Aktivisten gegen Denkmäler - Furor aus den Fugen

Immer öfter – und wohl auch immer zielloser – wird auf der Straße die Frage gestellt: „Ist das Geschichte, oder kann das weg?“ Dabei sitzt der Rassismus so wenig im Marmor, wie der Messias in der Ikone. Denkmäler zu stürzen, wird wenig ändern.

Auch Bismarck wird gerade offenbar vor allem als Rassist gesehen und mit roter Farbe bestraft / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Denkmäler sind melancholisch. Am Rande des trockenen Jordangrabens, den Blick auf die jordanische Stadt Safi geheftet, steht seit Jahrtausenden eine geheimnisumwitterte Felsformation. Ein langgezogener Klotz, der seit je die Fantasie der Menschen beflügelt. Folgt man einem alten Mythos, so verbirgt sich hinter der irgendwie anthropomorph erscheinenden Figur die sagenumwobene Frau Lot – Gattin eines Neffen des biblischen Abrahams, die auf der Flucht vor dem Sündenpfuhl Sodom zulange in Rückschau und Nostalgie verharrt haben soll. Gott, so die Legende, soll ihr Zögern derart missfallen haben, dass er sie schließlich zu einer Salzsäule erstarren ließ.

Vielleicht verbirgt sich hinter dieser uralten Geschichte nicht weniger als der erste Bericht über ein Denkmal. Demnach wären diese monumentalen Erinnerungszeichen nicht nur auf geheimnisvolle Weise belebt; unnütz in der Landschaft herumstehend, verkörperten sie auch rückwärtsgewandte Riesen. Das deckt sich in etwa mit jener Sicht auf die Dinge, die derzeit die zumeist jungen Bilderstürmer im Umfeld der „Black Lives Matter“-Bewegung an den Tag legen, die seit Wochen bemüht sind, verblasste Helden auf hochsymbolischer Bühne zu Fall zu bringen: In Richmond, Virginia etwa versenkten Aktivisten der Bewegung ein Kolumbus-Denkmal in einem See, in Washington D.C. versuchten sie eine Statue des siebten Präsidenten Andrew Jackson vom Sockel zu heben. In der Causa Jackson blieb es bis dato beim Versuch. Doch viele Statuen und Abbilder sind gefährdet; ein Hauch von „Burning Man“ liegt über ganz Amerika.

Die Alte Welt war nie ein Musterknabe

Es ist ja auch zu offensichtlich: Etwas läuft falsch auf den berühmten roten Hügeln von Georgia. Die Söhne einstiger Sklaven und die Söhne einstiger Sklavenhalter finden dieser Tage nur schwerlich zusammen. Doch der Mord an George Floyd hat auch die Alte Welt – ohnehin nie Musterknabe in Sachen uneingeschränkter Menschenrechte – zum Schlachtfeld eines neuen Krieges der Zeichen werden lassen. Überall wird jetzt ein ikonografischer Imperativ verkündet; und so fiel in Bristol das Abbild des einstigen Sklavenhändlers Edward Colston, und vor dem Brüsseler Königspalast beschmierte eine aufgebrachte Menge das Reiterstandbild des zweiten belgischen Königs Leopold.

Der war Ende des 19. Jahrhunderts zu zweifelhaftem Ruhm gelangt, als er den damals zum belgischen Kolonialgebiet gehörenden Kongo bis aufs Mark hatte ausbluten lassen. Zehn Millionen Kongolesen sollen in Folge ums Leben gekommen sein. „Leopold, Mörder!“, war dementsprechend noch einer der harmloseren Rufe, mit denen Demonstranten Anfang Juni das einst von Thomas Vincotte gestaltete Standbild verunstalten wollten.

