Anschlag auf Salman Rushdie - Wir brauchen mehr Widerstand gegen die Dummheit

Publizisten, die sich kritisch mit dem Islam auseinandersetzen, wurden schon früher als „Fundamentalisten der Aufklärung“ oder „Panikmacher“ verspottet und denunziert. Und auch die Reaktionen auf das Attentat auf Salman Rushdie sind ein Lehrstück in Sachen Realitätsverweigerung und Inkonsequenz. Autoren sollten deshalb Widerstand leisten – und „Die satanischen Verse“ so lange lesen, bis Rushdie hoffentlich wieder genesen ist.

Islamkritiker Salman Rushdie / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Necla Kelek, 1957 in Istanbul geboren, kam mit zehn Jahren nach Deutschland. Die promovierte Sozialwissenschaftlerin ist Autorin zahlreicher Bücher zum Islam und Vorstandsfrau von Terre des Femmes

So erreichen Sie Necla Kelek:

Anzeige

Es war 1988, als der Roman „Die satanischen Verse“ erschien und Monate später vom iranischen Ayatollah Khomeini mit einer – entgegen anderslautender Berichte immer noch gültigen – Todesfatwa belegt wurde. Es begann eine jahrelange, weltweite Hatz auf den Autor Salman Rushdie, seine Übersetzer und Verleger. Nicht nur durch die Mullahs, sondern auch von Muslimen im Westen, die fortan jede Kritik an ihrer Religion als „islamophob“ bezeichneten und damit auf offene Ohren stießen.

Es gab Christen wie den katholischen Moraltheologen Eugen Drewermann, die das Buch „für eine Beleidigung“ hielten und islamistischen Terror „für eine Waffe der Ohnmächtigen“. Aber es gab auch Leute wie die Verleger Michael Naumann und Helge Malchow in Deutschland, die der Gefahr zum Trotz das Buch verlegten. Und es gab Menschen muslimischer Herkunft, die sich kritisch mit ihrer Religion auseinandersetzten. Darunter Ayaan Hirsi Ali, Seyran Ateş, Hamed Abdel-Samad, Ahmad Mansour und ich.

Der Islam ist ein selbstgewählter Glaube

Es ist nun zehn Jahre her, dass wir dafür von den Herren des Feuilletons als „unsere heiligen Krieger“ (Claudius Seidl), „Fundamentalisten der Aufklärung“ (Timothy Gordon Ash) oder „Panikmacher“ (Patrick Bahners) verspottet oder denunziert wurden. Hunderte Opfer des islamistischen Terrors später haben sie ihre Position nicht korrigiert, sondern ist ihre Deutung, dass der Islam Frieden und nicht Unterwerfung, das Kopftuch Vielfalt und nicht Bevormundung bedeute, sogar vermeintlich akzeptierte Lesart des Koran und der Regierungspolitik geworden.
 

Mehr zum Attentat auf Salman Rushdie:


Es gibt mittlerweile staatliche Meldestellen und ministerielle Arbeitsgruppen – nein, nicht zum Thema Islamismus und Terror –, sondern zum „antimuslimischen Rassismus“. Eine Definition, die unterstellt, dass der Islam kein selbstgewählter Glaube, sondern ein unveränderliches Merkmal wie Ethnie oder Hautfarbe sei. Dass die von den Islamverstehern als „Islamkritiker“ gelabelten Personen von ihren Glaubensbrüdern mit dem Tode bedroht werden, erscheint dagegen als Berufsrisiko oder hinnehmbar, denn auch „Worte können Gewalt bedeuten“.

Den ersten und bekanntesten „Islamkritiker“ (Bild in einer Überschrift zum Attentat) hat es nun erwischt. Am 12. August stach der bekennende Muslim Hadi M., ein Schiit, bei einer Veranstaltung in Chautauqau im Staat New Jersey, USA, zehnmal auf den Schriftsteller Salman Rushdie ein und verletzte ihn lebensgefährlich. Die Reaktionen darauf sind ein Lehrstück.

