#Metoo und der Feminismus - Wie wir zu Löwinnen und Löwen werden

Der Hashtag #metoo bestärkt Frauen in der Opferrolle, sagt Svenja Flaßpöhler. Das ist zu kurz gedacht. Denn die Debatte hilft dabei, sich endlich von dem emanzipieren zu können, was Menschen zu Opfern macht: sexuelle Übergriffe. Eine Replik von Houssam Hamade und Viola Nordsieck

Durch #metoo wird öffentlich über Dinge gesprochen, die früher totgeschwiegen wurden – wie hier in Frankfurt / picture alliance
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Houssam Hamade ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die taz und den Freitag.

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Es ist ein schönes und starkes Bild, das die Autorin Svenja Flaßpöhler mit ihrem Buch von der „potenten Frau“ entwickeln möchte: Frauen, die sich selbst wehren können. Frauen, die brüllen wie Löwinnen, wenn ihnen jemand etwas tun will. Denn Löwinnen brauchen keinen Retter. Sie gehen ihre Probleme selbst an. Die #metoo-Debatte, so meint Flaßpöhler, versetze Frauen hingegen in eine infantile Rolle, in die Rolle ängstlicher Mäuse, für die gesorgt werden müsse und die selbst nur klagen und jammern könnten. Das sei ein Rückschritt für den Feminismus und sabotiere obendrein die Interaktion zwischen Männern und Frauen. Lustfeindlich sei es auch, denn Begehren und Verführung gebe es nicht ohne Grenzübertritte. Die Lust und das Spiel würden durch das Anklagen und Feiern von Schwäche abgeschnürt wie ein taubes Bein im Stützstrumpf der Moral.

Darum ist es umso erstaunlicher, dass Flaßpöhler die Potenz, das heißt die Wirkmacht von #metoo nicht anerkennt. Diese Wirkmacht liegt in der Vernetzung, im gemeinsamen Handeln. Flaßpöhler aber fordert die Potenz der einzelnen Frau, setzt als Norm die starke Frau und wertet all diejenigen ab, die diesem Bild nicht gerecht werden. Das ist weder ermutigend noch bestärkend. Es ist ein Ermahnen, Abwerten und Demütigen.

Ermächtigung funktioniert anders

Flaßpöhler zeichnet damit genau das liberale Bild vom Individuum, das dem Selbstverständnis des deutschen Feuilletons entspricht. Kein Wunder, dass dieses Feuilleton sie dann auch feiert als Stimme der Vernunft in hysterischen Zeiten. Das Problem dabei ist nur, dass Ermächtigung so nicht funktioniert. Das einzige, was damit bewirkt wird, ist das Bestärken privilegierter Personen in ihren privilegierten Positionen. Damit klopft man nur den Frauen auf die Schulter, die sich ohnehin gut durchsetzen können. Die Botschaft an all die anderen? Ihr habt wieder einmal alles falsch gemacht.

In einem Interview für den Deutschlandfunk erklärt Flaßpöhler: „Für das Faktische sind eben auch die Individuen mitverantwortlich, ganz entschieden, und auch die Frauen“. Das ist richtig: mitverantwortlich. Doch die Realität ist nicht einfach die Folge aus dem souveränen Handeln Einzelner, wenn auch Einzelne sie stellenweise beeinflussen können.

Stark-Sein muss man lernen

Wie kann man also stattdessen Frauen ermächtigen und stärken? Denn es stimmt ja, dass den Frauen über Jahrhunderte hinweg genau diese Durchsetzungskraft abtrainiert wurde, weil sie angeblich „unweiblich“ wäre. Bloße Forderungen, doch jetzt mal stark zu sein, dürften da aber wenig bewirken. Vielmehr sollten wir uns fragen: Wie kommt es, dass Personen sich stark fühlen und genau wissen, wo ihre Grenzen sind? Die Antwort ist herausfordernd simpel: Sowohl das eine wie das andere muss man lernen.

Das heißt konkret: Sprechen, Denken und Empfinden sind gekoppelt an die gemeinsame gesellschaftliche Wahrnehmung. Wir werden erst handlungsfähig im großen Geflecht unserer Beziehungen. Und diese Beziehungen sind zunächst Beziehungen der Abhängigkeit. Wie wir über etwas sprechen und nachdenken, ist geprägt davon, wie andere davon sprechen – und ob überhaupt darüber gesprochen wird. Zu Löwinnen und Löwen machen wir uns selbst, indem wir uns nach und nach durch Abgrenzungs- und Anerkennungserfahrungen aus diesem Geflecht der Abhängigkeiten herausarbeiten. Das aber gelingt uns immer nur bis zu einem gewissen Grad. Wir bleiben angewiesen auf eine solidarische Gemeinschaft, die uns eine Sprache gibt. Damit wir uns abgrenzen und befreien können von dem, was uns unterdrückt.

