1.000 Folge des Abendkrimis - „Der Tatort ist ein Teil des Lebens geworden“

Alexander Adolph ist der Regisseur des 1.000 „Tatort“, der heute Abend in der ARD läuft. Im Interview erläutert er, wie die Krimireihe in all der Zeit ihre Unberechenbarkeit erhalten konnte und gleichzeitig einen festen Platz im Familienleben vieler Deutscher bekam

Ermitteln im 1000. Tatort zusammen: Maria Furtwängler und Axel Milberg / NDR, Meyerbroeker
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Autoreninfo

Dieter Oßwald studierte Empirische Kulturwissenschaft und schreibt als freier Journalist über Filme, Stars und Festivals. Seit einem Vierteljahrhundert besucht er Berlinale, Cannes und Co. Die lustigsten Interviews führte er mit Loriot, Wim Wenders und der Witwe von Stanley Kubrick.

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Der Deutschen liebster Fernseh-Krimi feiert Geburtstag: 999 Folgen vom „Tatort“ hat es seit dem 29.November 1970 gegeben, heutefolgt die Nummer 1.000. Wie bei der Premiere lautet der Titel wiederum „Taxi nach Leipzig“. Diesmal jedoch gibt es ein klaustrophobisches Kammerspiel, die Kommissare Lindholm (Maria Furtwängler) und Borowski (Axel Milberg) begegnen sich dabei zum ersten Mal und geraten in die Fänge eines gefährlichen Chauffeurs. Regie und Drehbuch bei dieser Jubiläumsausgabe übernahm Alexander Adolph, ein Macher mit Meriten: Sein „Der oide Depp“ liegt auf der Fanseite „Tatort-Forum“ auf Platz 3 der Beliebtheitsskala. Für „Im Freien Fall“ bekam Adolph einen Grimme-Preis.

Herr Adolph, wo waren Sie am Sonntag, dem 29. November 1970, gegen 20:20 Uhr?
Ich weiß, worauf Ihre Frage abzielt. Leider habe ich keine genauen Aufzeichnungen, war aber vermutlich wie viele andere kleine Jungen im Bett. Mit Sicherheit habe ich dort nichts vom Tatort-Jingle aus dem Fernseher im Wohnzimmer gehört. Weil wir zu meinem Bedauern keinen Fernseher hatten.

1.000 Folgen– woher kommt diese Popularität seit Jahrzehnten?
Der Tatort ist gleichzeitig traditionell und extrem frei. Keine Fernsehreihe hatte bereits in den 1970ern sowohl Whodunits als auch abgefahrene Thriller wie die vom großen Sam Fuller inszenierte Tatort-Episode „Tote Taube in Beethovenstraße“ im Angebot. Dadurch hat der Tatort eine gewisse Unberechenbarkeit behalten. Gleichzeitig sitzt er mit seinem berühmten Vor- und Abspann, seiner Genealogie von Ermittlern kurz vor dem Ende der alten und dem Anfang der neuen Woche. So wird er ein Teil des Lebens. Auch des Familienlebens. Und wenn er aus ist, dann ist es 21:45 Uhr

Gibt es einen besonderen Erwartungsdruck, den 1.000 Tatort zu stemmen, oder ist diese Jubiläums-Ausgabe ein Tatort wie jeder andere?
Den gab und gibt es natürlich. Wie es schon eine große Ehre ist, gefragt zu werden. Was wir erzählen, ist ein Tatort im klassischen Sinn – und noch was besonderes.

Welche Vorgaben gab es von Seiten des Senders für die 1.000ste Ausgabe?
Der NDR hat sich gewünscht, dass zwei Kommissare, die sonst getrennt ermitteln, gemeinsam auftreten. Und es sollte eine Verbindung zum ersten Tatort „Taxi nach Leipzig“ geben. Wie die aussehen sollte, war aber ein gemeinsamer Diskussionspunkt.

Regissseur Alexander Adolph

Es gibt Gastauftritte von Karin Anselm, einer der beiden ersten Kommissarinnen, von Gunter Lamprecht oder Friedhelm Werremeier, dem Autoren des ersten Tatorts. Gab es Überlegungen, mehr solcher Souvenirs einzubauen? Die Schimanski Jacke? Den Dackel von Veigel? Oder das Augenmodell Horst Lettenmayer?
Wir haben uns sehr gefreut, dass diese Legenden mitgemacht haben und wenn jemand Tatort-Kenner ist und weiß, was etwa Hans-Peter Hallwachs oder Karin Anselm für die Tatort-Historie bedeuten, ist das ein zusätzlicher Gewinn für ihn. Was aber Ihre Beispiele wunderbar zeigen: Wie viel bildliche Referenzen der Tatort geschaffen hat.

