau wie damals ans Herz.

Was ist Genie in der Pop-Kultur? Aus vertrauten, und darum populären Formeln eine Mixtur zu mischen und Melodien und poetische Appelle zu erfinden, die auf der ganzen Welt verstanden und erinnert werden.

Kommerziellen Zwängen entzog er sich

Bob Dylan: Den Künstlernahmen borgte sich Robert Zimmermann von dem walisischen Dichter Dylan Thomas, einer genialischen Kultfigur der frühen sechziger, der 1953 alkoholzerrüttet just in jenem Chelsea Hotel in Manhattan gestorben war, das später auch Bob Dylan als New Yorker Adresse diente. Dylan machte blitzschnell, gleich nach seinem ersten Auftauchen im Greenwich Village eine Pop-Karriere. Aber dem Zwang zur Marke, zum Liefern des Ewig-Ähnlichen für den Markt, entzog er sich ziemlich schnell: In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.

Mit dem Preis für den schon zu Lebzeiten unsterblichen Amerikaner machen die Nobel-Leute ein wenig von ihrer Sünde wett, wider das bessere Wissen der Literaturkritik beider Hemisphären den anderen Titan der amerikanischen Literatur, John Updike, beim Preis konsequent übergangen zu haben – aus keinem anderen Grund als dessen unverleugnetem US-Patriotismus.

Bleibt die bange Frage, ob Bob Dylan bereit ist, den Frack anzuziehen, denn der ist für alle Mitwirkenden der Nobelpreis-Zeremonien obligatorisch. Der Barde kann es sich aber bis zuletzt offenhalten. Dem Vernehmen nach führen die Stockholmer Warenhäuser neben den Bluejeans den Frack stets als Massenware, weil das schwedische Abitur traditionell immer noch im Frack gefeiert wird. „The Times They Are A Changing“ in Stockholm – aber nicht zu viel!

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