Kevin Kühnert als SPD-Generalsekretär - Der Sozialist, der aus dem Callcenter kam

Der 32-jährige Kevin Kühnert ist seit heute Generalsekretär der SPD. Das bedeutet, dass er die Kollektivierung des Landes nun an höherer Stelle vorantreibt.

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken gratuliert Generalsekretär Kevin Kühnert auf dem heutigen Parteitag zur Wahl / dpa
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Was macht einen gerissenen, gewieften, cleveren Politiker aus? Es ist situative Intelligenz in Kombination mit strategischer Kompetenz. Es ist die Gabe, in extrem schwieriger, scheinbar aussichtsloser Lage die wenigen verbliebenen Möglichkeiten zu erkennen und kühl gegeneinander abzuwägen, um dann die beste der schlechten zu wählen und auch zu verfolgen. Es ist aber auch eine gewisse Skrupellosigkeit, andere für seine eigenen Zwecke einzuspannen und sie dabei sogar noch mit dem Glauben auszustatten, das sei auch für sie das Beste, sie also auf eine sehr schräge Weise glücklich zu machen, einstweilen wenigstens. Und es ist nicht zuletzt die Fähigkeit, sich im richtigen Moment zurückzunehmen und die Klappe zu halten, dauere dieser „Moment“ sogar länger als ein Jahr.

Akzeptiert man diesen Katalog, dann werden wir vom neuen SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert noch eine Menge hören, denn alle diese Eigenschaften und Fähigkeiten hat er innerhalb von nicht einmal zwei Jahren unter Beweis gestellt. Werde mein Maskottchen und habe Spaß dabei - diesen psychologischen Kunstgriff macht dem Ex-Juso-Vorsitzenden so leicht keiner nach.

Autosuggestion der SPD

Kommt zu alldem auch noch Fortüne, etwa in Form einer ganzen Serie haarsträubender Fehler des politischen Gegners, dann erst sehen wir Bilder wie am Mittwoch die Wahl eines Olaf Scholz mit solider parlamentarischer Mehrheit zum Bundeskanzler, auf die vor ein paar Monaten niemand aus dem Kreis der professionellen Beobachter auch nur einen Pfifferling gewettet hatte. Eine verblüffte FAZ schreibt über glückliche Genossen: „Peer Steinbrück gilt noch immer als kläglich gescheiterter SPD-Kanzlerkandidat, weil er 2013 nur 25,7 Prozent der Wählerstimmen erreichte. Scholz holte auch 25,7 Prozent der Wählerstimmen. Und gewann das Kanzleramt. So ist Politik.“

CDU und CSU beantworteten die Autosuggestion der SPD mit Autodepression. Die SPD zog sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf, die Union am eigenen Bein in ihn hinein. Damit hatte in diesem Ausmaß niemand rechnen können. Es fügte sich ein ursprünglich wirres und sehr unvollständiges Sammelsurium von Einzelteilen zu einem Puzzle, das rechtzeitig zu erkennen ein beachtliches Maß an Autosuggestion erforderte, über die Olaf Scholz jederzeit verfügte, aber eben auch sein Widerpart Kevin Kühnert, der ihm ab einem Moment X auf der linken Flanke unbeirrbar den Rücken frei hielt, mehr wissend als nur ahnend, dass seine Zeit genau deshalb ebenfalls noch kommen wird. Per aspera "Scholz" ad astra "Linke Vorherrschaft".

Kein Grabenkrieg gegen Klingbeil

Bis dahin wird es noch einige Zeit dauern, aber der nächste und entscheidende Schritt ist gemacht. Seine neue Position in der ältesten Partei des Landes ist dem 32-Jährigen wie auf den Leib geschneidert. Er wird sie nutzen, wie er schon seine bisherigen Ämter optimal genutzt hat, was nur gelang, weil er - darin der Ex-Kanzlerin nacheifernd - aus den verheerenden Fehlern seiner Vorgängerinnen und Vorgänger gelernt hat, um sie selbst zu vermeiden.

So wird er, anders als etwa Andrea Nahles, als Parteimanager ganz sicherlich nicht einen Grabenkrieg gegen den neuen Parteichef anzetteln, weil er den nur verlieren könnte, sondern im Gegenteil nun auch Lars Klingbeil für seine Zwecke einspannen, wie er es zuvor mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken vollbracht hatte. Subtiler sicherlich, auf längere Zeitstrecken projektiert, aber deswegen nicht weniger effizient.

