Berlin - Husky City

In Berlin ist die Husky-Mode ausgebrochen, Hipstern dienen die Schlittenhunde zunehmend als Statussymbol. Das wird den Tieren kaum gerecht. Immerhin mit Kälte, in emotionaler und politischer Hinsicht, kennt man sich in der Hauptstadt aber aus. Von Sabine Bergk

picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

So erreichen Sie Sabine Bergk:

Anzeige

Eisblaue Augen, dichtes Fell, arktische Flanken. Huskys sind schöne Tiere. Ihre sibirische Gestalt strahlt Ausdauer aus. Den Nomadenvölkern im nördlichen Polarkreis sind Huskys treue Begleiter. Sie können das Neunfache ihres Körpergewichts ziehen und, eingerollt unter der luftwärmenden Rute, eine Nacht unter der Schneedecke verbringen. Was aber machen Huskys mitten in Berlin? 

Im Berliner Bezirk Mitte sind immer mehr Spaziergänger mit Huskys an der Schnappleine zu beobachten. Wer einen Husky hat, zeigt, dass er einen Sinn für Schönheit und Statur besitzt. Besonders die Augen verlocken dazu, sich einen Husky anzuschaffen. Ästhetische Bedürfnisse verhelfen dem Tier jedoch nicht zu einem guten Leben. 

Nichts für frischluftfeindliche Computerfreaks

Huskys brauchen drei Dinge, um glücklich zu sein: Bewegung, sozialen Kontakt und Führung. Mit einer kurzen Kiezrunde an der Schnappleine ist es nicht getan. Wer sich einen Husky anschafft, hat am besten gleich den Wald vor der Tür. Dieser Hund muss laufen, laufen, laufen. Er ist nichts für frischluftfeindliche Computerfreaks. Auch das Singleleben eignet sich nicht für einen Husky. Für eine artgerechte Tierhaltung schafft man sich lieber gleich zwei Tiere an. Am schlimmsten aber ist es für einen Husky, in einem Single-Haushalt zu leben und tagsüber auch noch allein gelassen zu werden. Zu der Einzeltierhaltung addiert sich eine permanente geistige Abwesenheit des Herrchens (oder Frauchens). Der Spaziergang mit dem Hund verkommt nicht selten zum Handyspaziergang. Permanente Geistesabwesenheit führt jedoch dazu, dass das Herrchen dem Hund irgendwann ebenso schnuppe ist, wie der Hund dem Herrchen. Einsamkeit, wenig Bewegung und eine mangelnde Führung lassen den grundsätzlich gutmütigen Husky ins Destruktive kippen. Er wird, da er ein besonders kräftiges Tier ist, auch besonders aggressiv. 

Die morgendliche Begegnung mit einem Schnappleinen-Husky kann zur Zitterpartie werden. Wer durch den Bezirk Berlin Mitte spaziert, muss die richtige Uhrzeit wählen, um nicht gefressen zu werden. Da Husky-Besitzer eher Spätaufsteher sind, bestehen für Frühaufsteher grundsätzlich höhere Überlebenschancen. Dennoch kann es zu Konfrontationen kommen. Glück gehabt, wenn das Husky-Herrchen nicht ins Handy verwickelt war. Manchmal zählen Sekunden.

Dabei haben Huskys grundsätzlich eine positive Wesensart. Sie sind familienfreundlich, kinderfreundlich und sogar einbrecherfreundlich. Gerne werden sie als Therapiehunde eingesetzt. Als Statussymbole für Hipster sind sie nicht geeignet – außer, sie helfen dabei, Hipster zu therapieren. 

Antwort auf Berliner Kälte

Nicht nur die Mode, auch die innere Kälte könnte ein Grund für die Anschaffung eines Huskys sein. Berlin war noch nie eine warmherzige Stadt. Die Menschen verrohen, wenn sie sich länger in der Mietskasernen-Metropole aufhalten. Das beste Überlebensrezept in dieser Stadt ist und bleibt immer noch ein Hund. Jeden Tag zieht er einen an die frische Luft, egal wie grau der Himmel ist. Mit einem Husky ist man für die nächste innere Eiszeit gewappnet. Bei dem sibirischen Wind ist der Kauf eines Schlittenhundes ebenfalls nachvollziehbar.

Schließlich bahnt sich die nächste politische Eiszeit an. Die angewärmte Neuauflage des Kalten Krieges nimmt derzeit fast absurde Züge an. Als wäre die alte Feindschaft gewollt, als fürchtete man eine vielfältige Weltordnung, wird Propaganda gemacht und mit Angriffsmöglichkeiten gedroht und geprahlt. Dabei lässt man alten Wein in neue Schläuche und das ist fast noch gefährlicher, da die Kanäle der Cyberwelt durchlässiger sind.  

Zwischen Russland und Amerika

Vom Beringmeer nach Berlin ist es anscheinend nicht mehr weit. Das Gebiet, in dem sich Russland und Amerika geografisch gegenüberstehen, ist Schlittenhund-Revier. Auch auf dem Berliner Mauerstreifen, Symbol der ad acta gelegten Konflikte, traben Schlittenhunde über das kurzgeschorene Gras. 

Von der positiven Wesensart des Huskys profitiert dabei leider niemand. Hipster und Staatenlenker könnten sich von dem sibirischen Schlittenhund so manchen Charakterzug abgucken. Intelligenz ist beim Husky mit Sanftmut gepaart, nicht mit Kälte und Destruktivität. Ausdauer und Freundlichkeit, nicht Überlegenheit und Aggression, sorgen für die Fähigkeit, langfristig zu überwintern. 

Anzeige