Furor aus den Fugen

Doch längst ist der Furor aus den Fugen: Selbst eine Statue Winston Churchills, jenes Mannes also, dessen wesentliche Lebensleistung darin bestanden hat, mitgeholfen zu haben, die Welt vom größten Rassisten aller Zeiten zu befreien, musste aus Schutz vor Farbanschlägen einige Nächte in einem provisorisch gezimmerten Holzverschlag darben. Die Wucht des neuen Bildersturms ist noch nicht vorbei. Immer öfter – und wohl auch immer zielloser – wird auf der Straße die Frage gestellt: „Ist das Geschichte, oder kann das weg?“ In den USA ließ Donald Trump vorsichtshalber schon einmal die Nationalgarde zum Schutz der steinernen Riesen in Bereitschaft versetzen. Weitere Schnappschüsse von kopflosen Sklavenhändlern oder von beschmierten Kolonialherren, die via Instagram und Twitter das mediale Bewusstsein fluten, will man sich nicht nur in Washington nicht mehr leisten.

So also geht Ikonoklasmus. Denn in dieser Lesart zumindest ist man sich einig: Marmor, Stein und Bronze bricht, wenn erboste Freedom Fighter auf vorgeblich weiße und im schlechtesten Fall noch konservative Ikonodule treffen. Doch ist es nicht eigentlich andersherum? Glauben nicht viele der neuen Bilderstürmer weit mehr an die Kraft des Abbilds, als das versammelte Konzil von Nicäa? Damals, im legendären Bilderstreit von Byzanz, ging es im Kern um die vertrackte Frage, ob man einen unsichtbaren Gott mit sichtbaren Bildern zu Leibe rücken dürfe. Die Denkmalschleifer von Washington oder Richmond scheinen sich da längst einig zu sein: Sie glauben an das Bild. Geradezu magische Kräfte messen sie diesem bei, wenn sie am Ende gar meinen, ein gewonnenes Match über das Abbild sei bereits der Sieg über die Ungerechtigkeit in der Welt. Schattenfang in Platons Höhle. 

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Ein Blick in die Geschichte des Bildersturzes hätte sie eines Besseren belehren können: Hatten nicht immer schon unbelehrbare Hitzköpfe versucht, die alten Ikonen gegen neue zu tauschen? Gott gegen Götze? Religion gegen Ideologie? Hatte nicht Bonifatius im Namen seiner vermeintlich besseren Botschaft die alte Donareiche fällen lassen, Stalin seinen Widerpart Trotzki durch die Retusche und die Taliban die Bamiyan-Buddha in die Luft gejagt? Doch wo ein Bild ging, wuchsen immer sieben weitere nach. Vergessen kann letztlich nicht, wer nur die Delete-Taste drückt. Denn: „alles, was man vergessen hat“, so Elias Canetti, „schreit im Traum um Hilfe.“ Besser also, die Bilder bleiben. Die Idee, man müsse nur den Stein zerschmettern, dann würde das Böse am Ende schon weichen, hinterlässt nur Narben in der Erinnerungslandschaft.

Wer gelernt hat, dass Bilder nicht von Geistern bewohnt sind, der muss sie nicht stürzen, schänden oder vierteilen. Der Rassismus sitzt so wenig im Marmor, wie der Messias in der Ikone. Es ist zweifelsfrei richtig: die Denkmäler aus den letzten Jahrhunderten zeigen wahrlich nicht immer große Männer; und ohnehin: Niemand gehört im 21. Jahrhundert noch auf einen Sockel! Doch die alten Monumente sind Teil des Geflechts unserer Städte – der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Im Idealfall treffen hier gotische Kathedralen auf neue Townhouses, Wilhelminische Monumente auf postmoderne Skulpturernparks – und das simultan, nebeneinander und unabhängig davon, was der Zeitgeist gerade will. Denkmäler sind am Ende eh so langlebig wie Frau Lot: Sie sind spitz, rückwärtsgewandt und melancholisch. Und manchmal sind sie sogar eine Frechheit – dann zum Beispiel, wenn sie stoisch auf das verweisen, was zum großen Glück bereits hinter uns liegt. Lassen wir sie dabei; und schreien wir nicht immer gleich euphorisiert „Hoppla!“, wenn wieder ein Kopf fällt– und sei es nur der eines Denkmals im Bostoner Columbus Park.

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