Bischof Marx und der Streit ums Kreuz - So schafft Kirche sich ab

Der bayerische Staat will Kreuze in öffentlichen Gebäuden vorschreiben. Ausgerechnet Bischof Reinhard Marx begehrt dagegen auf. Offenbar hat er seine Stellenbeschreibung nicht gelesen. Der Münchner Kardinal arbeitet an einem Christentum ohne Bekenntnis. Ein solches kann es aber nicht geben

Reinhard Marx: ein Bischof mit Kreuzallergie? / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Bayern ist anders. In Deutschland lehnt eine klare Mehrheit von 64 Prozent den für Bayern gedachten Kreuz-Erlass der Münchner Staatsregierung ab. Bekanntlich sollen ab 1. Juni nicht nur in Gerichten und Schulen, sondern auch in den Eingangsbereichen bayrischer Behörden Kreuze hängen. Die Bayern und Bayerinnen begrüßen den Schritt mit 56 Prozent Zustimmung. Bayern ist insofern anders, als die Regierenden zuweilen noch ein Gespür haben für die berühmten „Befindlichkeiten im Volk“.

Dem Bischof von München und Freising, Reinhard Marx, kann man dieses Gespür nicht nachrühmen. Er zählt zu den frühesten Kritikern der Initiative von Ministerpräsident Markus Söder: Durch den Kreuz-Beschluss sei „Spaltung entstanden, Unruhe, Gegeneinander, (…) bis in die Familien und Pfarreien hinein.“ Wer meint, es bedürfe politischer Beschlüsse, um Familien und Pfarreien zu spalten, der kennt freilich weder die einen noch die anderen. Handelte es sich bei solcher Verkennung bloß um innerbayerisches Fingerhakeln zwischen einem katholischen und einem protestantischen Mannsbild, wäre der Schlagabtausch nicht der Rede wert. Da Marx jedoch zugleich Versammlungsleiter der Deutschen Bischofskonferenz ist, steht der Trend zur ekklesialen Kreuzabnahme in einem helleren Licht, als es eine persönliche Kreuzallergie verdiente.

Ein Bischof für ein Christentum ohne Bekenntnis

Bekanntlich will derselbe Bischof Marx, der nun befürchtet, das Kreuz werde auf dem Einwohnermeldeamt von Bad Tölz „im Namen des Staates enteignet“, derselbe Marx, der jetzt im christlichen Kreuz um keinen Preis der Welt nur ein „kulturelles Symbol“ sehen will und der darum dekretiert, „wer ein Kreuz aufhängt, muss sich an diesen Maßstäben messen lassen“ – bekanntlich will ebendieser Reinhard Marx sich an diesen Maßstäben nicht messen lassen. Warum sonst tat er Ende 2016 auf dem Jerusalemer Tempelberg sein eigenes Kreuz ab und machte sich so lieb Kind beim muslimischen Gastgeber? Warum sonst zeigen bereits Fotos vom Willkommenssommer 2015 ihn ohne Kreuz, wie er auf dem Münchner Bahnhof mehrheitlich muslimische Migranten begrüßt? Der Jesuit Karl Rahner entdeckte einst ein „anonymes Christentum“. Reinhard Marx arbeitet am „Christentum ohne Bekenntnis“.

Nimmt man Marx in seinen wetterwendischen Selbsterklärungen ernst – manche Stimmen sagen, das wäre schon immer ein Fehler gewesen –, dann stört das Kreuz da, wo es Anstoß erregt: auf dem Amt, in der muslimischen Welt, in multireligiösen Großstädten. Christentum wird von einem hochdotierten Kirchenfunktionär auf jene Schrumpfgestalt verwiesen, die Laizisten ihm zubilligen: den privaten Herrgottswinkel, den Gottesdienst, die Prozession im homogenen Milieu. Überall sonst, draußen in der Welt, muss die Kirche reden, wie Marx gerne redet: politisch. Das Herz ging ihm frisch über, als er Namensvetter Karl loben konnte für dessen inspirierende „Analyse und Kritik des Kapitalismus“, justament, nachdem den Bischof die Krux mit dem Kreuz so arg verstimmt hatte. Hab Dank, Karl Marx.

Der Kompass stimmt nicht

Global betrachtet, liegt in der Komplettumkehrung der Maßstäbe die wahre Spaltung, nicht im verfassungsrechtlich durchaus diskussionswürdigen Kreuz-Erlass. Was bleibt von einem Bischof, der sich wie Marx (oder wie Würzburgs designierter Bischof Franz Jung) mehr um die Überpräsenz des Kreuzes sorgt als um dessen Verschwinden aus der Öffentlichkeit? Was von einem Bischof, der die eigene Religion nur als Problem wahrnimmt? Eine Kostenstelle. Auch darum schämt sich die päpstliche Stimme in Österreich, Vatikanbotschafter Peter Zurbriggen, öffentlich für Marx und dessen deutsche Kollegen, die lieber nicht zu viele Kreuze sehen wollen: „Das ist eine Schande!“  Die einen nennen es eine Schande, die anderen – um den Lieblingsbegriff von Reinhard Marx zu zitieren – einen Aufbruch. Es wird gerade ungemein viel auf- und abgebrochen in deutschen Landen. Da mag mancher Kirchenmann nicht zurückstehen und eigene Grundüberzeugungen dem freien Spiel der Kräfte aussetzen. So viel Markt muss auch bei Kapitalismuskritikern wie Marx und Marx sein. Immer rarer wird jene gelehrte Gelassenheit, wie sie ein Wiener Bibelwissenschaftler an den Tag legt: „Die Eingrenzung unrechtmäßiger Gewalt durch rechtmäßige Gewalt gehört nach Auskunft der Bibel zu den normativen Grundlagen eines Rechtsstaates“.

Warum sollte sich der bayerische Rechtsstaat nicht symbolisch dazu bekennen? Verneint darf diese Frage jederzeit von jedermann werden, doch wenn Prälaten, Theologen, Kirchenfunktionäre das Banner der Laizität am stolzesten tragen, wenn sie am lautesten mitrufen im Chor der Kreuzallergiker und Religionsskeptiker, dann stimmt ihr Kompass nicht. Dann sind die Kategorien in schlimmer Verwirrung. Dann schafft Kirche sich ab. 

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