Warum sperren Sie gerade Borowski und Lindholm ein? Es hätten ja auch Blum und Tschiller sein können?
Es mussten Charlotte und Klaus sein. Die zwei passen so gut, weil sie definitiv nicht zusammenpassen. Das ist ein perfektes Paar. Mit denen wird es Ihnen nie langweilig.

Wie erleben Sie als Macher die begleitenden Kommentare auf Twitter während der Ausstrahlung?
Es ist ja eine Geschäftsgrundlage des filmischen Erzählens, dass der Zuschauer zuschaut. Und jetzt schaut er aufs Mobiltelefon oder das Ipad, auf dem in der Ecke der Film läuft und schreibt parallel und kommentiert und liest Kommentare und baut eine Meta-Ebene auf Kosten der eigenen Konzentration und der Geschichte auf.

Unlängst kommentierte die echte Polizei München via Twitter die TV-Kollegen: Life imitating Art?
Ich glaube, die haben sich als Korrektiv gesehen und ihre Welt mit der des Films verglichen. Aber ich weiß, dass bestimmte Rollenmodelle von Film und Fernsehen im wirklichen Leben Spuren hinterlassen. Vor Jahren war ich mal aus Recherchegründen Zeuge eines sehr aufwändigen Polizeieinsatzes, einer Hausdurchsuchung und da war eine Beamtin, die sich so burschikos benahm, wie sie das aus amerikanischen Serien kannte. Die sagte Sachen wie „Glotz mir nicht so auf den Arsch, verdammte Scheiße.“ Wie übrigens Kraftsprache im Film eher zuhause ist als in der Realität.

Welche drei Elemente muss ein Tatort unbedingt haben?
Vorspann. Spannung. Abspann. 

Wie dunkel darf ein Tatort sein?
Wenn er nachts spielt, ziemlich dunkel.

Wie witzig muss ein Tatort sein? Das erste Opfer in Ihrem Film wirkt fast wie aus einem Loriot entsprungen...
Es gibt keinen Witzzwang und ich finde, ein Tatort muss überhaupt nicht witzig sein. Was das erste Opfer betrifft: Menschen, die um Würde ringen, während sie sich in eine grauenhafte Situation manövrieren,  haftet etwas Komisches an. Auch weil sie selber gar nicht komisch sein wollen. Von dieser Verzweiflung hat Loriot erzählt. Und das erste Opfer im Tatort ist halt so jemand. Der hat Angst um seine Altersvorsorge, der fühlt sich gedemütigt und klein und da ist dieser Taxifahrer der sich nicht angeschnallt hat und den er jetzt anschnallen will...Man kann das auch traurig finden.

Wie weit war der Kino-Thriller „Locke“ mit Tom Hardy, der gleichfalls fast nur in einem Auto spielt,  ein Vorbild für dieses Kammerspiel im Taxi?
Das ist ein toller Film. Ein Vorbild war er nicht, weil Tom Hardy im Auto allein ist und in erster Linie telefoniert. Wir haben zwei Leute mehr im Wagen und damit noch eine größere Herausforderung, was Blickachsen, Dialog und Timing betrifft.

Ihr „Oider Depp“ liegt auf der Fanseite „Tatort-Forum“ auf Platz 3 der Beliebtheitsskala - ahnt man den potenziellen Erfolg bereits beim Schreiben?
Nein. Ich glaube, es ist schwer, auf Erfolg – der ja auch irrationale Elemente hat – hin zu arbeiten.

Sie haben für „Im Freien Fall“ den Grimme-Preis bekommen - ist das wichtiger als eine Quote über 10 Millionen?
Das ist beides schön. Eine künstlerische Auszeichnung und ein Publikumserfolg sind schwer gegeneinander aufzurechnen.

Während „Derrick“ in Dutzenden von anderen Ländern ermittelt, ist der „Tatort“ kein Export-Schlager – woran liegt das?
An seiner Eigenheit und seinem Eigensinn. Was der regionalistischen Idee von Gunther Witte, dem Erfinder des Tatorts, geschuldet ist. Die Tatorte unterscheiden sich stilistisch, narrativ, sie haben keinen gemeinsamen Hauptdarsteller, keine einheitliche Firnis im Sinne der Visualität. Wäre der Tatort sowas wie Derrick geworden, gäbe es ihn heute nicht mehr - da bin ich ziemlich sicher.

Welches ist Ihr bester „Tatort“ der Geschichte?
„Das Mädchen gegenüber“ mit Hans-Jörg Felmy hat mich damals sehr beeindruckt.

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