Berliner Architektur - Außen Baracke, innen Shopping-Mall

Neuer Tiefpunkt der Hauptstadt-Architektur ist der Siegerentwurf für das Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum. Dort findet das wiedervereinigte Duckmäusertum nun exemplarische Verwirklichung

Museum oder Schweizer Käsehütte? / Herzog & de Meuron Basel Ltd. Mit Vogt Landschaftsarchitekten AG, Zürich/Berlin
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Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Nun steht er fest, der neue Entwurf für das Museum der Moderne am Berliner Kulturforum. Und wer hätte es gedacht, im Herzen Berlins, zwischen Philharmonie und Neuer Nationalgalerie wird eine weihnachtlich leuchtende Lagerhalle gebaut.

Wird die Demokratie zu kompliziert, braucht es einfache Lösungen. In Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ bleibt der kleinste gemeinsame Nenner der Krieg. In der Finanzkrise rief die Kanzlerin ganz banal: „Auto“ und erfand die Abwrackprämie. Und nach jahrelangem Ringen um den kompliziertesten Platz Berlins kommt die Jury schließlich beglückt auf die Idee, eine Lagerhalle zu bauen.

Zeichen der Ratlosigkeit

„Scheune“ wird der geplante Siegerentwurf des Architekturbüros Herzog & de Meuron bereits im Journalistenjargon genannt. Ein wenig Bauernromantik, ein wenig Reiterhofgeruch schaden nicht, um den Blick auf ein Gebäude zu verklären, das wie ein Riegel an der immerhin noch leicht geschwungenen Potsdamer Straße liegen wird.

In den Innenräumen ist ein Kreuzweg geplant, der das Gebäude in vier Quadranten aufteilt. Während die Philharmonie fünfeckig denkt, wird hier architektonisch vier Mal im Quadrat gedacht. Ein großzügiges Foyer mit Shoppingmall-Atmosphäre soll das Publikum zum Flanieren auf den Kunstkreuzweg locken. Außen Baracke, innen Mall – als Signal für die allgemeine Ratlosigkeit der Architektur und Politik unserer Zeit? Die einzige Beruhigung – abends soll die prämierte Ratlosigkeit weihnachtlich warm erstrahlen.

463 Einreichungen hat es gegeben. Der Schwierigkeitsgrad war hoch. Die Ausgangssituation historisch kompliziert. Den Juryvorsitz hatte der emeritierte Stuttgarter Professor Arno Lederer. In allen Entwürfen ging es darum, die Sichtbeziehungen zwischen der Philharmonie und der Neuen Nationalgalerie zu bewahren. Fragt sich jedoch, welche Sichtbeziehungen noch sichtbar sind, wenn das gesamte Areal hinter dieser gigantomanischen Backsteinbaracke versinkt.

Das deutsche Duckmäusertum

„Gekürt wurden die Respektlosigkeit, der Mut zum Archetypus – und der cleverste Entwurf“, hieß es in der Welt. Ein „(…) großer Wurf, den man als frech, als unverschämt, als unangemessen respektlos empfinden kann (…) und in dieser Zeit den Geist von Berlin genau trifft.“ Kurz gesagt: Flachbau mit Satteldach. Schließlich wird die Lagerhalle als überdimensionale „Urhütte“ bezeichnet, die sich im Grunde genommen wegduckt, nicht da sein will. Das trifft den Kern. Da ist es wieder, das deutsche Duckmäusertum.

Ein Gebäude, das sich wegduckt, entspricht punktgenau der Stimmung, die seit Jahren an deutschen Kulturinstitutionen herrscht. Sparprogramme haben landesweit Millionen Duckmäuse herangezüchtet, über die es nachzudenken lohnt.

Im Museum der Moderne findet das wiedervereinigte Duckmäusertum nun  exemplarische Verwirklichung. Und was zeichnet die Duckmaus stärker aus, als der Hang zum Größenwahn, zur teuren Halle? Wieder einmal schlägt die chronische Vorsicht, die in deutschen Kulturinstitutionen gepflegt wird, in einen Entschluss zur radikalen Rücksichtslosigkeit um.

Niemand will anecken

Wer kann da noch über Pegida erstaunt sein? Duckmäusertum und Vorsicht erzeugen eine passiv-aggressive Stimmung im Land, die sich an bestimmten Ventilen die Bahn bricht. Das sind sie, die Deutschen. Vorsichtige Duckmäuser, die, wenn die Autobahn frei wird, in extreme Rücksichtslosigkeit kippen.

Als genial wird diese neue Rücksichtslosigkeit bezeichnet. Die leuchtende Lagerhalle wird wie eine Erlösung gefeiert. Von einem „großen Baugedanken“, spricht der Tagesspiegel. Und selbst die Architekturkollegen halten sich bedeckt. Niemand will bei einem Büro wie Herzog & de Meuron anecken. Hauptstadt-Duckmäusertum auf höchster Ebene. Und für besonders hungrige Duckmäuse haben Herzog & de Meuron im gelben Backsteinkörper sogar ausreichend transparente Schweizer Käselöcher in der Fassade gelassen!

Ein weiterer Schachzug des Büros ist die Aussage, dass der Wettbewerbsentwurf nicht fertig sei. Damit macht sich Herzog & de Meuron im Endeffekt unangreifbar. Selbst wenn Bauen ein Prozess bleibt, sollte ein Entwurf bei Einreichung zumindest gedanklich gereift, greifbar und damit auch angreifbar sein.

Tarnkappenlagerhallenarchitektur

Zusätzlich wird diese Tarnkappenlagerhallenarchitektur durch andere gelungene Starprojekte unangreifbar gemacht: Elbphilharmonie, Anbau der Tate Modern. Doch was bringen diese starken Entwürfe der Stadt Berlin, wenn etablierte Büros für alle Städte der Welt inspirierte Ideen haben – nur nicht für Berlin? Wenn die Architektur in Berlin stets archetypisch bis faschistisch, kastenförmig mit Satteldach bis schießschartenkonform ausfällt?

Die ganze Welt blicke auf dieses Bauvorhaben, ließ Monika Grütters verlauten. Im Größenrausch den kleinsten gemeinsamen Nenner eines Kastens mit Satteldach zu finden – das muss man erst einmal hinbekommen. Im Schnee wird die Schweizer Käsehütte heimatlich aussehen. Man sollte wieder Blockflöte spielen lernen. Das entspricht genau der neusten politischen Linie der Bundeskanzlerin. Neue deutsche Innerlichkeit kann jetzt in vier Quadranten gefeiert werden.

Deutschland steht wieder einmal vor einem Wintermärchen. Nur liegt der verschluckte Stock, über den sich bereits Heine mokierte, hier nun als preisgekrönter Riegel im Herzen der Stadt. In der allergrößten Not, falls die Kosten sich, wie bei der Elbphilharmonie, verzehnfachen sollten, kann immer noch REWE oder Edeka einziehen. Gedanklich würde es passen.

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