Aktion Doppeleinhorn - Kommandopolitik im kindischen Kleid

Kisslers Konter: Eine staatliche geförderte Initiative will Toleranz und Demokratie im Netz stärken. Tatsächlich wird die Meinungsfreiheit unter Vorbehalt gestellt. Auf ebenso infantile wie autoritäre Weise

Knuddeltier mit harten Ansagen: das Doppeleinhorn / Foto: Screenshot
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die prägenden Kennzeichen unserer Zeit sind Infantilisierung, Denkfaulheit, Vulgarität und Zwangskumpanei zu autoritären Zwecken. Alle vier finden sich, grotesk aufgegipfelt, in einer neuen staatlichen Kampagne, die sich vordergründig einmal mehr dem Kampf „gegen Hass, Hetze und Intoleranz in der Menschenwelt“ verschrieben hat. Tatsächlich betreibt die Online-Kampagne, die vom SPD-geführten Bundesfamilienministerium unterstützt und von SPD-nahen Kreisen im Saarland betrieben wird, Desorientierung im Gewand der Ordnung, Kommandopolitik im Kleid des Kindischen. Sie hört auf den Namen „Doppeleinhorn“ und ist so einfältig, wie es der Titel vermuten lässt.

Das mitteltalentiert gemalte Fabelwesen gab es bisher nicht. Ein „Doppeleinhorn“ ist der gute Mensch in Comicgestalt, lautet das Motto doch: „Freie Meinungsäußerung ist eines der vornehmsten DoppelEinhornrechte überhaupt.“ Und: „Niemand wird mit dem Hass auf andere DoppelEinhörner wegen ihrer Hautfarbe, ethnischen Herkunft oder Religion geboren.“ Du Mensch, lernen wir, werde vom abgründigen Homo Sapiens zum edlen „Doppeleinhorn“. Die Kampagne ist Teil eines Menschenverbesserungsversuches. Der Staat will bessere Menschen.

Unliebsame Meinungen sollen ausgegrenzt werden

Freilich hat er sich in dieser Absicht aller brachialen Rhetorik von ehedem entledigt. Er will ja generell in schwerer Zeit als Bespaßer seiner verunsicherten Bürger wahrgenommen werden, als Moderator von Lebensverhältnissen, die ihm entgleiten. Also muss der Staat duzen – „Wenn Du Dich nicht um die Demokratie kümmerst, verlasse ich Dich“ –, und also muss er mit Erwachsenen reden, als wären es 8-Jährige. Wodurch auch er auf das Niveau von 16-Jährigen rutscht, maximal. Aber das ist gewollt. Nur durch inszenierte Nähe wird die Bundesrepublik zu jenem Pausenhof, auf dem ein halbstarker Staat seine Dominanzgesten ausüben kann. Herrschsucht wird als Fürsorge bemäntelt.

Die demokratietheoretischen Voraussetzungen sind problematisch, kehren sie sich doch in ihr Gegenteil. Das dicke Knuddeltier mit den winzigen Beinchen, den Stummelhändchen und der fiesen Tolle soll „in eurer schönen, bunten Welt“, also „in den sozialen Medien und im öffentlichen Raum“, für „Demokratie und Meinungsfreiheit werben und gleichzeitig ein Zeichen gegen Hass und Hetze setzen“. Tatsächlich will man unliebsame oder radikale Meinungen aus dem Diskurs aussondern. Anders ist diese vulgär formulierte, mit einem vulgären „Doppeleinhorn“-Stinkefinger illustrierte und grundfalsche Aussage nicht zu verstehen: „Es heißt Grundrecht auf Meinungsfreiheit und nicht Grundrecht auf Scheißelabern.“

Umgekehrt wird ein Schuh draus

Nein, nein, nochmals nein. Das Bundesfamilienministerium, das saarländische Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie und das MedienNetzwerk SaarLorLux wollen nicht wahrhaben, was sie natürlich wissen: dass die Freiheit der Meinung nicht an die Qualität der Meinungen gebunden ist; nicht einmal an deren Sachrichtigkeit. Umgekehrt wird ein freiheitlicher Schuh draus: Das zornige, das irrende, selbst das hassende Meinen ist von der Meinungsfreiheit, von Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht geschützt, von Menschen also, nicht von staatlich gezüchteten „Doppeleinhörnern“.

Wenn diese mit Steuergeldern alimentierte Initiative einen komplett falschen Eindruck transportiert, stecken dahinter Kalkül und Methode und Abgründigkeit. Nimmt man die eigenen kindischen Grundannahmen beim Wort, dürfte kein edles „Doppeleinhorn“ solchen menschenkritischen, grundrechtswidrigen Quark von sich geben.

Der neue Untertan

Sehen wir von der ebenso heiklen Frage ab, inwieweit es dem Staat zukommt, mit uns, seinen Bürgern und Steuerzahlern, nach Art eines Schiffschaukelbremsers zu kommunizieren; heben wir uns auch das schwierige Problem, wie aus einer infantilisierten Gesellschaft eine wehrhafte Demokratie entstehen soll, für andere Stunden auf: Hier stimmt etwas nicht. Hier wird ein Staat zum Narzissten. Hier erfindet die Exekutive einen neuen Typus pflegeleichter, lieblich lispelnder, kreuzbraver, treudoofer Untertanen, die nur dann den Stinkefinger heben und ins Ordinäre ausgreifen, wenn ihre eigene gedankliche Monokultur unter Feuer gerät. Das „Doppeleinhorn“ ist der Mensch der Zukunft, der Prototyp einer optimierten Gattung, in der sich Deutschlands künftige Größe strahlend vorbereitet. Darauf einen Elfentee!

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