Ai Weiwei - Beschimpfungen mit Unterhaltungswert

Zugegeben, niemand lässt sich gern beleidigen. Doch wenn Ai Weiwei zur Generalbeschimpfung von Deutschland ausholt, ist das durchaus unterhaltsam. Und mit manchem hat er vielleicht sogar recht, zum Beispiel, wenn er Berlin als „hässlichste, langweiligste Stadt” bezeichnet.

Der chinesische Künstler Ai Weiwei macht derzeit vor allem durch wütende Interviews von sich reden / dpa
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Die Publikumsbeschimpfung ist spätestens seit dem gleichnamigen Stück von Peter Handke aus dem Jahre 1966 eine Kunstform für sich. Neben Handke war ein anderer Österreicher besonders talentiert darin, ganze Gruppen, ja sogar ganze Städte und vor allem sein eigenes Land zu beschimpfen: Thomas Bernhard. Bei ihm ist Augsburg ein „muffiges, verabscheuungswürdiges Nest”, auch weil er hier keinen Rheumatologen findet. Die österreichischen Städte Salzburg, Gmunden und Altaussee waren für ihn „nichts als Nazinester”.

Wird man beschimpft, reagiert man normalerweise erbost oder beleidigt. Ein wenig anders kann sich das darstellen, wenn die eigene Nationalität oder Heimat beschimpft wird, denn das betrifft nicht mehr unmittelbar die eigene Person, sondern Stereotype. Auf diese Weise kann eine Beschimpfung sogar Zustimmung erfahren, auch wenn man zu der betroffenen Gruppe gehört. Eine andere Methode, Beschimpfungen in akzeptierte Meinungsbeiträge umzuwandeln, ist die künstlerische Überhöhung. Die Zuschauer von Handkes Publikumsbeschimpfung erleben die an sie gerichteten Beschimpfungen nicht als etwas Persönliches, sondern als künstlerischen Akt. Und als diesen lassen sie die Beleidigungen über sich ergehen, erfreuen sich möglicherweise sogar an ihnen. Ähnlich ist es bei Bernhards Städtebeschimpfungen. Menschen kaufen sich das Buch und freuen sich als Leser darüber, wie eine Stadt nach der anderen in Grund und Boden geschrieben wird. Vielleicht denkt sich der eine oder andere Leser sogar: Stimmt, Bernhard hat recht, Augsburg ist eine furchtbare Kloake. 

Ai Weiwei, der neue Bernhard

Als würdiger Epigone Bernhards zeigt sich derzeit Ai Weiwei. Der chinesische Künstler erlitt in seiner Heimat Repressalien und wurde inhaftiert. Als er seinen Pass zurückbekam, reiste er Ende 2015 nach Deutschland aus und wurde Gastprofessor an der renommierten Universität der Künste. Glücklich geworden ist er dort allerdings nicht. „Es ist unmöglich, deutsche Studenten zu unterrichten. Sie sind faul, sie machen ihre Hausaufgaben nicht. Und das System ist höchst korrupt”, sagte Ai Weiwei der Berliner Zeitung in einem Interview.

Zwar hatte sich Ai Weiwei erst kürzlich öffentlichkeitswirksam über Berliner Taxifahrer und deutschen Rassismus aufgeregt, doch die erneute Beschimpfung Berlins ist allen zu empfehlen, die ab und an gerne in einem Buch von Thomas Bernhard blättern. Berlin, so Ai Weiwei, „ist die langweiligste, hässlichste Stadt, die es gibt.” An manchen Tagen kann man diese Bewertung durchaus nachvollziehen.

Lesen Sie das komplette Interview hier

   

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