Christian Hacke liest... - Von Adenauer zu Merkel

Der Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz gelangte mit einer Biografie über Konrad Adenauer zu Ruhm. Schwarz nahm selten ein Blatt vor den Mund und sträubte sich gegen jegliche Idealisierung. Nun erschien sein Buch „Von Adenauer zu Merkel“

Erschienen in Ausgabe
Der Politik- und Zeitgeschichtswissenschaftler Hans-Peter Schwarz verstarb im Jahr 2017 / picture alliance
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Autoreninfo

Christian Hacke ist Politikwissenschaftler und lehrte als Professor an der Universität der Bundeswehr Hamburg und an der Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

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Die Lebenserinnerungen von Hans-Peter Schwarz, dem Doyen der deutschen Politikwissenschaft und Zeitgeschichte, der 2017 im Alter von 83 Jahren verstarb, geben Zeugnis von einem einzigartigen Gelehrtenleben: In Lörrach 1934 geboren, wurde Schwarz bei Arnold Bergstraesser im Alter von 23 Jahren promoviert, habilitierte sich bei Theodor Eschenburg in Tübingen 1966. Nach weiteren Stationen lehrte er von 1987 bis 1999 an der Universität Bonn.

Schwarz schildert die Stationen seines Werdegangs so einfühlsam, dass die zu Unrecht gescholtene akademische Welt der fünfziger und sechziger Jahre auf grandiose Weise aufersteht. Es war damals weniger Muff unter den Talaren und mehr geistige Aufbruchstimmung, als die gegenwärtige Diskussion vermuten lässt. Zu Ruhm gelangte Schwarz in den achtziger Jahren durch seine Biografie über Konrad Adenauer, dessen Ära er neu deutete, nicht mehr restaurativ, sondern innovativ und fortschrittlich: Konrad Adenauer als politischer Revolutionär, der die Bundesrepublik im Westen verankerte und im Innern demokratisch prägte.

Gegner des Euro

Schwarz nahm selten ein Blatt vor den Mund, doch bis 1989 überwog die positive Würdigung der bundesdeutschen Politik. Das änderte sich seit 1990. Sein lakonisches Urteil über die Ära Kohl der letzten vier Jahre: „Malaise.“ Und über Kohls Europapolitik: „Wie ich befürchtet hatte, ließ sich die Bundesregierung von ihrer maximalistischen Europapolitik nicht abbringen. Die Hauptakteure auf der Bonner Bühne, Kohl, Genscher und Waigel, waren unbekümmert entschlossen, die von Frankreich initiierte Europäisierung der D-Mark zu akzeptieren.“ Schwarz wurde zum Gegner des Euro.

Konsequenterweise sträubte er sich gegen jegliche Idealisierung der Europäischen Union und die Dämonisierung nationaler Interessen. Vielmehr suchte Schwarz eine realistische Balance. In diesem Sinne beklagte er eine Tendenz zum außenpolitischen „Gutmenschentum“, für die er die einprägsame Formel fand „Von der Machtbesessenheit zur Machtvergessenheit“. Vielleicht wird man diese eminent klugen Erinnerungen eines Tages als ein Schlüsseldokument zum Verständnis von Aufstieg und Fall der Bundesrepublik lesen. Der Titel „Von Adenauer zu Merkel“ wirft auch ein Schlaglicht auf die schicksalhafte Transformation Deutschlands: von der international geschätzten Demokratie und vom verlässlichen Verbündeten im Kalten Krieg zur Berliner „Republik ohne Kompass“.

Konflikt als Mutter allen Fortschritts

Schwarz schildert die Niedergangstendenzen unseres Landes schonungslos. Die „Politik ohne Alternative“ der Kanzlerin brachte ihn auf die Palme. Warum? Für ihn blieb politischer Konflikt die Mutter allen Fortschritts. Diese couragierte Haltung machte Hans-Peter Schwarz nie bequem, nie politisch korrekt. Sein realpolitischer Kompass blieb für viele richtungsweisend: verantwortungsbewusst, darauf bedacht, Außen- und Innenpolitik klug zu verknüpfen und die Balance zwischen werte- und interessengeleiteter Politik zu halten. 

Wer ihn kannte, schätzte seine politische Klugheit und seine enorme Universalbildung. Wer ihn nicht kannte, dem sei die Lektüre dieser einzigartigen Erinnerungen, eines großen Lesevergnügens, jetzt umso mehr ans Herz gelegt.

Hans-Peter Schwarz „Von Adenauer zu Merkel. Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen“ DVA, München 2018, 736 Seiten, 50 Euro.

 

 

 

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.

 

 

 

 

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