Bildungspolitik - Die Bildung ist wieder der Dumme

Egal, welche Parteien sich am Ende zu einer Regierung zusammenfinden, eines lässt sich schon jetzt voraussagen: Mit der Bildung wird es weiter bergab gehen. Denn die Politik behandelt das Thema lustlos und veränderungsresistent. Darunter leiden vor allem Kinder von ärmeren Eltern

Was die Bildung in Deutschland braucht: Respekt vor Lehrern und Schülern und das Ende unausgegorener Reformen / picture alliance
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Autoreninfo

Ernst Elitz ist Autor und Journalist. Bis 2009 war er erster Intendant des Deutschlandradios. Von 1969 bis 1974 war er Redakteur für Bildungspolitik beim „Spiegel“

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Unter all den Plakaten, mit denen im Wahlkampf für das Thema Bildung geworben wurde, stach eins hervor. Es war das wahrhaftigste von allen: „Bildung darf nichts kosten. Nur etwas Anstrengung.“ Es war dieses „etwas“ auf dem SPD-Plakat, das die ganze Misere der deutschen Bildungsdebatte in fünf Buchstaben zusammenfasste: Strampelt Euch nicht ab. Wird schon klappen. Wenn nicht, ist auch nicht so schlimm. Nach dieser Devise, mit der man es beim Fußball nicht mal in die Kreisklasse schafft, wird keine Partei Deutschlands Bildungssystem an die „Weltspitze“ katapultieren. Das Land ist in einem Zustand, wie ihn vor einem halben Jahrhundert der Philosoph Georg Picht in seinem Bestseller „Die deutsche Bildungskatastrophe“ beschrieb. Lustlos und veränderungsresistent. Doch an wohlfeilen Versprechen mangelt es nicht.

Nur Worte, keine Taten

Wäre Politik ein Ausbildungsberuf mit Lehrbefähigung, könnten die Absolventen ihr Diplom im Fach „Phrasenkunde“ erwerben. Tönende Worte wie „Bildungsoffensive“, „weltbeste Bildung“ , „Nummer 1 in Europa“ gehen den Politikern so leicht über die Lippen wie dem Lehrer das erlösende Wort: „Jetzt ist Pause!“ Um auch nur eins dieser Ziele halbwegs zu erreichen, bedürfte es Tausender qualifizierter Lehrer. Doch die gibt es nicht. Zwar legt ein Blick auf die Geburtenzahlen eines Jahrgangs nahe, dass sechs Jahre später für exakt diese Zahl an Kindern eine entsprechende Ausstattung an Schulplätzen samt Lehrern bereitstehen müsste. Aber Mathematik gehört nicht zu den Fähigkeiten, mit denen man als Bildungspolitiker reüssiert.

Nachdem jahrzehntelang mit härtesten Bandagen für die Verwissenschaftlichung der Grundschullehrerausbildung gekämpft wurde, ist der aktuelle Hit zum Ausgleich des politisch verschuldeten Lehrermangels der „Quereinsteiger“, der irgendwas studiert hat, nur nicht Pädagogik. 

Die Bildungspolitik hat sich als ernst zu nehmendes Politikfeld längst desavouiert. Auch die Zentralisierung von Bildungskompetenzen in einem Bundesministerium wäre keine Lösung. Ohnehin wehren die konservativ regierten Länder sich mit Händen und Füßen, in einem nationalen Bildungseinheitsbrei auf das Niveau von Hamburg, Bremen und Berlin herunter gekocht zu werden.

Es geht nicht um eine neue Organisation, sondern um eine vollständig neue Haltung, die auf der Erkenntnis beruht, dass Bildung, wenn sie erfolgreich sein will, Fleiß und vollen Einsatz, ständiges Üben und Disziplin erfordert – und dass jedes „nur etwas“ dabei tödlich ist. Es geht um Respekt vor Lehrern und Schülern und um ein Ende unausgegorener Reformen, die Lehrer und Schüler wie Laborratten in Experimente treiben wie G8 versus G9, Mengenlehre, Schreiben nach Gehör (und jeweiligem Dialekt) und diversen Schreibschriften je nach Laune.

Digitalisierung allein ist keine Lösung

Auch ein paar Milliarden mehr für die Digitalisierung retten die Schulen nicht. Sie kaschieren nur deren Drangsalierung durch Projekte, mit denen Politiker sich als Menschheitsbeglücker inszenieren: Inklusion von Behinderten – ohne entsprechendes Fachpersonal. Ganztagsschulen ohne Räumlichkeiten und zusätzliche Erzieher- und Pädagogenstellen. Lehrer werden zur Verfügungsmasse für politische Profilierungsaktionen und haben den schwarzen Peter, wenn es nicht klappt. Ein Wort der Entschuldigung kommt den arroganten Bildungspolitikern nicht über die Lippen.

Es fehlt an einer Haltung der Bildungspolitik, die die Leistung des anderen achtet, die auf den Schatz seiner Erfahrungen setzt und ihn nicht verheizt. Eine Bildungspolitik, die die Kinder in verwahrloste Gebäude mit versifften Toiletten presst, macht die Verwahrlosung zum staatlich verordneten Erlebnisprogramm. Wer so handelt achtet die Kinder nicht.

Wie soll die junge Generation da lernen, den Staat zu achten? Eine Bildungspolitik, die ihr Versagen offen zur Schau stellt, treibt die Spaltung der Gesellschaft voran – Privatschulen für die Eliten, und für den Rest staatliche Grundversorgung mit gefrusteten Pädagogen. Dass diese Spaltung schon zum Mainstream geworden ist, beweisen Beglückungspolitiker wie die mecklenburgische Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die ihr Kind lieber auf die nächste Privatschule schickt, als in einen pädagogischen Staatsbetrieb. Sie ist nicht die erste, die – wenn es um die eigene Familie geht – das Parteiprogramm in die Tonne tritt.

Die verheerende Konterrevolution

Die fortschreitende Spaltung des Schulsystems in oben und unten ist die Konterrevolution in einem demokratischen Bildungssystem.Sie ist ein schwerer Schaden für das Kind aus der Migrantenfamilie, Pech für das Kind von Hartz-IV, Pech für das Arbeiterkind, das in einem Zweiklassen-Schulsystem um seine besten Chancen gebracht wird. In seinem Bestseller hatte Georg  Picht in den sechziger Jahren vorgerechnet, wie Deutschland seine Zukunft verspielt, wenn es nicht zu einem bildungspolitischen Neustart bereit ist.

Damals war die Gesellschaft nach der lähmenden Adenauer-Zeit schließlich doch zum Umbruch bereit. Damals wurde die Botschaft gehört. Heute treibt die Bildungspolitik im Modus des „Weiter so“ vor sich hin. Doch nur mit einer neuen Haltung von Verlässlichkeit, Respekt und einem Bekenntnis zur Leistung wird sich das Steuer noch herumreißen lassen. 

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