Mit der erneuten Beförderung des Kühnert, nunmehr zum Parteimanager, legt die SPD die heute schon für 2025 projektierte Wiederwahl des Scholz, die Begründung einer ganzen "Ära der Sozialdemokratie" mit einer "knallroten Wirtschaftspolitik" (Gustav Horn), in seine Hände. Das ist angesichts der Vorgeschichten zwischen den beiden irgendwas zwischen mutig und masochistisch.

Denn: Ausserhalb der Politik hat der neue Generalsekretär ja bisher nichts zustande gebracht. Seinen Studienplatz an der Freien Universität, den er sich erklagt hatte, was bedeutet, dass ein(e) andere(r) für ihn leer ausging, verliess er nach kurzer Zeit und jobbte statt dessen dreieinhalb Jahre lang im Callcenter eines Versandhändlers, Abteilung "Kundenservice". Es folgten parlamentarische Hilfstätigkeiten in zwei sehr linken Abgeordnetenbüros. Seinen zweiten Studienversuch von 2016, nunmehr an der Fernuniversität Hagen, legte er nach seiner Wahl zum Juso-Vorsitzenden auf Eis.

Linke Wissenschaftsfeindlichkeit

Wie diese arbeitsteilige, hochkomplizierte und - wie sich zeigt - auch störungsanfällige Volkswirtschaft funktioniert, weiß Kevin Kühnert nicht und es interessiert ihn auch nicht. Selbstverantwortung für das eigene Leben oder gar Unternehmergeist finden in diesem Gedankengebäude nicht statt. Und es sind Kühnert-Jusos, die vor einem Monat an der Universität von Halle zusammen mit Grünen im Studentenparlament den Antrag stellten, den seit 27 Jahren bestehenden Arbeitskreis Antifaschismus aufzulösen, weil er angeblich transfeindliche Referenten, "die gesellschaftliche Randgruppen herabgewürdigt haben", bei Diskussionsveranstaltungen zu Gender-Themen nicht verhindert habe. Da bricht sich eine Wissenschaftsfeindlichkeit bahn, wie sie vor wenigen Jahren auf Seiten der sogenannten Linken noch völlig undenkbar schien.

Mit 31 Jahren steht Kevin Kühnert immer noch ohne reguläre Berufsausbildung und ohne Studienabschluss da, ein jeweils Angelernter. Dabei dürfte es bleiben. Die SPD vollzieht damit bei der Auswahl ihres Führungspersonal nach, was ihr Die Grünen seit langem schon vormachen - mit, wie sich jüngst wieder in aller Deutlichkeit zeigte, fragwürdigen Ergebnissen. Respekt vor unserer parlamentarischen Demokratie und ihren Institutionen, Respekt vor dem Souverän sieht anders aus. Joschka Fischer mit seinem Taxi-Schein taugt insofern nicht als Gegenbeispiel, als er sich zwei Jahre lang sehr intensiv autodidaktisch auf seine bevorstehenden Aufgabe vorbereitet hatte und vom ersten Tag an im Auswärtigen Amt voll im Stoff war, die notwendige Demut als Mönchlein Luther inbegriffen - was seiner grünen Nachfolgerin nicht nachgesagt werden kann.

DDR-2.0-Sozialismus

Was bedeutet nun das Vorrücken einer leistungsfeindlichen, anti-individualistischen und wirtschaftsfernen Politiker-Generation für Deutschland? Es ist nichts Gutes. Die Freiheit hat in einer so dominierten SPD keinen Anwalt mehr. Kühnerts Plan ähnelt im Kern eines DDR- 2.0-Sozialismus, diesmal aber richtig und erkennbar mit einem Kollektivismus, der sich, weil wirklich und nicht nur angeblich wachsam, nicht so leicht überrumpeln lassen würde wie das Politbüro im November 1989. Daß eine Synthese aus Demokratie und Sozialismus nicht einmal in der Theorie funktionieren kann und in der Praxis, wie inzwischen vielfach auf der Welt bewiesen, erst recht nicht - diese Lehre aus Geschichte und Gegenwart weigert er sich zu akzeptieren.

Eine Fusion mit der zerstrittenen und konzeptionell insolvenzreifen Partei Die Linke ist unter solchen Vorzeichen nur noch eine Frage der Zeit. Für die Ex-SED wäre in einer so weit nach links gerückten Sozialdemokratie im deutschen Parteienspektrum schlicht kein Platz mehr. Es wäre eine späte Revanche für 1946, dann aber, das immerhin darf unterstellt werden, ohne Zuchthaus für Dissidenten. Aber, so Kühnert: „Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar." Das ist seine Überzeugung, und für und mit eben dieser wurde er an diesem Samstag von fast 78 Prozent der Delegierten in die zentrale Schaltstelle des Willy-Brandt-Hauses gewählt.

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