#Metoo lotet sexuelle Übergriffe aus

#Metoo liefert diese Sprache. Der Austausch von Geschichten, der im Rahmen von #metoo stattfindet, eröffnet die Möglichkeit zur Artikulation eigener Erfahrung. Und damit die Möglichkeit, wirklich genau bestimmen zu können, wann Grenzen überschritten wurden und was einen Übergriff darstellt. Das Reden über die Situationen der Bedrängnis und wie man sich dabei fühlt, das führt auch zum Reden darüber, was man hätte tun oder sagen können. Und es führt bei allen, Männern wie Frauen, zu einem Bewusstsein darüber, was eigentlich Übergriffe sind.

Die Unsicherheit im Umgang mit gewaltvollen Übergriffen ist kein Zeichen von Infantilisierung, sondern hängt damit zusammen, dass auf neue Weise öffentlich über Dinge gesprochen wird, die früher totgeschwiegen wurden. Selbst nach scheinbar eindeutigen Gewalterfahrungen gehört es zu den typischen Reaktionen, sich selbst zu beschuldigen und unsicher nachzugrübeln. Hätte man es nicht verhindern können? Was ist überhaupt vorgefallen und was das wirklich so schlimm? Oft wird das einem erst deutlich, wenn man die Gelegenheit bekommt, darüber zu sprechen. Genau das leistet #metoo.

Flaßpöhler beansprucht in ihrem Buch, „neue Geschichten“ erzählen zu wollen. Sie erzählt aber vielmehr alte. Für sie ist #metoo ein quasi-patriarchales Einhegen der Frauen fern von der männlichen Sexualität. Das ist ein Missverständnis. Denn bei #metoo geht es nicht nur um Sexualität und nicht nur um Frauen: es geht um gewaltvolle, demütigende Übergriffe, für die keine Sprache da ist – und das betrifft Männer und Jungen sogar noch mehr. Wenn wir von der Befreiung weiblicher Sexualität sprechen wollen, dann sprechen wir doch lieber über „Oh my God Yes“, die vieldiskutierte Webseite zur „Wissenschaft der weiblichen Sexualität“. Aber nicht über #metoo. Denn hier geht es nicht um das Anbahnen erotischer Beziehungen, die eigentlich doch von beiden Geschlechtern irgendwie gewünscht würden und durch fehlende Kommunikation scheiterten.

Die Trennlinie zwischen Sex und Gewalt

Flaßpöhler verwischt demnach die Trennlinie zwischen Übergriff und erotischem Spiel. „In Verführung steckt das Führen drin“, doziert sie und erklärt, dass Sexualität immer ein ambivalentes Spiel sei. Das ist richtig, doch beruht diese Ambivalenz genau auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, das dem erotischen Spiel zugrunde liegt. Folgerichtig stand im Zentrum der #metoo-Debatte dann vor allem eines: fehlende Freiwilligkeit.

Veranschaulichen lässt sich die Bedeutung der Freiwilligkeit an einer Szene aus der Serie „Shameless“. Die Hauptpersonen haben rauen Sex. Brutal wirkt das Ganze auf den allerersten Blick: Er rammt sie gegen die Wand, hält ihren Arm und ihren Hals umklammert. Dann wirft er sie auf die Matratze. Oberflächlich gesehen scheinen hier Sex und Gewalt vermischt. Tatsächlich ist uns (erwachsenen) Zuschauern klar, dass es sich um Sex handelt, und nicht um Gewalt. Das wird im nächsten Teil der Szene deutlich. Der Frau wird es zu heftig. Sie sagt dem Mann, noch im Guten, dass er einen Gang zurückschalten soll. Das tut er nicht. Und genau jetzt wird der Unterschied zwischen Übergriff und Sex glasklar. Sie sagt mehrmals „Nein“, wird immer lauter. Beim letzten „Nein“ ist Entsetzen in ihrer Stimme. Er hört nicht auf. Sie verliert die Kontrolle über die Situation. Das Lustspiel wird zum Albtraum.

#Metoo ist Teil eines Lernprozesses

Letztendlich schafft es die Frau, ihn loszuwerden. Aber das Wesentliche steckt in diesem Übergang. Wir als Zuschauer wissen zweifelsfrei, was passiert, und wir erkennen genau, wo die Grenze überschritten wird. Der Beginn ist ein Spiel. Ein Spiel mit Dominanz, das aber nur auf der Grundlage von Vertrauen und Freiwilligkeit funktioniert. Genau in dem Moment, wo sich das ändert, verwandelt sich der Lustakt zum Gewaltakt – und hört auf Lustspiel zu sein.

Selbstverständlich kann es Missverständnisse geben. Wo die Grenze liegt zwischen Begierde und Übergriff – das müssen wir lernen. Auch Männer machen die Erfahrung, dass sie schon zu weit gegangen sind. Das ist ein Lernprozess, der blockiert wird, wenn der Unterschied zwischen Begierde und Übergriff wie bei Flaßpöhler verwischt wird. Auch Männer müssen mitunter lernen, der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen, die sagt: Da fühlt sich jemand nicht gut dabei. #Metoo ist dabei nicht das Problem, sondern eine Hilfe, um darüber reden zu können und das Problem besser zu erkennen.

 

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