Attentäter werden wieder einmal Einzeltäter genannt

Offiziell ist Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) als Stimme der Regierung schockiert, inoffiziell führt aber dieselbe Regierung die Geschäfte mit den Urhebern des Mordaufrufs weiter. Stichworte: Stabilität und Gas. Es ist so, wie man sich über den Holocaustleugner Abbas im Nachhinein wegen Relativierung des Holocaust aufregt, vorher aber die Zusammenarbeit mit ihm gelobt hat und, trotz des Skandals, dem Clan-Chef der Palästinenser weiter Entwicklungshilfe, wie zum Beispiel 193 Millionen Euro im Jahr 2020, überweisen wird. 

Der Attentäter wird uns nach dieser Definition wieder einmal als ein Einzeltäter vorgestellt, wie die tausend anderen, die sich aus Moscheen in Deutschland dem Dschihad des IS angeschlossen oder im Westen Anschläge verübt haben. Staatlicherseits wird ignoriert, dass es sich bei den vorherrschenden Lesarten des Islam um eine Ideologie gegen die westliche Art zu leben handelt und dass diese Schläfer unserer Art zu leben einen dunklen Krieg erklärt haben. Es wird von den Gutgläubigen davon ausgegangen, dass Freiheiten, die von Staats wegen garantiert sind, auch akzeptiert und gelebt werden. Das geht so weit, dass der Hamburger Senat an einem Staatsvertrag mit Islamverbänden festhält, die gleichzeitig vom Verfassungsschutz als gefährlich eingestuft werden – und die im Auftrag fremder Staaten agieren. 

Weniger Empathie geht nicht

Aber auch das Feuilleton macht weiterhin Islampolitik. Wie man als Kulturredakteur und gelernter Relativist mit der Sache umgeht, zeigte Patrick Bahners bereits wenige Stunden nach dem Mordanschlag in einem Kommentar in der FAZ. Fern des Anflugs einer Erschütterung nimmt er das Attentat als Aufhänger, um in seiner ihm eigenen Art über ein christliches Sommercamp in einem von Weißen okkupierten Ort (Bahners: „Chautauqua ist ein Wort aus der Sprache der von weißen Siedlern bekämpften und vertriebenen Ureinwohner“) zu schwadronieren.

Die Tat selbst kommentiert er dagegen kurz und distanziert: „Von Politikern und Repräsentanten von Schriftstellerverbänden wurde die Tat als Anschlag auf uns alle bezeichnet, auf das Leben in Freiheit.“ Gleichwohl sei dies ein „Gemeinplatz“, um in seinem Kommentar dann weiter über den „Ort ohne Glaubenszwang“ fortzufahren, als wäre er als Tatortreiniger unterwegs, der den Ort von den blutigen Spuren säubern will. Weniger Empathie und mehr Ignoranz gegenüber dem Problem einer gewaltaffinen Religion und dem konkreten Mordversuch geht nicht. 

Salman Rushdie hat solche Prototypen des machthungrigen wie opportunistischen Intellektuellen wie Bahners in seiner fiktiven Autobiographie „Joseph Anton“ treffend beschrieben, und jeder seiner Sätze hat mehr Esprit als die Auslassungen dieses Redakteurs, der vielleicht etwas von Donald Duck, aber erwiesenermaßen weder etwas vom Islam versteht noch menschlich zu erschüttern ist. 

Er muss leben. Für uns! 

Ich hoffe und bete dafür, dass Salman Rushdie die Tat übersteht. Er muss leben. Für uns! Aber das ist nicht genug. Wir sollten endlich reagieren und verlangen, dass in jeder der 3000 Moscheen in Deutschland, vor jedem Gebet, also fünfmal am Tag, eine Seite aus den „Satanischen Versen“ vorgelesen wird. Ähnlich wie es Günter Wallraff schon 2007 vorgeschlagen hat. Und wir sollten Rushdie als Teil des Widerstandes gegen die Dummheit lesen, wie es Daniel Kehlmann, Elfriede Jelinek und andere vorgeschlagen haben. Solange, bis Salman Rushdie vollständig genesen ist. Wir Autorinnen und Autoren sollten bis dahin unsere Lesungen mit einem Stück aus diesem Werk beginnen – und unsere Leser auffordern: Kaufen Sie die „Satanischen Verse“, schenken Sie das Buch ihren muslimischen Freundinnen und Freunden. Lesen ist Widerstand. 

Anzeige