Antisemitismus - Wer stoppt den Judenhass?

Der muslimische Antisemitismus wächst. In Medien und Politik findet die Ablehnung von Israel kaum Widerstand. Beide Tendenzen machen Deutschland zu einer Risikozone für Juden. Von Alexander Kissler

Werktags trägt man besser keine Kippa / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Suche nach einer Leitkultur für Deutschland geht weiter. Die einen wollen sich mit dem Grundgesetz begnügen, die anderen verweisen auf einen kulturellen Kanon oder bringen den Dekalog ins Spiel. Das allgemein Positive ist schwierig dingfest zu machen. In negativer Hinsicht, steht zu befürchten, ist eine solche Leitkultur gefunden. Es handelt sich um den Antisemitismus. Er frisst sich täglich mehr in die Gesellschaft hinein, verstetigt durch den Zuzug zahlreicher Muslime. Die Mehrheitsgesellschaft zieht sich auf Sonntagsreden zurück und praktiziert historische Bekenntnisroutine. Werktags trägt man besser keine Kippa.

Zivilisationsbruch unterm Banner der Humanität

Der jüngste Vorfall wird aus Düsseldorf berichtet. Ein 17-jähriger Jude, lesen wir, ist von rund zehn jungen Männern nordafrikanischen Aussehens massiv beleidigt und bedrängt worden. Der Direktor der dortigen jüdischen Gemeinde kommentiert in Worten, die einem Volk, das sich folgenlos zu seiner Verantwortung bekennt, schrill in den Ohren klingeln müssten: Attacken gegen Juden gingen vor allem von Muslimen aus, „die schon lange in Deutschland leben“, sich aber durch den anhaltenden Zuzug von Muslimen „als Gruppe bedeutender fühlten.“ Das heißt: Der durch die Migrationspolitik der Bundesregierung importierte Antisemitismus lässt hiesige muslimische Antisemiten zivilisatorische Hemmungen verlieren. So funktioniert Verrohung. So droht vielleicht der nächste Zivilisationsbruch. Er vollzöge sich unter dem Banner behaupteter Humanität.

Studie: Hass gegen Juden im Internet wächst

Den Fernsehjournalisten und Buchautor Richard C. Schneider bewog die Düsseldorfer Attacke zu einem Aufschrei: „Wann wird die deutsche Öffentlichkeit kapieren, dass die Lage wirklich besch... ist? Immer wieder das Abwiegelungsgedöns zu hören. Von Politikern und anderen. Irgendwie reicht‘s jetzt, nein?“ Derweil gelangen öffentliche Akte des muslimischen Antisemitismus nicht immer in überregionale Medien. Die Mehrheitsgesellschaft scheint entschlossen, ihn als morgenländisches Brauchtum abzutun. Einmal mehr stehen die Juden in Deutschland ziemlich allein. Zum „Abwiegelunsgedöns“ gesellt sich jenes „Fehlen von Gegenmaßnahmen in Justiz und Politik“, das eine universitäre Langzeitstudie zum Judenhass im Internet nun beklagt.

Laut den Forschern der Technischen Universität Berlin wächst im Netz neben einem „in den abendländischen Denk- und Gefühlsstrukturen verankerten“ Judenhass auch der muslimische Antisemitismus: „Im 10-Jahres-Vergleich hat sich die Anzahl der antisemitischen online-Kommentare zwischen 2007 und 2018 z.T. verdreifacht.“ Die Studie „Antisemitismus im www“ resümiert Erstaunliches. Der muslimische Judenhass habe eine „ausgeprägte religiöse Dimension“. Die These, er speise sich vor allem aus dem Nahostkonflikt, sei widerlegt. Dramatischer hätte der Befund nicht sein können. Ein religiös indizierter Hass macht aus Vorurteilen einen Habitus. Mit Grundgesetzkursen, Synagogenbesuchen und Nachbarschaftsaktionen wird man ihm nicht beikommen. Auch der frisch installierte „Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus“ predigt zu oft tauben Ohren.

Medien schüren Hass auf Israel

Der israelbezogene Antisemitismus hat indessen, was man im Sport einen Run nennt. Er schält sich als Primärreflex deutscher Berichterstattung über den Nahostkonflikt heraus. Das Nachrichtenportal von T-online schrieb am 15. Juli in brachialer Täter-Opfer-Umkehr: „Israel bombardiert. Palästinenser wehren sich mit Raketen.“ Den Protest quittierten die Onliner mit dem Eingeständnis, die Überschrift sei „nicht passend“ gewesen, aber keineswegs antisemitisch. Jetzt heißt es an nämlicher Stelle: „Israel antwortet heftig auf Raketenangriffe aus Gaza“. Der Chefredakteur von T-Online hatte kurz zuvor in seinem Newsletter geschrieben, das Zitat eines Kollegen der Süddeutschen Zeitung bestätigend: Im Mittelmeer vollziehe sich „der erste Schritt in die Barbarei“, wenn die afrikanischen Migranten nicht gerettet würden. Die kontrafaktische Formulierung vom bombardierenden Israel war, legt man die Bestimmungen der Berliner Studie zugrunde, antisemitisch grundiert und insofern barbarisch.

Besagte Studie sieht „die massenmediale Medienberichterstattung“ seit 2009 von einem „antiisraelischen Narrativ geprägt“. Gesondert erwähnt werden „die israelfeindlichen Verbal-Antisemitismen in den Kolumnen von J. Augstein“. Gemeint ist der linke Spiegel-Kolumnist Jakob Augstein. Spiegel-Online war die von palästinensischer Seite forcierte Eskalation in Gaza am 14. Juli die Schlagzeile wert, Israel fliege „den größten Tageslicht-Angriff seit 2014“. Tags darauf ließ das ZDF in der quotenstarken Halbzeitpause des Fußballweltmeisterschaftsendspiels den Sprecher der Terrororganisation Hamas unkommentiert auftreten. Die neue Landesvorsitzende der nordrheinwestfälischen Linkspartei, die scharfe Israelkritikerin Inge Höger, wird es zufrieden vernommen haben. Höger gilt dem Nahost-Thinktank Mena-Watch als Beleg, dass „die Linkspartei die parlamentarische Speerspitze des Antizionismus in Deutschland ist“, die Partei habe „nicht nur ein Antisemitismusproblem, sie ist vielmehr selbst eines.“

So gilt bis auf Weiteres und auch angesichts eines enorm nachgefragten Familiennachzugs aus islamischen Ländern: Besser, man ist kein Jude in Deutschland. Sonst ist man den einen verhasst und den anderen egal. Willkommen in den neuen, den alten deutschen Realitäten.

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